Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Wie der Barock die Moderne inspirierte
Die Kunstpalast-kuratoren haben die Sammlung durchstöbert und zehnmal alte Gemälde mit Werken der Moderne gepaart. Ein epochenübergreifender Dialog klingt in den Räumen.
DÜSSELDORF Jahrzehnte schlummerte das Himmelsbild von 1693 in einem Karton. Zusammengeklappt wie eine Pizza Calzone war es und musste erst entblättert werden, um Glanz und Tiefe preiszugeben. Aus sechs Teilen fügt es sich zum Rund, eine Rarität. Der Kupferstecher Gerard Audran hat das Motiv für ein Deckenfresko 1693 für die Pariser Kirche Val-de-grâce angefertigt. Es wurde aktuell restauriert für die neue Ausstellung und dem Künstlerraum von Karl Otto Götz zugeordnet. Welten prallen aufeinander und verschmelzen doch. Taumelnde Körper, purzelnde Putten einerseits, total abstrakte Pinselstriche andererseits, rhythmisch, raumlos, inhaltlich aufgeladen. So regt man epochenübergreifenden Dialog an.
Der Kunstpalast begibt sich auf Entdeckungstour im eigenen Haus und gibt Anlass zum Staunen. „Barock modern“ist eine Gelegenheit abzugleichen, Assoziationen zuzulassen, Querverbindungen herzustellen und sich an Kunst zu erfreuen, die Jahrhunderte trennt.
Wie wegweisend war der Barock in seiner Zeit, und wie stark haben sich einige Künstler der Moderne nach 1950 auf den Barock bezogen? So lässt sich zusammenfassen, was der Kunstpalast in Düsseldorf mit der Kombination von Barock und Moderne didaktisch anregen will. Die Überraschung ist gelungen, wenn man auf Anhieb die Konfrontation auch nicht verstehen kann.
Für ihr Spiel mit den Stilen können die Kuratoren Gundy Luyken und Daniel Cremer aus dem Vollen schöpfen. Die Strukturen von barocker Kunst werden an wundervollen Exponaten verdeutlicht und in den hinzugesetzten modernen Arbeiten aufgespürt. Auf den ersten Blick funktioniert so etwas nicht, aber auf den zweiten, auch dank knapper, sehr informativer Erläuterungstafeln, die dezent in den sanft eingetönten Räumen angebracht sind.
Zehn Helden der Moderne – neben Götz Kaliber wie Gerhard Hoeh
me, Bernard Schultze, Hann Tier oder Dieter Roth – residieren in eigenen Räumen, konfrontiert mit barocken Meistern wie Agostini Carracci, Giovanni Battista Gaulli oder Hendrick Goltzius. Das Kalkül geht auf, die Bilder und Skulpturen lehren Gemeinsamkeiten von Kunst über alle Zeiten hinweg. „Alles fließt im Barock ineinander“, sagt Luyken. Manche Moderne reflektierten die Barock-prinzipien, Bildaufbau, Bewegung, Lösung der Körper, viele spielen auf Vanitas-motive an. Im Barock löste sich die statische Sicht auf, zugunsten von Bewegung im Motiv.
So greift Dieter Roth das Thema von Zeit und Vergänglichkeit in seinen berühmten Materialbildern auf, in dem er beispielsweise 1971 Weichkäse auf Karton verarbeitete. Hann Trier liebte die pastelligen Töne und verwebt sie auf seinen
Aquarellen. Gotthard Graubners Farbkissen vergrößern das Bildvolumen in den Raum, Otto Piene erobert den Himmel mit seiner Sky Art und knüpft an barocke Feuerwerke an. Bernard Schulze zu Beginn und am Ende des Parcours liefert mit übergroßer Experimentierfreude vielschichtige verträumte Skulpturen und Bilder.
Die einzige lebende Künstlerin dieser Schau ist Dorothy Iannone, eine Amerikanerin, die einst mit Roth eine Liebe verband, deretwegen sie aus Boston nach Düsseldorf übersiedelte und hier freizügigetableaus von Liebe, Leidenschaft und Leben zeichnete. Dazu gab es reichlich Material im Barock, wenn auch undeutlicher. Ein Kuriosum in der Ausstellung: die „Singende Box“, in der Iannone Musik – natürlich Lovesongs – konserviert, die leise die Ausstellung berieselt.
Mit der Ausstellung „Barock modern“ist eine wundervoll konfrontative Nacherzählung der sehr alten wie der allerjüngsten Kunstgeschichte gelungen. Vor allem die Qualität der Exponate überzeugt. Dass dem 2020 verstorbenen Sammler Willi Kemp ein eigener Raum gewidmet wird, erzählt ganz aktuell vom Leben mancher Menschen, die ohne Kunst nicht sein können. Die Werke, die im Kemp-raum neben Vitrinen mit Archivalien aufgehängt sind, kann man im abgedunkelten Raum live in der Wohnung des Sammlers erleben. In einem stummen Videofilm fehlt nur der Protagonist, dem so vieles zu verdanken ist. Über seinem Sofa hing eine schwarz-weiße Balkenarbeit von Ellsworth Kelly, um die Ecke ein Gemälde von Cy Twombly, und auf dem Weg zur Gästetoilette begegnete man einer Skulptur von Beuys, die verloren in der Ecke stand.
Auch das ist ein Teil Kunstgeschichte, die immer von Menschen geschrieben und fortgeschrieben wird.