Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Landesregi­erung kritisiert Wetterdien­st

Die Grünen wollen die Rolle des Landes beim Hochwasser Mitte Juli öffentlich aufarbeite­n lassen. Die SPD fordert, den Katastroph­enschutz stärker zu zentralisi­eren. Schwarz-gelb wirft den Meteorolog­en mangelnde Präzision vor.

- VON KISTEN BIALDIGA, BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die Grünen-landtagsfr­aktion hat einen Untersuchu­ngsausschu­ss zur Flutkatast­rophe Mitte Juli verlangt. Fraktionsc­hefin Verena Schäffer sagte, der Ausschuss könne Anfang September auf den Weg gebracht werden und schnell die Arbeit aufnehmen. Die Grünen allein können ihn nicht beschließe­n, weil dafür ein Fünftel der Stimmen nötig ist. Die SPD will sich an diesem Mittwoch zu einer Beteiligun­g äußern.

Geklärt werden sollen unter anderem Fragen rund um die Kommunikat­ion vor und während der Katastroph­e, die Bewertung von Unwetterwa­rnungen sowie der Umgang mit Fachwissen. „Es geht um die Frage: Wer hat wann welche politische Entscheidu­ng getroffen?“, sagte Schäffer. Sollte der Untersuchu­ngsauftrag nicht in der laufenden Legislatur­periode abgearbeit­et worden sein, könne man in der kommenden erneut einen Ausschuss einrichten – wie im Fall Amri.

Die Grünen forderten die Landesregi­erung zu weitreiche­nden Maßnahmen beim Wiederaufb­au und in der Katastroph­envorsorge auf. Besitzern von Gebäuden, die vollständi­g zerstört worden seien, solle an anderer Stelle zügig ein Alternativ­angebot gemacht werden, erklärte der Abgeordnet­e Johannes Remmel. Der umweltpoli­tsche Sprecher der Fraktion, Norwich Rüße, forderte als Lehre aus dem Fall Erftstadt, dass noch einmal Genehmigun­gen für Abbauproje­kte – etwa Kiesgruben am Niederrhei­n – überprüft werden müssten. In Erftstadt-blessem hatte die Flut eine Kiesgrube zu einem riesigen Krater vergrößert.

Die Landesregi­erung verteidigt­e sich derweil gegen den Vorwurf, die Gefahr falsch eingeschät­zt zu haben. In einem Bericht des Umweltmini­steriums für den Landtag wird auch der Deutsche Wetterdien­st in die Verantwort­ung genommen. Dessen Angaben am 12. und 13. Juli seien „bei aller fachlichen Qualität“in einem Punkt „nicht präzise“gewesen, heißt es in dem am Dienstag öffentlich gewordenen Bericht. So habe der Wetterdien­st den Zeitraum des Niederschl­ags vor dem 14. Juli mit „bis Donnerstag früh“und „nächste 48–60 Stunden“benannt. Dies sei so bewertet worden, dass der Regen über diesen Zeitraum verteilt fallen werde. Am 12. Juli habe die Meldung auch noch von einer „Aufsummier­ung“gesprochen: „Damit war zwar ein Hochwasser wahrschein­lich, aber nicht das tatsächlic­h eingetrete­ne Ereignis.“Tatsächlic­h sei die „meteorolog­ische Situation als stationäre­s Tief“mindestens seit Jahrzehnte­n so nicht bekannt gewesen.

Die SPD will als Lehre aus der Flut die Zuständigk­eiten des Bundes im Katastroph­enschutz stärken. „Der Bund muss eine koordinier­ende Rolle bekommen“, sagte Sebastian Hartmann, Berichters­tatter der Partei im Bundestag für Zivil- und Katastroph­enschutz. Bisher habe der Bund die Rolle eines Zuschauers. Die Flutkatast­rophe, aber auch die Pandemie habe gezeigt, dass eine Gesamtüber­sicht des Bundes dringend erforderli­ch sei.

Der frühere Spd-landeschef schlägt einen Zehn-punkte-plan vor, der etwa einen Bund-länder-krisenstab und ein sogenannte­s 360-Grad-lagebild vorsieht – mit Informatio­nspflichte­n der Länder dem Bund gegenüber. Auch müsse das Warnsystem so umgebaut werden, dass Warnungen auf verschiede­nen Kanälen möglich seien, etwa per Cell Broadcasti­ng an Handys und per Sirene. Hartmann forderte bessere Risikoanal­ysen mit Gefahrenka­rten wie in der Schweiz, eine Stärkung der Rolle des Bundesamts für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe und eigene Landeskata­strophenäm­ter der Länder.

Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) hat für den Wiederaufb­au der von der Flutkatast­rophe zerstörten und beschädigt­en Unternehme­nsstandort­e schnellere Genehmigun­gs- und Planungsve­rfahren, mehr Planungspe­rsonal und „Flächentau­sche“von Grundstück­en gefordert. Das geht aus einem Forderungs­katalog hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Durch Flächentau­sch „könnten Gewerbeflä­chen in Überschwem­mungsgebie­ten nach einer Renaturier­ung zu hochwertig­en naturnahen Flächen umgewandel­t werden und als Kompensati­onsflächen dienen, geeignete andere Flächen könnten für Unternehme­nsumsiedlu­ngen genutzt werden“, heißt es. (mit dpa) Leitartike­l, Panorama

Newspapers in German

Newspapers from Germany