Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Ein Symbolkraftwerk vor Gericht
Ist die Anlage in Datteln ein Schwarzbau, wie Umweltverbände meinen, oder wird es zum Ber-flughafen des Ruhrgebiets? Am Donnerstag entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster. Für Uniper geht es um viel Geld.
DATTELN/DÜSSELDORF Die unendliche Geschichte um das Kohlekraftwerk Datteln geht in eine neue Runde. Am Donnerstag will das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster ein Urteil fällen, wie die Richter ankündigten. Das Kraftwerk Datteln 4, mit dessen Planung der Energiekonzern Eon 2007 begonnen hatte und das von dessen Abspaltung Uniper 2020 in Betrieb genommen wurde, ist einerseits das modernste Kohlekraftwerk in Deutschland. Andererseits wird es seit Jahren mit Klagen überzogen. Seit der Lösung des Konflikts um den Hambacher Forst ist es zudem zum neuen Symbol des Kampfs um den Kohleausstieg geworden.
Kläger in Münster sind die benachbarte Stadt Waltrop, der Umweltverband BUND NRW sowie vier Bürger. Sie haben die Stadt Datteln verklagt. Ihr werfen sie vor, dass der Bebauungsplan auch nach seiner vor Jahren gerichtlich erzwungenen Überarbeitung fehlerhaft sei. Beigeladen sind Uniper und das Land NRW. „Wir erwarten ein voraussichtlich wegweisendes Urteil des OVG, mit dem der Bau des Kraftwerks für rechtswidrig erklärt werden könnte“, teilte das Netzwerk „Datteln 4 stoppen wir“am Dienstag mit. Es kündigte zwei Aktionstage mit Mahnwachen ab Donnerstag an. „Der Bebauungsplan wurde nur mithilfe dubioser Methoden nachträglich legalisiert. 2019 hat die Kohlekommission bereits empfohlen, dass Datteln 4 nicht ans Netz kommt, trotzdem wurde unter Laschets Landesregierung dieser Klimakiller in Betrieb genommen“, erklärte die Umweltgruppe. Allein so seien bis heute über 3,5 Millionen vermeidbare Tonnen CO2 ausgestoßen worden. Der Uniper-konzern will Verhandlung und Urteilsverkündung erst einmal abwarten, bevor er sich äußert.
Der Rechtsstreit ist komplex: Das OVG Münster hatte 2009 einen ersten Bebauungsplan der Stadt Datteln für unwirksam erklärt. Unter anderem gab es Ärger mit Abständen zur bestehenden Bebauung. Auch die Umweltprüfungen waren aus Sicht der Richter völlig unzureichend. Daraufhin hatte Datteln einen neuen Bebauungsplan vorgelegt. Gegen diesen gehen nun die Kläger vor. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob der übergeordnete Regionalplan des Regionalverbands Ruhr wirksam ist, der die Standortauswahl unter Dutzenden Möglichkeiten im Bereich Emscher-lippe festgeschrieben hat. Wenn der Regionalplan unwirksam ist, wäre auch der Bebauungsplan unwirksam.
Unabhängig davon laufen weitere Klagen vor einem anderen Senat des OVG Münster – und zwar gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Hier geht es um den Ausstoß an Gasen und Schadstoffen und ihre Wirkung auf die Umwelt. Die Bezirksregierung Münster hatte diese Genehmigung erteilt. Auf dieser Basis war Datteln 4 im Mai 2020 in Betrieb gegangen.
Im Zuge der Kohleausstiegsdebatte hatten Umweltgruppen gefordert, dass Datteln 4 gar nicht erst ans Netz geht. Uniper hatte sich anders entschieden und plant für alle seine älteren Kraftwerke eine vorzeitige Abschaltung, um im Gegenzug das moderne und emissionsarme Datteln 4 ans Netz nehmen zu können. „Datteln wird das letzte Kohlekraftwerk sein, das in Deutschland vom Netz geht. Wir wollen Datteln bis 2038 laufen lassen. Das ist in jeder Hinsicht sinnvoll, weil Datteln 4 viel CO2 einspart und ältere schmutzige
Kraftwerke an seiner Stelle vorzeitig abgestellt werden können“, hatte der damalige Uniper-chef Andreas Schierenbeck im Dezember erklärt.
Der Komplex Datteln 4 produziert seit Anfang 2020 Strom, vor allem für die Deutsche Bahn und für RWE. Ein Viertel des deutschen Bahnstroms kommt von dem Uniper-kraftwerk. Auch für die Versorgungssicherheit ist das Kraftwerk wichtig: Im Frühjahr habe das Kraftwerk zweimal einspringen müssen, um die Stromversorgung zu sichern und das Netz zu stabilisieren, erklärte das Unternehmen auf Anfrage. Die Bundesnetzagentur hat Uniper und RWE bereits die geplante Ausmusterung von zwei Nrw-kohlekraftwerken – Heyden und Westfalen – untersagt, weil diese systemrelevant sind. Eon und Uniper haben in Datteln rund 1,6 Milliarden Euro investiert. Für den Betrieb sind rund 90 Mitarbeiter tätig und zusätzlich bis zu 150 externe Beschäftigte.
Theoretisch könnte Datteln 4 zwei Millionen Haushalte versorgen. Tatsächlich aber verkauft Uniper bis zu 413 Megawatt an die Deutsche Bahn. Ein Großteil des Stroms geht an RWE, auch wenn der Konkurrent immer wieder versucht hat, aus dem Vertrag herauszukommen. Parallel werden bis zu 100.000 Haushalte mit Fernwärme versorgt. „Damit kommen wir auf einen Brennstoffnutzungsgrad von über 58 Prozent – einsame Spitze auf der Welt“, hatte Baustellenleiter Ingo Telöken einst vorgerechnet.
Die ganze Nrw-wirtschaft schaut auf das Urteil am Donnerstag. Denn dabei geht es auch um den Industriestandort Nordrhein-westfalen: Baubeginn war 2007, und nach 13 Jahren herrscht noch immer keine Rechtssicherheit – das gilt für die Wirtschaft als abschreckend.