Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Alt werden unterm Regenbogen

Die Strafbarke­it von Homosexual­ität hat Klaus Daxl noch selbst erlebt. Im Alter kommen nun neue Probleme auf queere Menschen zu.

- VON VERENA KENSBOCK

Homo-, Trans- und Intersexue­lle haben im Kampf um Gleichbere­chtigung viel erreicht. Warum das Altern ihnen Probleme bereitet.

DÜSSELDORF Klaus Daxl hat sich in seinem Leben schon einige Male als schwul geoutet. Als junger Mann vor seiner Schwester, die ihm geraten hatte, es den Eltern nicht zu erzählen, weil sie einen Bruch mit der Familie fürchtete. An der Universitä­t in Hannover während des Veterinärs­tudiums, kurz vor dem Staatsexam­en, wo er von zwei Professore­n hörte, er habe das Ansehen der Hochschule in den Dreck gezogen. Bei seiner ersten Assistenzs­telle in einer Tierarztpr­axis in Derendorf, wo er nach dem Outing die Kündigung erhielt. Und schließlic­h auch im bayerische­n Dorf vor dem eigenen Vater, der Homosexual­ität für krankhaft hielt und seinen Sohn zur Therapie schicken wollte. Er habe, so glaubte der Vater, das Gelübde der Maria verletzt.

Viel ist seitdem passiert. Klaus Daxl ist heute 75 Jahre alt und lebt seit fast 50 Jahren offen schwul. Paragraph 175 des deutschen Strafgeset­zbuches, der Sex zwischen zwei Männern unter bis zu vier Jahre Freiheitss­trafe stellte, ist abgeschaff­t. Seit 2017 gibt es die Ehe für alle, mit allen Rechten und Pflichten, wie sie bis dahin nur heterosexu­elle Paare hatten. Die Vorkämpfer von einst sind heute im Seniorenal­ter – und viele sehen diesem mit Sorge entgegen.

Sich ein weiteres Mal outen müssen – das ist die Befürchtun­g vieler älterer homosexuel­ler Menschen, sagt René Kirchhoff von der Aidshilfe in Düsseldorf. Diese hat 2019 zusammen mit der Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) und der Frauenbera­tungsstell­e die Fachstelle „Altern unterm Regenbogen“ins Leben gerufen, um sich um die besonderen Anliegen älterer homo-, bi-, trans- und intersexue­ller Menschen zu kümmern. „Der Bedarf war da“, sagt Kirchhoff. Seitdem hat die Fachstelle hunderte Düsseldorf­erinnen und Düsseldorf­er beraten.

Ein großes Thema ist Diskrimini­erung im Alter, etwa beim Umzug in ein Pflegeheim – viele Schwule und Lesben fürchten ein zweites Coming-out. „Es gibt viele Ängste, wenn es um Pflege geht“, sagt Kirchhoff. „Homosexuel­le Menschen fürchten, plötzlich mit denen zusammenzu­leben, die sie ihr Leben lang diskrimini­ert haben.“Viele hätten in ihrer Vergangenh­eit Traumata erlitten. Der Berater spricht von Diskrimini­erung, wie Klaus Daxl sie im Studium und im Beruf erlebt hat, von lesbischen Frauen, denen in den 60er und 70er Jahren die Kinder weggenomme­n wurden, weil sie als nicht erziehungs­fähig eingestuft wurden, und von intergesch­lechtliche­n Personen, die teils schwere Operatione­n hinter sich haben.

Oft sei auch die Skepsis gegenüber Pflegeeinr­ichtungen deswegen groß. Deren Beschäftig­te müssten darum sensibilis­iert werden, sagt Kirchhoff, für den Umgang mit Senioren aus der Regenbogen-community, und um sich entschiede­n gegen Diskrimini­erung in den Häusern zu stellen.

Doch es sind nicht nur die Pflegeheim­e, in denen es Probleme gibt, sondern auch das Alter in den eigenen vier Wänden. „Krank, einsam, ohne Geld“, fasst Klaus Daxl die Sorgen vieler Homosexuel­ler im Alter zusammen. In den 1980er Jahren, als sich HIV vor allem unter schwulen Männern ausbreitet­e, steckte sich auch Klaus Daxl auf einer Reise durch die USA an. Die Infektion, die er selbst in den therapielo­sen Jahren nur mit Glück überstande­n habe, habe ihn viele Freunde gekostet. Auch ein Partner, mit dem er sieben Jahre seines Lebens verbrachte, ihn zum Schluss pflegte, starb an Aids. „Ich kenne viele, denen der ganze Bekanntenk­reis weggestorb­en ist“, sagt Daxl.

Er selbst gründete zusammen mit anderen Betroffene­n in den 80ern die Aidshilfe in Düsseldorf, saß in einer Selbsthilf­egruppe nach der anderen. „Ich war immer der Letzte, der das Licht ausmachte.“Die Einsamkeit, sagt Klaus Daxl, ist unter homosexuel­len Männern weit verbreitet. In seinem Umfeld, sagt der 75-Jährige, gibt es Leute, die sich vor ihren Familien oder Arbeitskol­legen immer noch nicht geoutet haben, andere haben viele Jahre in unerfüllte­n Ehen verbracht, einige mussten wegen ihrer Sexualität mit ihren Eltern, Kindern, Freunden brechen. Hinzu kommen finanziell­e Nöte. Klaus Daxl musste selbst seine

Tierarztpr­axis mit nur 49 Jahren aufgeben, es ging gesundheit­lich nicht mehr. Doch er habe früh vorgesorgt. Andere aber, die wegen der HIV-INfektion früh ihre Jobs eingebüßt haben, kämpfen nun.

Er selbst hätte keine Probleme damit, in ein normales Heim zu ziehen, sagt Klaus Daxl. Am liebsten aber will er in seiner Altbauwohn­ung bleiben, in der er seit 20 Jahren lebt. Er ist gut vernetzt in dem Haus in Flingern-nord, dessen Garten er mit Hingabe pflegt und dort zu Partys einlädt. Er hat einen heterosexu­ellen, einen homosexuel­len Freundeskr­eis, macht Jazz-gymnastik in einer Gruppe, geht regelmäßig zu den Treffen der Aidshilfe, hat kürzlich erst wieder damit begonnen Geige zu spielen. Seine Blutwerte sind heute besser als vor 40 Jah

ren, sagt der 75-Jährige. Dank der Medikament­e ist er nicht mehr ansteckend.

Einsam ist er keineswegs, sagt Klaus Daxl. Kinder hätte er aber eigentlich gerne gehabt. Gleichgesc­hlechtlich­e Paare dürfen jedoch erst seit dem Bundestags­beschluss vor vier Jahren, der die Ehe für alle möglich machte, Kinder adoptieren. Dass sie keine Enkel bekommen hat, habe seine Mutter immer bedauert. Mit seinem Vater, der ihn einst zur Therapie schicken wollte, habe sich Klaus Daxl aber versöhnt. „Irgendwann hat er es akzeptiert.“Darüber gesprochen haben sie nie. Doch als Klaus Daxl mit seinem damaligen Partner seine Eltern in Bayern besuchte, hatte der Vater im Hotel ein Zimmer für das Paar reserviert – mit Doppelbett.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Klaus Daxl hat in den 80er Jahren zusammen mit anderen Betroffen die Düsseldorf­er Aidshilfe gegründet.

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