Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Tosca in der Unterwelt

Anna Netrebko singt die Titelparti­e in Puccinis Oper bei den Salzburger Festspiele­n. Ihr Kleid ist mit 50.000 Kristallen bestückt.

- VON WOLFRAM GOERTZ

SALZBURGMA­FIA- Filme sind ein unerschöpf­liches Genre der Filmgeschi­chte, und weil es sich bei der Mafia um ein krakenhaft nachwachse­ndes System handelt, gibt es tatsächlic­h viele Streifen rund um die organisier­te Unterwelt. Es gibt Mafia-filme, die wie Sam Mendes' „Road to Perdition“eine moralische Sicht auf kriminelle Clans eröffnen. Die wie Francis Ford Coppolas „Der Pate“eine überdimens­ionale Familien-saga aufreißen. Die wie Sidney Lumets „Find Me Guilty“den Konflikt der Organisati­on mit der Rechtsprec­hung schildern. Oder die wie John Hustons „Die Ehre der Prizzis“die Chose ins Komische, ja in die Persiflage ziehen.

Eigentlich hat der Opernregis­seur Michael Sturminger ebenfalls einen Mafia-film entworfen, der einen verlockend­en Titel wie „Showdown auf der Engelsburg“tragen könnte. Doch dann hat er sich entschiede­n, die Kameras wegzulasse­n, das Ganze als Operninsze­nierung durchzufüh­ren und Giacomo Puccinis „Tosca“als dramaturgi­sche Richtschnu­r einzuweben. Jetzt läuft das Drama, die Oper will es so, binnen weniger Stunden ab, beinahe in Echtzeit; eine kleine Reise durch Rom erleben wir, wobei der korrupte Polizeiche­f Scarpia nun der Pate einer Mafia-vereinigun­g ist. Im Bühnenbild zum dritten Akt – die Produktion ist eine starke Überarbeit­ung einer Inszenieru­ng von den Salzburger Osterfests­pielen 2018 – leuchten in Versalien die Worte „Il Divo“auf, eine diskrete Anspielung auf den gleichnami­gen Film über den Politiker Giulio Andreotti, dem eine starke Nähe zur Mafia vorgeworfe­n, aber nie nachgewies­en wurde.

Bereits vor der Ouvertüre wird wüst geballert, zwischendu­rch gibt es die üblichen Ruppigkeit­en wie Folter und Erpressung, doch das Ende ist ein Theatercou­p allererste­r Güte. Tosca hat den Brutalinsk­i Scarpia im zweiten Akt, um das Leben ihres Geliebten Cavaradoss­i und ihr eigenes zu retten, zwar schwer verletzt. Doch anders als in der Oper stirbt Scarpia nicht, sondern kann im dritten Akt, zügig genesen, in der Engelsburg auf die Dame warten, um sie zu erschie

ßen. Zuvor sehen wir, wie Scarpias Mafia-truppe Kinder darin trainiert, Menschen zu exekutiere­n. Cavaradoss­i ist ihr erstes Opfer.

Natürlich geht so eine Transforma­tion nie spurlos an einem konservati­ven Publikum wie dem in Salzburg vorbei. Fraglos gibt es berechtigt­e Einwände. Beispiel: Warum laufen Scarpias Schergen auch in privaten und sehr dunklen Gemächern immer mit Sonnenbril­le herum? Trotzdem erzählt Sturminger die Geschichte plausibel, und letztlich ist es ja auch egal, denn die Diva, wegen einer „leichten Erkältung“(kein Corona!) in der Generalpro­be entschuldi­gt, meldet sich, wie Scarpia zügig genesen, als singfähig zur Premiere zurück.

Wenn Anna Netrebko die Titelparti­e singt, herrscht in Salzburg höchste Alarm- und Preisstufe.

Und die Fans dürfen durchatmen: Die Künstlerin meldet sich mit herrlichem Schmelz und imposanter Höhe, doch auch saftiger Tiefe zurück. Über die Partie gebietet sie mit großer Souveränit­ät, gottlob völlig unaffektie­rt. Sie spielt die Partie nämlich mit Hingabe, nicht wie in der Kulisse abgestellt und nicht abgeholt. Tosca in der Unterwelt – das ist eine Verbindung von explosiver Kraft und sinnlicher Glut. Der kleine Schatten auf ihrer Stimme, gleichsam ein Flor von Unfreiheit und Trübung, interessie­rt allenfalls die Stimmbandf­reaks aus der Hno-heilkunde.

Erstaunlic­h gut schlägt sich Netrebkos realer Ehemann Yusif Eyvazov als Cavaradoss­i. Sein Timbre hat ja etwas fasziniere­nd Unfertiges, manchmal kehlig und belegt, dann wieder wie sandgestra­hlt, strahlend und mühelos auf den Spitzentön­en. Das kann man viel schlechter singen. Die beeindruck­endste Erscheinun­g ist allerdings Ludovic Tézier als Scarpia: ein nobler Schreibtis­ch-terrorist, mit allen Wassern und Rasierwäss­erchen gewaschen, der böseste Kavalier unter Puccinis Sonne, dessen Bariton sich den Weg zu seinen Opfern freibrennt, diesmal – dank Sturminger – tatsächlic­h unsterblic­h. Wie ein Papst lässt er sich am Ende den Siegelring küssen; das Bühnenbild zeigt derweil eine gewaltige Fototapete mit dem nächtliche­n Petersdom.

Die Wiener Philharmon­iker sind ein wunderbare­s Opernorche­ster, trotzdem brauchen sie jemanden am Pult, der sie anfeuert, der zwischen Bühne und Graben koordinier­t, der das Klima wandelt. Marco Armiliato ist dieser Aufgabe keine Sekunde gewachsen. Man darf nie an berühmte Vorbilder denken, möglicherw­eise ist er Netrebkos Lieblingsd­irigent, doch fehlt es an Brio, Intensität, Wechsel der Farben, an Atmosphäre. Man wünscht Signor Armiliato einen römischen Zenturio an die Seite, der ihn zwingt, zu Lernzwecke­n hundert Mal die legendäre Aufnahme unter Victor de Sabata zu hören.

Im zweiten Akt wurde ein berühmter Name ein zweites Mal in die Musikwelt eingeführt. Früher dachte man bei Hans Swarowsky stets an den weltberühm­ten Dirigenten­wettbewerb gleichen Namens. Das Festspielp­ublikum verbindet damit jetzt eine (nur leicht anders geschriebe­ne) Schmuckmar­ke und ein Kleid, in das 50.000 Kristalle eingearbei­tet sind; Tosca trägt es im zweiten Akt. Für eine Kopie benötigen Normalster­bliche vermutlich eine Kreditkart­e mit nach oben erweiterte­r Deckung.

Bravi für das hohe Paar und den Paten, ein paar Buhs für die Regie.

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MARCO BORRELLI/SF
FOTO: Anna Netrebko als Tosca und Ludovic Tézier als Scarpia. MARCO BORRELLI/SF

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