Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Viele Kinder fahren schlecht Fahrrad

Die Pandemie hat das Problem verschärft. Mit einem Pilotproje­kt greift eine Schule in Düsseldorf nun ein.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Die Zahlen sind erschrecke­nd: Fast jeder zweite Jugendlich­e im Alter zwischen zehn und 15 Jahren verunglück­t laut Unfallfors­chung der Versichere­r im Straßenver­kehr mit dem Fahrrad. „Daran sieht man, dass in dem Bereich viel getan werden muss“, sagt Peter Schlanstei­n, Vizepräsid­ent der Landesverk­ehrswacht in NordrheinW­estfalen. „Die Kinder können leider immer schlechter Fahrrad fahren. Eine Entwicklun­g, die wir leider seit zehn Jahren beobachten – und die nicht besser wird, im Gegenteil“, sagt Schlanstei­n.

Verschärft hat sich das Problem durch die Pandemie. „Corona hat sich negativ auf die Fahrradfah­rFähigkeit­en der Kinder ausgewirkt, weil sie das Rad in der Zeit wesentlich weniger benutzt haben“, erklärt Schlanstei­n. „Vielen fehlt es an der nötigen Motorik. Die Beweglichk­eit ist deutlich zurückgega­ngen.“

Dass viele Kinder Schwierigk­eiten beim Radfahren haben, zeigt sich offiziell zum ersten Mal bei den Fahrradprü­fungen in der Grundschul­e. Sie finden in NRW in der dritten oder vierten Klasse statt und bestehen aus einem theoretisc­hen und einem praktische­n Teil. Polizei und Verkehrswa­cht unterstütz­en bei den Prüfungen. Nach Angaben der Verkehrswa­cht nehmen mehr als 95 Prozent der Kinder an der Radfahraus­bildung der Grundschul­en teil. „Die Kinder kommen zwar in der Regel durch die Prüfung. Aber manche müssen sich dafür ein Rad leihen, fahren danach kaum Fahrrad“, sagt Schlanstei­n. Aber genau das sei elementar. „Nur wer regelmäßig mit dem Rad fährt, bekommt Sicherheit und lernt, sich im Straßenver­kehr richtig zu verhalten.“

Trotz unzureiche­nder Fähigkeite­n fahren viele Kinder bereits in der ersten und zweiten Klasse mit dem Rad zur Schule. Davon raten Experten dringend ab. Vor der Radfahraus­bildung in der dritten oder vierten Klasse sollten Kinder demnach nicht unbeaufsic­htigt mit dem Fahrrad im Straßenver­kehr unterwegs sein. Erst ab diesem Alter würden

Kinder komplexere Verkehrssi­tuationen erfassen können und mehr Bewegungss­icherheit auf dem Rad bekommen. Deshalb halten Polizei und Verkehrswa­cht auch nichts von der Forderung, die Fahrradprü­fung schon in die erste oder zweite Klasse zu verlegen.

Vielmehr soll es künftig zusätzlich­es Radfahrtra­ining an weiterführ­enden Schulen geben. „Die Wege sind häufig länger als zuvor zu den Grundschul­en. Und es gibt deshalb auch mehr Gefahren im Straßenver­kehr“, sagt Boris Thor, Lehrer am Gymnasium Gerresheim in Düsseldorf. Das Gymnasium ist landesweit eine von zwei weiterführ­enden Schulen, an denen derzeit ein entspreche­ndes Pilotproje­kt stattfinde­t; Thor leitet das Projekt. „Gerade in diesem Alter verunglück­en die Kinder und Jugendlich­en im Straßenver­kehr. Darum ist es wichtig, dass sie in der Sekundarst­ufe I weiter geschult werden“, sagt er.

Entwickelt hat das Radfahrtra­ining für die Sekundarst­ufe I die Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV). Es baut auf der Radfahraus­bildung in der Grundschul­e auf und soll diese fortführen. „Das Training soll die Kinder und Jugendlich­en in die Lage versetzen, die Anforderun­gen von insbesonde­re komplexen Verkehrssi­tuationen im realen Straßenver­kehr mit dem Fahrrad besser zu bewältigen“, heißt es bei der UDV. Das Fahrradtra­ining ist als Nachmittag­sangebot in der Ganztagssc­hule konzipiert. Es umfasst insgesamt zehn Unterricht­seinheiten zu je 90 Minuten.

Wegen der Pandemie konnten an den meisten Grundschul­en zuletzt keine Radfahrprü­fungen durchgefüh­rt werden – oder nur in sehr komprimier­ter Form. Die Landesverk­ehrswacht nimmt deswegen die Eltern mehr in die Verantwort­ung; in einem Leitfaden wird erklärt, was sie tun können. „Üben, üben, üben, lautet das oberste Credo“, sagt Schlanstei­n. Laut Landesverk­ehrswacht lernen Kinder sicheres Verhalten am besten dort, wo sie täglich Rad fahren. „Nirgendwo machen sie so viele nützliche Erfahrunge­n und üben so effektiv wie bei

Ausflügen in der Wohn- und Schulumgeb­ung“, heißt es in dem Eckpunktpa­pier.

Der ADFC fordert mehr Sicherheit für fahrradfah­rende Kinder im Straßenver­kehr. „Bisher ist es so: Straßen sind für Autos da, nicht für Kinder. Im Straßenver­kehrsgeset­z ist der Autoverkeh­r das Wichtigste – aber das ist kein Naturgeset­z. Die neue Bundesregi­erung muss das ändern und Verkehrssi­cherheit und Lebensqual­ität ganz oben auf die Agenda setzen“, sagt die ADFCVizebu­ndesvorsit­zende Rebecca Peters. „Wir brauchen mehr Platz fürs Rad, damit sich Radfahren für Kinder jeden Tag wie eine Kidical Mass (Anm. Red.: Fahrraddem­o) anfühlt.“

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FOTO: STADT KREFELD Die Fahrradaus­bildung an Grundschul­en fiel wegen der Corona-pandemie häufig aus.

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