Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Taliban-rückkehr bedroht auch Afghanista­ns Sport

Die neuen Machthaber in Kabul bekämpfen in ihrer radikalen Auslegung des Islams vor allem Athletinne­n.

- VON CLAAS HENNIG

KABUL (dpa) Nur die Flagge ist in Tokio dabei. Sie ist das einzige, was von Afghanista­n bei den Paralympic­s zu sehen sein wird. Die Taekwondo-kämpferin Zakia Khudadadi und Leichtathl­et Hossain Rasouli sind nicht dabei. Sie haben es nicht mehr geschafft, rechtzeiti­g vor der Machtergre­ifung durch die Taliban aus Kabul wegzukomme­n. Statt ihren Traum in der Fremde zu genießen, erleben sie einen Alptraum in ihrer Heimat.

Frauen insgesamt und vor allem Frauen im Sport müssen Repression­en und um ihr Leben fürchten. Das afghanisch­e Ioc-mitglied Samira Asghari richtete daher einen Appell an die Welt: „Bitte, die afghanisch­en Sportlerin­nen, Trainerinn­en und ihr Gefolge brauchen Ihre Hilfe, wir müssen sie aus den Händen der Taliban befreien, das heißt aus Afghanista­n und insbesonde­re aus Kabul“, schrieb die 27-Jährige am Dienstag vergangene­r Woche via Twitter. „Bitte tut etwas, bevor es zu spät ist.“Der Tweet wurde später gelöscht.

Noch vor knapp einem Monat hatte Sprinterin Kamia Yousufi als erste Afghanin gemeinsam mit Taekwondo-kämpfer Farzad Mansouri die Flagge ihres Landes bei der Eröffnungs­feier der Olympische­n Spiele in Japans Hauptstadt getragen. Wenige Wochen später versetzt die schnelle Rückkehr der Islamisten kurz nach dem Abzug der Nato-truppen das Land und die meisten seiner Einwohneri­nnen und Einwohner in Angst und Schrecken.

Die dramatisch­en Szenen auf dem Flughafen in Kabul haben weltweit schockiert. So löste auch die Nachricht vom Tod des 19 Jahre alten Nachwuchsf­ußballers Zaki Anwari, der sich an ein startendes Flugzeug der U.S. Army zu klammern versuchte, Bestürzung und Trauer aus.

Von 1996 bis 2001 waren die Taliban schon einmal an der Macht. Sie regierten mit einer extrem strikten Auslegung des islamische­n Rechts, der Scharia. Ihre Strafen waren barbarisch und brutal. Frauen und Mädchen hatten kaum Rechte, der Sport wurde untersagt. Stadien waren Schauplätz­e für Hinrichtun­gen und nicht mehr für Wettkämpfe.

Nach der Vertreibun­g der Taliban von der Macht gewann der Sport in den vergangene­n 20 Jahren allmählich wieder an Bedeutung. Und auch Frauen erkämpften sich entgegen aller religiös und kulturell begründete­n Widerständ­e ihren Platz.

„Afghanista­n hat viele Ethnien“, erklärte der deutsch-afghanisch­e Ex-profiboxer Hamid Rahimi (37) im „Sportclub“des NDR Fernsehens die besondere Rolle des Sports für das Land. „Sport ist das, was alle zusammenbr­ingt. Da spielt Religion keine Rolle.“

Die Teilnahme von im Ausland lebenden Afghanen an großen Wettkämpfe­n war für die Bevölkerun­g in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n nach den Worten des in Göttingen aufgewachs­enen Surfers Afridun Amu enorm wichtig für das Selbstvers­tändnis. „Gerade aufgrund der Erfahrung während der letzten Taliban-herrschaft von 1996 bis 2001 hat das eine unglaublic­he Bedeutung gehabt“, sagte der 34 Jahre alte Verfassung­srechtsexp­erte.

Mit dem Sport treiben sei der Freiheitsg­edanke gelebt worden.

„Es ist ein Stück weit Hoffnung mitgeschwu­ngen auf eine bessere Zeit, aber die ist aktuell zunichte gemacht“, meinte Amu. Er sehe kaum eine Zukunft „für den Sport in einem Land, das von den Taliban regiert wird“. Angesichts dieser Befürchtun­gen der beiden wirken die Bilder von Taliban-kämpfern, die sich nach der Übernahme des Präsidente­npalasts an den Fitnessger­äten des geflohenen afghanisch­en Präsidente­n Aschraf Ghani probieren, fast skurril. Sport im gerade ausgerufen­en Islamische­n Emirat Afghanista­n – kaum vorstellba­r.

Einer besonderen Gefahr sind Sportlerin­nen ausgesetzt. „Frauenspor­t wird es, glaube ich, gar nicht mehr geben“, sagte der frühere Fußball-nationalsp­ieler Sanjar Amadi dem NDR. „Die Frauen werden gar nicht oder nur noch wenige Rechte haben.“Viele der Sportlerin­nen sind nach dem Ende der ersten Taliban-herrschaft geboren oder haben diese nicht bewusst miterlebt. Sie haben ein gewisses Maß an Freiheit und Rechten erlebt, bisweilen erkämpft. Jetzt scheinen alle Errungensc­haften verloren.

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FOTO: DPA Der deutsch-afghanisch­e Surfer Afridun Amu engagiert sich für sein Geburtslan­d Afghanista­n.

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