Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Retter aus höchster Not
Wenn deutsche Bürger im Ausland in kriegerische Auseinandersetzungen geraten, kann die Bundeswehr ihnen zu Hilfe eilen. Der Evakuierungsverband wurde nach einer Tragödie gegründet.
Ausgerüstet sind sie je nach Lage nicht nur mit Schnellfeuerwaffen und Nachtsichtgeräten, sondern auch mit Mini-panzern, Geldscheinen oder Babywindeln: Bundeswehr-soldaten wie diejenigen, die zurzeit vom Kabuler Flughafen aus Menschen retten, sind für solche Evakuierungseinsätze speziell ausgebildet und werden dafür rund um die Uhr in Alarmbereitschaft gehalten. Vermutlich Zehntausende meist deutscher Staatsbürger verdanken dem gemeinsamen Evakuierungskonzept von Außen- und Verteidigungsministerium ihr Leben. Darüber wird nicht immer offen geredet.
Gegründet wurde der Verband, der mit integrierten Kommandosoldaten auch Geiseln befreien kann, nach dem „Ruanda-schock“von 1994: Mitarbeiter des Kölner Auslandssenders Deutsche Welle waren in dem Bürgerkrieg vor Rebellen in einen Sendeturm geflüchtet. Die Bundesregierung konnte ihnen nicht helfen. Belgische Fallschirmjäger retteten schließlich die 13 Deutschen; ihre afrikanischen Kollegen blieben zurück und wurden ermordet. Das sollte nie wieder geschehen. Offiziell seit dem 1. Oktober 1997 stehen nun auch deutsche Soldaten bereit, um kurzfristig einen Einsatzverband zu bilden.
Bereits am 14. März 1997 hatte die Bundeswehr ihre Feuertaufe, nicht wie erwartet in Afrika, sondern „vor der Haustür“: Unter enormem Zeitdruck rettete ein 89-köpfiges Kommando mit sechs Hubschraubern 104 Menschen aus 22 Nationen aus bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Albanien. Dabei kam es zum Gefecht gegen zwei Panzerfahrzeuge, die in der Hauptstadt Tirana die angstvoll wartenden Menschen beschossen. Die Angreifer wurden abgewehrt, ein Hubschrauber erhielt unterwegs einen Gewehr-treffer, konnte aber sicher landen.
Die „Operation Libelle“, so die Bundeswehr-bezeichnung, brachte wichtige Erkenntnisse: Das Kommando musste ohne Stadtpläne und Satellitenbilder operieren. Die deutsche Botschaft hatte es in dem Durcheinander nicht geschafft, die Wartenden zu ordnen, geschweige denn ihre Identität festzustellen, und schickte sie zu früh zum Landeplatz. Hunderte Einheimische drängten sich dazwischen und machten das Chaos, begleitet von ständigem Gewehrfeuer, noch größer. Als Folge haben deutsche Botschaften in allen Krisenregionen Eventualfallplanungen erarbeitet, um im Notfall rasch reagieren zu können.
Im Juli 2000 wurde in einer Ressortvereinbarung zur Krisenvorsorge zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Auswärtigen Amt das Krisen-unterstützungsteam (KUT) ins Leben gerufen. Die vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam und der Division Schnelle Kräfte in Stadtallendorf gesteuerten Teams gehören nicht zum Einsatzverband für militärische Evakuierungen (sein Einsatz muss als bewaffnete Aktion vom Bundestag gebilligt werden), sondern treten in Zivil und unbewaffnet auf. Sie klären scheinbar banale Fragen wie „Wo liegt der Flughafen? Wo kann ich mit Hubschraubern landen? Wie komme ich mit Bussen aus dem Land oder zu einem Hafen? Woher bekomme ich vor Ort Fahrzeuge?“, berichtet ein ehemaliges Mitglied. Alle Erkenntnisse werden in einer Datenbank gesammelt. Insgesamt stehen 150 Soldaten bereit, um als Spezialisten vom Arzt über den Militärpolizisten bis hin zum Kampfmittelbeseitiger ein KUT bilden zu können. Dessen erste große Bewährungsprobe fand im Sommer 2006 im Libanon statt: 6300 deutsche Staatsbürger wurden während laufender Kampfhandlungen in Sicherheit gebracht.
Vor zehn Jahren machte die Operation „Pegasus“Schlagzeilen: Fallschirmjäger und Transportflieger evakuierten im Bürgerkrieg 132 Ausländer, darunter 22 Deutsche, aus der libyschen Wüste. Nicht immer werden solche Aktionen oder Vorbereitungen dazu bekannt: Als eine Gruppe deutscher Entwicklungshelfer von Islamisten irgendwo in Asien im Dschungel festgehalten wurde oder kurzfristig die Evakuierung von 12.000 bedrohten Europäern aus einem Krisenland im westlichen Afrika notwendig schien, wurden schließlich diplomatische Lösungen gefunden. Die Bundeswehr kam nicht zum Einsatz.
Auch die Evakuierung aus Afghanistan findet unter Federführung des Auswärtigen Amtes statt, das wiederum mit dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr zusammenarbeitet. Unter dessen direktem Kommando steht der Verband in Kabul. Er wird von Brigadegeneral Jens Arlt, dem Kommandeur der Luftlandebrigade 1 (Saarlouis), geführt und umfasst neben Fallschirmjägern aus dem niedersächsischen Seedorf Soldaten des Kommandos Spezialkräfte, der Luftwaffe, Militärpolizisten und Sanitätspersonal. Auch der aktuelle Ablauf erfolgt nach dem immer wieder geübten Schema: Eskaliert die Lage in einem Krisengebiet, und deutsche Staatsbürger sind in Gefahr, erstellt das Verteidigungsministerium eine militärische Evakuierungsoption für den Krisenstab der Bundesregierung. Nach der Billigung beginnt das Einsatzführungskommando mit der konkreten Planung, es folgt die Alarmierung der benötigten Soldaten. Parallel werden Absprachen mit Verbündeten oder Drittländern getroffen. Der Evakuierungsverband verlegt per Flugzeug direkt in die Krisenregion, in einem sicheren Gastland wird so nahe wie möglich eine vorgeschobene Basis eingerichtet, jetzt in Usbekistan. Bei „Libelle“war das Dubrovnik in Kroatien, bei „Pegasus“die Mittelmeerinsel Kreta.
Diesmal hat die noch namenlose Evakuierungsoperation weltweite Aufmerksamkeit. So können die Soldaten eher auf eine Auszeichnung hoffen, die ihnen bei „Libelle“und „Pegasus“verwehrt worden war. Weil zuvor keine Parlamentsbeteiligung erfolgt war, wurde zum Beispiel die gefährliche Operation in Libyen sogar nachträglich zu einer Auslandsdienstreise herabgestuft. Das Bundeskabinett hat dieses Mal den Mandatsantrag für den bereits laufenden Evakuierungseinsatz beschlossen und zur Abstimmung an den Bundestag weitergeleitet.
Insgesamt stehen 150 Soldaten bereit, um ein Krisen-unterstützungsteam zu bilden