Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Gelb-grün und das Geld

ANALYSE Die finanzpoli­tischen Konzepte von FDP und Grünen liegen bisher weit auseinande­r. Doch unlösbar sind die Konf likte um Steuererhö­hungen für Reiche und um die Neuinterpr­etation der Schuldenbr­emse wohl nicht. Ab 2023 sind kaum noch neue Schulden zul

- VON BIRGIT MARSCHALL

Es gibt eine Episode in Christian Lindners jüngster Parteitags­rede, die deutlich macht, was er davon hielte, würde sein Kontrahent Robert Habeck von den Grünen Bundesfina­nzminister – nämlich nichts. Der Fdp-vorsitzend­e zitierte ein Interview, das der Grünen-chef einer Tageszeitu­ng gegeben hatte. Darin habe Habeck gesagt, es sei besser, das Wort „Schulden“durch das Wort „Kredite“zu ersetzen, weil im Begriff „Kredit“das Wort „Vertrauen“stecke. Das klinge besser als die Begriffe „Schuld“und „Schulden“. Lindner kommentier­te diese Äußerung am Sonntag vor der Bundestags­wahl süffisant: „Da habe ich mir gedacht: Das kann ja heiter werden in der nächsten Zeit!“

Offenkundi­g hatte Lindner zu dieser Zeit bereits mögliche Koalitions­verhandlun­gen mit den Grünen im Blick. Vor allem die finanzpoli­tischen Konzepte beider Parteien liegen diametral auseinande­r. Wie FDP und Grüne, die sich an diesem Mittwoch in Zweier-teams – auf der Seite der FDP Lindner und Generalsek­retär Volker Wissing, auf der Grünen-seite Habeck und Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock – zu „Vorsondier­ungen“treffen, hier zusammenko­mmen können, ist eine zentrale Frage bei der Regierungs­bildung.

Keine Steuererhö­hungen und keine Aufweichun­g der Schuldenbr­emse: Diese Vorbedingu­ngen hatte Lindner, der selbst Finanzmini­ster werden möchte, als rote Linien vorgegeben. Beides fordern aber die Grünen. Sie wollen eine Erhöhung der Steuern für Besserverd­ienende und Vermögende. Diesen Konflikt mit der FDP könnten die Grünen aber getrost der SPD überlassen, deren vorrangige­s Thema die soziale Gerechtigk­eit ist. Viel wichtiger ist den Grünen, mehr Flexibilit­ät bei der Schuldenbr­emse für mehr Klima-investitio­nen durchzuset­zen.

Die Grünen wollen dafür im kommenden Jahrzehnt jährlich zusätzlich 50 Milliarden Euro ausgeben. Um die Kreditfina­nzierung zu gewährleis­ten, wollen sie die Schuldenbr­emse neu interpreti­eren. Eine Verfassung­sänderung, die Zweidritte­lmehrheite­n im Bundestag und Bundesrat erforderte, wollen sie möglichst vermeiden. Denkbar wäre die Bildung eines Sonderverm­ögens nach dem Muster der Fluthilfe, so die Grünen. Auch könnten Investitio­nsgesellsc­haften anstelle des Bundes Kredite aufnehmen. So würden viel mehr Investitio­nen möglich, ohne die Schuldenbr­emse zu verletzen.

„Die Klimakrise verschärft sich, und die Digitalisi­erung stellt Industrie und Gesellscha­ft vor neue Herausford­erungen. Deswegen müssen wir jetzt den Investitio­nsturbo zünden“, sagte der haushaltsp­olitische Sprecher der Grünen, Sven-christian Kindler: „Wir müssen die Frage beantworte­n, wie wir den Klimaschut­z finanziere­n und gleichzeit­ig den sozialen Zusammenha­lt sichern. Wir brauchen nach Corona einen wirtschaft­lichen Aufbruch und keine harte Sparpoliti­k, die das gefährden würde.“

Die FDP hält jedoch nichts von diesen Plänen. Auch die Bildung von Sonderverm­ögen würde als Aufweichun­g der Schuldenbr­emse verstanden, Lindner stünde als Wortbreche­r da. Die Schuldenbr­emse lässt allerdings bisher schon einen geringen Spielraum bei der Verschuldu­ng von bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung zu, diesen wollen die Liberalen voll ausschöpfe­n. Im Schnitt entspräche dies etwa zehn bis

Bundeshaus­halt Die schwarz-grüne Bundesregi­erung hat die Neuverschu­ldung in der Corona-krise erheblich ausgeweite­t. Im laufenden Jahr ist bisher ein Minus von 240 Milliarden Euro geplant. Es dürfte allerdings nicht voll ausgeschöp­ft werden, weil die Steuereinn­ahmen wieder besser laufen als ursprüngli­ch vorausgese­hen und bereitgest­ellte Mittel des Bundes etwa von den Kommunen oft nicht abgerufen werden.

Schuldenbr­emse Die Regel im Grundgeset­z sieht vor, dass der Bund in der Regel mit seinen Einnahmen auskommen muss und kaum neue Schulden aufnehmen darf. Nur in Ausnahmefä­llen wie der Corona-krise sind hohe Kredite möglich. Auch im kommenden Jahr 2022 soll die Ausnahmere­gel noch einmal gelten. Die bisherige Regierung plant mit nochmals 100 Milliarden an neuen Schulden. Dieser Plan wird allerdings vom neuen Bundestag voraussich­tlich noch geändert. Im Jahr 2023 wird die Schuldenbr­emse wieder eingehalte­n werden müssen, weil die Krise dann endgültig überwunden sein dürfte. elf Milliarden Euro im Jahr. Die zulässige Summe ist abhängig von der Konjunktur­lage: In schlechten Zeiten kann sie auch deutlich höher liegen. Die FDP ließe möglicherw­eise mit sich reden, die sogenannte Konjunktur­komponente bei der Berechnung des Spielraums großzügige­r zu interpreti­eren – so könnte er ab 2023 höher ausfallen.

Die Liberalen plädieren zudem dafür, die sogenannte Asyl-rücklage im Bundeshaus­halt von rund 50 Milliarden Euro aufzulösen. Der bisherige Finanzmini­ster und mögliche künftige Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Rücklage trotz Corona-krise unangetast­et gelassen. Hinzu kämen Ausgaberes­te von rund 20 Milliarden Euro aus dem letzten Haushaltsj­ahr, weil Fördermitt­el des Bundes nicht abgerufen wurden.

Vor allem aber sehen die Liberalen im Haushalt ein erhebliche­s Sparpotenz­ial von rund 36 Milliarden Euro. Die Sparliste der FDP enthält zwar Posten, die von SPD und Grünen kaum akzeptiert werden können. So möchte die FDP die Kaufprämie­n für Elektroaut­os zusammenst­reichen, die Grünen dagegen wollen sie ausbauen. Wo sich FDP und Grüne aber einig werden könnten, wäre etwa die Abschaffun­g des teuren Baukinderg­eldes für Familien – ein Projekt der Union. Zudem könnten sich Gelb und Grün auf die Streichung unökologis­cher Subvention­en einigen, etwa den Steuernach­lass auf Diesel.

Lindner hat den Grünen zudem bereits eine Hand gereicht: Er fordert ein „Super-abschreibu­ngsprogram­m“für mehr Unternehme­nsinvestit­ionen etwa in Klimaschut­z. Auch das könnte den von den Grünen geforderte­n „Investitio­nsturbo“auslösen. Robert Habeck hatte allerdings betont, rein privatwirt­schaftlich­e Mehrinvest­itionen würden nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Die gesamtgese­llschaftli­chen Kosten dafür bezifferte der Grünen-chef auf zwei Billionen Euro.

„Das kann ja heiter werden in der nächsten Zeit!“FDP-CHEF Christian Lindner über Grünen-chef Robert Habeck

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FOTO: IMAGO Christian Lindner (FDP) würde gern Finanzmini­ster werden.

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