Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Anton Bruckners kühne 3. Sinfonie d-moll
Klassik Das hat es in der Musikgeschichte auch kein zweites Mal gegeben: dass ein Komponist zu einem anderen kommt, ihm zwei Sinfonien vorlegt und ihn bittet, die bessere auszuwählen; sie solle ihm gewidmet werden. So geschehen im Jahr 1873, als Anton Bruckner seinen Kollegen Richard Wagner in Bayreuth aufsuchte. Dass dessen Wahl auf die 3. Sinfonie d-moll fiel, ist nicht erstaunlich: In dem Werk finden sich fast wörtliche Anspielungen an „Tristan und Isolde“und an den „Ring“. Uraufgeführt wurde das Werk aber 1877 in einer überarbeiteten Version, weil Bruckner, der notorische Selbstzweifler, glaubte, die Wagner-zitate würden allzu plump wirken. Allerdings hatte er die Rechnung ohne das Wiener Publikum gemacht: Es war grausam, wenn es einen unerfahrenen Dirigenten vor sich hatte – und Bruckner war ein solcher. Es war ein Fiasko. Es kam zu einer dritten Version, der dann allerdings großer Erfolg beschieden war.
Diese Praxis der Selbstoptimierung, die bei Bruckner auch etwas mit Selbstverstümmelung zu tun hat, führte dazu, dass die sogenannten Urfassungen erst im Laufe der Zeit rekonstruiert wurden. Bei dieser 3. Sinfonie d-moll war das besonders schwierig, da Bruckner die Änderungen direkt in die Noten eingetragen hatte. Weil aber die Musikwissenschaft eine philologische Disziplin ist, die auch dem Fliegendreck noch wegweisende Erkenntnisse abgewinnt, war es möglich, auch bei dieser Dritten die Ursprungsversion ziemlich genau zu rekonstruieren.
Eine sehr schöne Einspielung dieser Fassung von 1873 kommt nun aus Norwegen, wo dem schwedischen Dirigenten Thomas Dausgaard mit dem Bergen Philharmonic Orchestra beim Label Bis eine hochmusikalische Lesart gelungen ist. Sie ist voller Spannung, aber nicht plump. Sie klingt eben nicht wie ein Zögling des „Fliegenden Holländers“, also wildromantisch mit krachenden Quarten und Quinten, sondern wie eine charmante Musik, die im Saft steht. Österreich halt. Wolfram Goertz