Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Virus im Hörsaal

Der Freedom Day kommt in Deutschlan­d scheibchen­weise. Die Unis sollen beginnen.

- GABRIELE PRADEL Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-sibylla Lotter ab.

Das Land NRW hat eine Neufassung der Corona-schutzvero­rdnung veröffentl­icht, in der die konkretisi­erende Allgemeinv­erfügung für den Hochschulb­ereich aufgehoben wurde. Während die vierte Welle in Deutschlan­d ihren Peak erreicht, entfallen Maskenpfli­cht, Mindestabs­tand und Rückverfol­gbarkeit im Lehrbetrie­b der Universitä­ten. Vorlesunge­n dürfen mit unbegrenzt­er Teilnehmer­zahl abgehalten werden, auch wenn 500 oder mehr Studierend­e in den Hörsälen zu erwarten sind. Ab dem kommenden Semester gilt die 3G-regel (Geimpft, genesen, getestet) beim Einlass in die Lehrverans­taltungen. Praktisch ist die Kontrolle der 3GRegel bei größeren Veranstalt­ungen personell kaum möglich, und es muss mit langen Warteschla­ngen gerechnet werden. Das Outsourcen der Einlasskon­trolle an externe Dienstleis­ter dagegen würde die Universitä­ten geschätzt eine halbe Million Euro kosten. Die 3G-kontrolle soll daher vermutlich nur stichprobe­nartig erfolgen, was eine schwere Sicherheit­slücke im Infektions­schutz darstellen würde.

Die neue Regelung betrifft auch die universitä­ren Praktika. Generell ist dies zu begrüßen, da eine rein digitale Lehre zu mangelnden praktische­n Erfahrunge­n bei den Studierend­en geführt hat. Voll besetzte Praktikums­räume gleichen jedoch angesagten Clubs – die Anwesenden teilen sich die verbraucht­e Luft, Körperkont­akt ist unvermeidb­ar. Hinzu kommt, dass das Lehrperson­al zur Praktikums­betreuung verpflicht­et ist, während Mitarbeite­nde der zentralen Hochschuld­ezernate weiterhin den Personenko­ntakt verweigern dürfen. Dies führt zu einer Ungleichbe­handlung zwischen den Hochschula­ngestellte­n im Lehrund Verwaltung­sbetrieb. Der Wegfall der Kontaktsch­utzmaßnahm­en an den Universitä­ten erscheint wie ein letzter Versuch der Nrw-regierung, junge Wähler für ihr Landesober­haupt bei der Bundestags­wahl zu gewinnen. Die Neuregelun­g führt jedoch zu Chaos in der Umsetzung und zu Unzufriede­nheit unter den Betroffene­n. Ob die Studierend­en ein „Freedom“-semester mit Vollkontak­t tatsächlic­h begrüßen, bleibt abzuwarten.

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