Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die dunkle Seite des Max-planck-instituts
Eine Studie zeigt, wie sehr das Institut für Eisenforschung in der Ns-zeit beteiligt war an Rüstungsforschung und Zwangsarbeit.
DÜSSELTAL Das Max-planck-institut für Eisenforschung (MPIE) stellt sich dem dunkelsten Kapitel seiner mehr als 100-jährigen Geschichte und macht es auch öffentlich. Bei Recherchen für das 100-jährige Bestehen war man auf Akten aus den Jahren 1933 bis 1945 gestoßen. „Von Feldpostbriefen, zu Fotos, die die Institutseinweihung unter Ns-flagge zeigten, bis hin zu Entnazifizierungsakten. Wir waren uns in der Geschäftsführung sofort einig, dass wir uns diesem Kapitel stellen müssen”, sagt Kai de Weldige, kaufmännischer Geschäftsführer des MPIE und Initiator des Projekts. In einem Geschichts-wiki, das auf einer mehr als 300 Seiten langen Studie der Agentur Neumann & Kamp Historische Projekte beruht, wird nun beleuchtet, wie sehr das Institut mit dem Ns-regime verwoben war und von dieser Nähe profitierte.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 wurde die Autarkie- und Rüstungsforschung des Instituts, das damals unter dem Namen Kaiser-wilhelm-institut für Eisenforschung (KWIE) firmierte, zum zentralen Forschungsfeld. Das KWIE profitierte direkt von den neuen Machtverhältnissen und der Ideologie, von der Aufrüstung und dem damit unersättlichen Hunger nach Eisen. Vertreter der Kaiser-wilhelm-gesellschaft (KWG) forcierten sogar geradezu die Einbindung verschiedener Kaiser-wilhelm-institute in den Dienst der „Wiederwehrhaftmachung” Deutschlands. Ursprünglich war das Institut 1917 vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute, der KWG und dem Preußischen Kultusministerium als gemeinschaftliche Forschungseinrichtung für das Eisenhüttenwesen gegründet worden.
Zunehmend erhielt das Institut nun staatliche Aufträge, etwa für das Reichsluftfahrtministerium, die Kriegsmarine und die Rüstungsindustrie. Mehr Mitarbeiter konnten eingestellt werden, eine verbesserte apparative Ausstattung und mehr Haushaltsmittel standen bereit. Die Untersuchungen zur Qualitätsverbesserung des deutschen Stahls und seiner Herstellungsverfahren sowie zur stärkeren Ausnutzung heimischer Rohstoffe wurden verstärkt. Das KWIE leistete dabei auch einen wichtigen Beitrag zur Optimierung von Werkstoffen für Waffensysteme.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 nahmen Umfang und Bedeutung der kriegsrelevanten Forschungsaufgaben zu. 1940 wurde das KWIE zum „Wehrwirtschaftsbetrieb” ernannt. Das Düsseldorfer Institut beteiligte sich nun an der Untersuchung von Panzergleisketten, Granaten, Patronen sowie Hochleistungsstählen für Schusswaffenläufe, Panzerungen, Geschützrohre und Flugzeuge. Ab 1943 wurden für das Reichsluftfahrtministerium etwa Untersuchungen an den Ventilfedern erbeuteter Flugzeugmotoren vorgenommen. Verschiedene Tests wurden beispielsweise an Patronenhülsenstahl durchgeführt, eigens am Institut entwickelte Titanstähle wurden als Werkstoff für Maschinengewehrläufe erprobt. Für das Adolf-hitler-panzerprogramm arbeitete man an Leistungssteigerungen in der Herstellung. Die Rüstungsrelevanz des Instituts zeigte sich auch an den vielen Kriegsverdienstauszeichnungen, die Institutsmitarbeiter ab 1942 erhielten.
Wie sehr das KWIE seit der Machtergreifung profitierte, zeigt auch die Realisierung des vorher immer wieder verschobenen Neubaus in Düsseltal: Im Herbst 1935, nach nur rund 18 Monaten Bauzeit, wurde das neue Institutsgebäude auf dem etwa 80.000 Quadratmeter großen Grundstück an der August-thyssen-straße (heute: Max-planckStraße) bezogen. Bei den Feierlichkeiten waren bedeutende Vertreter des Ns-regimes dabei, darunter Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht, Staatssekretär Siegmund Kunisch vom Reichswissenschaftsministerium, Gauleiter Friedrich Karl Florian und Generalmajor Emil Leeb vom Heereswaffenamt. Die
Grundsteinlegung 1934 und die Eröffnung des Neubaus 1935 fanden unter Ns-symbolik und mit -Propaganda statt.
Eine zunehmende Anpassung der führenden Institutsmitglieder an die Ns-ideologie und -Politik zeichnete sich ab 1933 ab. Sie traten in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), in weitere Parteigliederungen sowie in verschiedene der NSDAP angeschlossene Verbände ein. Unter vielen deutschen Wissenschaftlern, vor allem in den Natur- und Technikwissenschaften, und den Ns-machthabern herrschte nach 1933 Einigkeit darüber, die Forschung zunehmend auf Aufrüstung zu konzentrieren. Die Selbstmobilisierung für das Ns-regime und seine Ziele zeigte sich auch in der vorauseilenden Anpassung des KWIE an die neuen Anforderungen des Ns-regimes, etwa bei der Verwendung von Ns-symbolen. In den Feldpostbriefen von Mitarbeitern wurden Kriegseuphorie, Antibolschewismus und ein Konsens über die Legitimität antisemitischer Verfolgung deutlich. Mit Franz Wever stand ab 1944 dann auch ein fanatischer Kriegsteilnehmer und überzeugter Nationalsozialist an der Kwie-spitze.
Zu dem dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Düsseldorfer Instituts gehören auch die Aneignung von „Beutegut” aus besetzten Ländern und die Beschäftigung von Zwangsmitarbeitern. Deutsche Forschungseinrichtungen eigneten sich im Verlauf des Weltkriegs Ausstattungen wissenschaftlicher Institutionen aus den besetzten Gebieten an, das Düsseldorfer Institut unter anderem das Walzwerk des Instituts für Metallurgie und -kunde des Polytechnikums Warschau.
Im August 1942 setzte das KWIE erstmals zwei zivile Zwangsarbeiterinnen aus Belgien in der mechanisch-technologischen Abteilung ein. Seit Anfang 1943 arbeiteten vor Ort zusätzlich ein Niederländer, zwei Franzosen sowie vier sowjetische Arbeiterinnen und zwei sowjetische Arbeiter. Die meisten wurden in der Werkstatt eingesetzt und waren mit handwerklichen Aufgaben und Hilfstätigkeiten betraut. Bei den französischen Zwangsarbeitern handelte es sich dagegen offenbar um ausgebildete Laboranten, die einen höheren Status als die übrigen Zwangsarbeiter besaßen.
Der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde von Behördenseite nicht erzwungen: Vielmehr mussten Arbeitgeber selbst die Initiative ergreifen, um an zusätzliche Arbeitskräfte zu gelangen. Auch das KWIE musste entsprechende Anträge bei den Arbeitsämtern oder Rüstungsstellen einreichen. Details zur Arbeitsbelastung und Behandlung der Zwangsarbeiter durch Betriebsangehörige des KWIE sind kaum überliefert. Es sind jedoch keine Berichte über eine besonders schlechte Versorgung, Misshandlungen oder Todesfälle während des „Arbeitseinsatzes“der Zwangsarbeiter nachgewiesen.
Nach dem Kriegsende sahen die Zukunftsperspektiven für das Institut anfangs nicht gut aus. Erst im Februar 1947 erteilten die britischen Militärbehörden dem KWIE die Genehmigung zur Wiederaufnahme seiner Forschungsarbeit. 1949 waren die Kriegsschäden dann so gut wie beseitigt und das KWIE, das nun Max-planck-institut für Eisenforschung hieß, war voll arbeitsfähig.
Wenn man das Max-planck-institut für Eisenforschung heute betrete und sehe, wie Menschen aus mehr als 35 Nationen an aktuellen Forschungsthemen der Zeit zusammenarbeiten: Dann sei es schier unvorstellbar, was damals passierte, sagt Kai de Weldige. „Umso wichtiger ist es uns, sich die Ereignisse vor Augen zu führen und uns zu erinnern, wie fast selbstverständlich ein Forschungsinstitut zu Rüstungszwecken missbraucht wurde.“Als Andenken an die Opfer, aber auch, um die Zukunft aus der Geschichte heraus zu begreifen.
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