Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Ente bleibt draußen
Vor zehn Jahren starb Vicco von Bülow alias Loriot. Mit seinem Sprachwitz hat er Sätze und Figuren für die Ewigkeit geschaffen. Ein Nachfolger auf seinem Humor-niveau ist nicht in Sicht.
Sagen Sie jetzt bitte nichts. Die Badewanne ist voll, die Ente steht bereit. Nur ist niemand mehr da, um sie mit angemessener Noblesse zu Wasser zu lassen: Am Sonntag vor zehn Jahren ist Vicco von Bülow, wesentlich besser bekannt als Loriot, im Alter von 87 Jahren gestorben. Sein Tod riss eine humoristische Lücke ins triste Einerlei deutschen Komödiantentums. Eine Lücke, die bislang niemand adäquat zu füllen vermochte. Mit Loriot verlor das witzige Fach so etwas wie den Übervater. Sein perfektionistischer Anspruch, seine Akribie, sein Sprachwitz und Tiefsinn sind weiterhin unerreicht. Oder, wenn man einen berühmten Satz aus dem Sketch „Herren im Bad“sinnbildlich auf die deutsche Humorlandschaft nach Loriot übertragen will: Die Ente bleibt draußen.
In der Rückschau erst wird klar, wie sehr man den entlarvenden Blick auf die gesellschaftlichen Zeitläufe vermisst. Wie spannend wäre es gewesen, Themen wie Gender-, Me-too- oder Rassismus-debatte durch den Loriot'schen Filter zu betrachten, ihnen dadurch vielleicht etwas unverkrampfter begegnen zu dürfen. Denn Loriot war zwar vor allem ein Analyst zwischenmenschlicher Abgründe („Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“), er demontierte aber ebenso gnadenlos den politischen Betrieb („Draußen im Lande, hier und heute stellen sich die Fragen, und damit möchte ich schließen: Letzten Endes, wer wollte das bestreiten!“). An Stoff hätte es ihm heute nicht gemangelt.
Was angesichts fast zwanghafter Lässigkeit heutiger Comedians ebenfalls fehlt: der distinguiert höfliche Auftritt, das spöttisch-verschmitzte Lächeln, die leicht hochgezogenen Augenbrauen. Dieses eulenhaft Professorale, überakkurat Modulierende. Als Sprössling eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts fiel es Vicco von Bülow leicht, vordergründig den preußischen Offizier zu geben. Hinter der aristokratischen
Fassade lauerte aber stets das Anarchische, der Drang zum Chaos. Und hinter dem Chaos die Erkenntnis. Wenn Loriot im Sketch „Das schiefe Bild“genüsslich eine geschmacklos modern eingerichtete Wohnung zerstört, ist das sagenhaft lustig, aber eben auch ein Statement gegen seelenlosen Konformismus.
Im Witz lag bei Loriot fast immer eine tiefere Wahrheit, seltener ging es um Komik nur der Komik willen, um albernen Quatsch wie etwa beim Jodeldiplom („Du Dödl di! Dö Dudl dö…ist zweites Futur bei Sonnenaufgang“). Aber obwohl er seine Figuren in ihrer Lächerlichkeit entblößte, beraubte er sie nie ihrer
Würde. Er hielt dem deutschen, verkrampft-verklemmten Biedermeier den Spiegel vor; menschliche Unzulänglichkeiten waren bei ihm aber eher Symptom einer unvollkommenen Welt. Sein Humor war zutiefst humanistisch, weil er es schaffte, dass die Menschen mit seinen Figuren, mit Lottogewinner Erwin Lottemann, äh, Lindemann und Atomkraftwerk-bastler Opa Hoppenstedt über sich selbst lachen. Während Comedians heute mit ihrem Witz eher versuchen zu spalten, zu polarisieren, liebte jeder Loriot. Weil er die Menschen liebte.
Auch als Zeichner hatte Loriot ein Händchen, entwarf schon Anfang der 50er-jahre für das Hamburger Magazin „Die Straße“die zunächst unbeliebten Knollennasen-männchen, die später als Dr. Müller-lüdenscheid und Dr. Klöbner Wannenbad-geschichte schrieben.
An Talenten mangelte es dem Humoristen wahrlich nicht, denn außerdem schauspielerte er, führte Regie und dirigierte. Seine größte Begabung aber war die für Sprache. Getrieben von der Suche und Sucht nach Perfektion, war jedes Satzzeichen ein Manifest, jedes Wort ein Treffer, jeder Dialog ein Genuss. Kein Humorist lieferte so viele Zeilen für die Ewigkeit. („Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein“, „Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal“, „Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen“).
Die Sprache war Loriots wirkmächtigstes Werkzeug, damit hat er so kreativ jongliert, dass Wortschöpfungen von ihm überdauern werden – wie die legendäre Jodelschnepfe, die gefräßige Steinlaus („Etwa 28 Kilogramm Beton und Ziegelsteine benötigt das Männchen zur täglichen Sättigung“) oder das Traumgericht Kalbshaxe Florida. Auch Sprechpausen und die Betonung („Und was ist Trumpf?“) wusste er so geschickt einzusetzen, dass allein über die Irritation Komik entstand. Ein lakonisch eingeworfenes, leicht verzögertes „Ach, was?!“reichte ihm als Pointe, weil er wusste, dass exaktes Timing jeden Witz veredeln konnte. Und umgekehrt. Loriot übte deshalb am Set unermüdlich, galt als besessener Perfektionist. „Ich weiß nicht, was lustig ist“, antwortete er einmal auf die Frage nach der speziellen Eigenart seiner Komik: „Man braucht den nötigen Ernst und viel Disziplin.“
Um das Leichte auch leicht wirken zu lassen, schuftete Loriot also hinter den Kulissen, das ist die Tragik hinter dieser, hinter vielleicht jeder großen Komik. Seine Höflichkeit gebot, sich dies nie anmerken zu lassen. Und so schenkte er uns von seinem roten Sofa aus nonchalant ein Panoptikum, das unvergesslich bleibt. Neben den schon Genannten mindestens noch die Cousinen Priscilla und Gwyneth Molesworth, die Familie Hoppenstedt („Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann“) und Berta Panislowski aus Massachusetts („Ein Klavier, ein Klavier!“). Zehn Jahre nach Loriots Tod muss man daher wohl seufzend mit ihm konstatieren: Früher war mehr Lametta. Höre ich da ein „Ach was?!“?