Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Neue Freunde im Osten
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan überwirft sich mit Us-präsident Joe Biden und sucht die Nähe von Kreml-chef Putin.
ISTANBUL Recep Tayyip Erdogan ist es nicht gewohnt, geschnitten zu werden. Als besondere Kränkung empfindet er die Weigerung von Us-präsident Joe Biden, mit ihm zu sprechen. Seine Regierung habe Biden um ein Treffen bei der UNVollversammlung gebeten, sei aber abgewiesen worden, sagte Erdogan während seines Besuches in New York dem Us-sender CBS. Nach seiner Rückkehr in die Türkei machte der türkische Staatschef klar, dass er endgültig mit Biden gebrochen hat: Er habe in den letzten 20 Jahren mit allen Us-präsidenten zusammengearbeitet, aber mit Biden komme er einfach nicht zurecht, sagte er. Umso besser versteht sich Erdogan mit Russlands Staatschef Wladimir Putin, mit dem er sich an diesem Mittwoch im Schwarzmeer-badeort Sotschi treffen will.
Schwere politische Differenzen trennen die USA und den NatoPartner Türkei. Erdogan beschwerte sich in dem Cbs-interview, er könne nicht verstehen, warum Biden ihn einen Autokraten nenne. Schließlich herrsche in der Türkei doch eine „unvergleichliche“Freiheit. Hinweise der Interviewerin Margaret Brennan auf Zigtausende Strafverfahren wegen Präsidentenbeleidigung und auf die Verfolgung von Journalisten in der Türkei bürstete Erdogan ungerührt ab.
Die Menschenrechtslage in der Türkei allein wäre für Biden auch kein Grund, sich von Erdogan zu distanzieren. Wichtiger ist für die amerikanische Regierung, dass Erdogan trotz aller Warnungen des Westens an Waffenlieferungen aus Russland festhält. Gegenüber CBS sagte der türkische Präsident, Ankara verhandle mit Moskau über den Kauf einer weiteren Batterie des russischen Flugabwehrsystems
S-400. Washington hatte die Türkei bereits wegen der Lieferung einer ersten S-400-batterie aus dem gemeinsamen Programm zum Bau des neuen Kampfjets F-35 ausgeschlossen. Nun drohen die USA mit weiteren Sanktionen.
Erdogan ist nicht in der Stimmung für Kompromisse mit den Amerikanern: Er bleibt dabei, ein weiteres S-400-system kaufen zu wollen. Die Türkei entscheide allein, welche Waffensysteme sie anschaffe, sagte er. Gleichzeitig beklagte er die militärische Unterstützung der USA für die syrische Kurdenmiliz YPG, die von Ankara als Terrororganisation betrachtet wird; die USA sehen die YPG dagegen als unverzichtbaren
Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat und haben zur Unterstützung der Kurden einige Hundert Soldaten im Nordosten Syriens stationiert. Erdogan sagte CBS, nach seiner Meinung sollten die USA ihre Soldaten aus Syrien und dem Irak abziehen.
Ein Rückzug der USA aus Syrien wäre auch im Sinne Russlands, das dem syrischen Staatschef Baschar al-assad zum endgültigen Sieg im Bürgerkrieg verhelfen will. Russland unterstützt Assad seit 2015 militärisch. Als Chef der mächtigsten Militärmacht in Syrien hat Putin der Türkei in den vergangenen Jahren die Erlaubnis zu mehreren Militärinterventionen gegen die YPG gegeben, um die Abwendung Ankara vom Westen zu fördern.
In der Provinz Idlib, der letzten Bastion der Assad-gegner in Syrien, prallen türkische und russische Interessen nun aufeinander, weil Erdogan auf der Seite der Aufständischen steht und Putin auf der Seite der syrischen Armee. Assad will die Provinz zurückerobern; kurz vor dem Treffen in Sotschi verstärkten russische und syrische Truppen ihre Angriffe in Idlib. Die Türkei reagierte mit der Verlegung zusätzlicher Truppen in die Provinz.
Bei dem Treffen in Sotschi will Moskau offenbar versuchen, die Türkei zu Zugeständnissen in Idlib zu bewegen. Nach Ansicht einiger Beobachter könnten diese Zugeständnisse in einem Teilrückzug türkischer Truppen aus der Provinz bestehen. Dann könnte Assads Armee weiter vorrücken. Der syrische Außenminister Faisal Mekdad sagte bei der Uno in New York, seine Regierung werde die türkischen Truppen in Syrien mit derselben Entschlossenheit bekämpfen wie die Assad-feindlichen „Terroristen“im Land. Auch Putin hatte vor Kurzem bei einem Treffen mit Assad in Moskau mit Blick auf die Türkei und die USA den Abzug ausländischer Truppen aus Syrien gefordert.
Die Abhängigkeit der Türkei von russischen Erdgasimporten könnte für Putin zum Hebel werden, um auf Erdogan Druck auszuüben. Ein neuer Kursabsturz der türkischen Lira gegenüber Dollar und Euro in den vergangenen Tagen verteuert Energie-importe für die Türkei beträchtlich. Erdogan dürfte deshalb in Sotschi versuchen, mit Putin einen Preisnachlass auszuhandeln, schrieb der Türkei-analyst Timothy Ash vom Vermögensverwalter Bluebay auf Twitter. Ash spekulierte, dass Putin dafür von Erdogan ein Entgegenkommen in Idlib verlangen werde. Was Erdogan dem russischen Druck entgegensetzen kann, blieb vor dem Gipfel in Sotschi offen: Sein Zerwürfnis mit den USA lässt den Einfluss des Kreml auf Ankara wachsen.