Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Landesregierung kritisiert Wetterdienst
Die Grünen wollen die Rolle des Landes beim Hochwasser Mitte Juli öffentlich aufarbeiten lassen. Die SPD fordert, den Katastrophenschutz stärker zu zentralisieren. Schwarz-gelb wirft den Meteorologen mangelnde Präzision vor.
DÜSSELDORF Die Grünen-landtagsfraktion hat einen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe Mitte Juli verlangt. Fraktionschefin Verena Schäffer sagte, der Ausschuss könne Anfang September auf den Weg gebracht werden und schnell die Arbeit aufnehmen. Die Grünen allein können ihn nicht beschließen, weil dafür ein Fünftel der Stimmen nötig ist. Die SPD will sich an diesem Mittwoch zu einer Beteiligung äußern.
Geklärt werden sollen unter anderem Fragen rund um die Kommunikation vor und während der Katastrophe, die Bewertung von Unwetterwarnungen sowie der Umgang mit Fachwissen. „Es geht um die Frage: Wer hat wann welche politische Entscheidung getroffen?“, sagte Schäffer. Sollte der Untersuchungsauftrag nicht in der laufenden Legislaturperiode abgearbeitet worden sein, könne man in der kommenden erneut einen Ausschuss einrichten – wie im Fall Amri.
Die Grünen forderten die Landesregierung zu weitreichenden Maßnahmen beim Wiederaufbau und in der Katastrophenvorsorge auf. Besitzern von Gebäuden, die vollständig zerstört worden seien, solle an anderer Stelle zügig ein Alternativangebot gemacht werden, erklärte der Abgeordnete Johannes Remmel. Der umweltpolitsche Sprecher der Fraktion, Norwich Rüße, forderte als Lehre aus dem Fall Erftstadt, dass noch einmal Genehmigungen für Abbauprojekte – etwa Kiesgruben am Niederrhein – überprüft werden müssten. In Erftstadt-blessem hatte die Flut eine Kiesgrube zu einem riesigen Krater vergrößert.
Die Landesregierung verteidigte sich derweil gegen den Vorwurf, die Gefahr falsch eingeschätzt zu haben. In einem Bericht des Umweltministeriums für den Landtag wird auch der Deutsche Wetterdienst in die Verantwortung genommen. Dessen Angaben am 12. und 13. Juli seien „bei aller fachlichen Qualität“in einem Punkt „nicht präzise“gewesen, heißt es in dem am Dienstag öffentlich gewordenen Bericht. So habe der Wetterdienst den Zeitraum des Niederschlags vor dem 14. Juli mit „bis Donnerstag früh“und „nächste 48–60 Stunden“benannt. Dies sei so bewertet worden, dass der Regen über diesen Zeitraum verteilt fallen werde. Am 12. Juli habe die Meldung auch noch von einer „Aufsummierung“gesprochen: „Damit war zwar ein Hochwasser wahrscheinlich, aber nicht das tatsächlich eingetretene Ereignis.“Tatsächlich sei die „meteorologische Situation als stationäres Tief“mindestens seit Jahrzehnten so nicht bekannt gewesen.
Die SPD will als Lehre aus der Flut die Zuständigkeiten des Bundes im Katastrophenschutz stärken. „Der Bund muss eine koordinierende Rolle bekommen“, sagte Sebastian Hartmann, Berichterstatter der Partei im Bundestag für Zivil- und Katastrophenschutz. Bisher habe der Bund die Rolle eines Zuschauers. Die Flutkatastrophe, aber auch die Pandemie habe gezeigt, dass eine Gesamtübersicht des Bundes dringend erforderlich sei.
Der frühere Spd-landeschef schlägt einen Zehn-punkte-plan vor, der etwa einen Bund-länder-krisenstab und ein sogenanntes 360-Grad-lagebild vorsieht – mit Informationspflichten der Länder dem Bund gegenüber. Auch müsse das Warnsystem so umgebaut werden, dass Warnungen auf verschiedenen Kanälen möglich seien, etwa per Cell Broadcasting an Handys und per Sirene. Hartmann forderte bessere Risikoanalysen mit Gefahrenkarten wie in der Schweiz, eine Stärkung der Rolle des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und eigene Landeskatastrophenämter der Länder.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat für den Wiederaufbau der von der Flutkatastrophe zerstörten und beschädigten Unternehmensstandorte schnellere Genehmigungs- und Planungsverfahren, mehr Planungspersonal und „Flächentausche“von Grundstücken gefordert. Das geht aus einem Forderungskatalog hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Durch Flächentausch „könnten Gewerbeflächen in Überschwemmungsgebieten nach einer Renaturierung zu hochwertigen naturnahen Flächen umgewandelt werden und als Kompensationsflächen dienen, geeignete andere Flächen könnten für Unternehmensumsiedlungen genutzt werden“, heißt es. (mit dpa) Leitartikel, Panorama