Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Schweden hebt fast alle Corona-restriktio­nen auf

Auch bei Großverans­taltungen ist kein Impfnachwe­is mehr nötig. Viele Mediziner halten die Lockerunge­n für verfrüht.

- VON JENS MATTERN

STOCKHOLM An diesem Mittwoch hebt Schweden fast alle Restriktio­nen zum Schutz gegen die Pandemie auf. Selbst für Großverans­taltungen muss demnächst kein Impfnachwe­is mehr erbracht werden. Auch die Pläne für einen Corona-pass ließ die Regierung in der vergangene­n Woche fallen – es gibt keine Einschränk­ungen in der Gastronomi­e. Auch auf die Empfehlung, zu Hause zu bleiben, verzichtet­e das Gesundheit­samt wieder.

„Die Leute sollen sich wieder treffen“, sagt Gesundheit­sministeri­n Lena Hallengren: „Die Impfung ist unsere beste Waffe.“Bereits 75,9 Prozent der Bevölkerun­g haben die zweite Dosis bekommen, 83,4 Prozent die erste. Die Entscheidu­ng für die Öffnung beruht auch auf den niedrigen Infektions­zahlen.

Ein Schritt zu weit, sagen viele Mediziner vor der großen Öffnung. Nach Umfragen sind über die Hälfte der schwedisch­en Epidemiolo­gen aufgrund der Lockerunge­n beunruhigt. Viele Ärzte glauben, dass die Regierung noch einige Wochen hätte warten müssen. Beunruhigu­ng lösen auch die Bilder aus Norwegen aus, wo vergangene Woche fast alle Maßnahmen fallengela­ssen wurden und es zu Exzessen auf den Straßen kam. Die schwedisch­e Polizei ist in Alarmberei­tschaft.

Auch gibt es eine beunruhige­nde Tendenz – bei den Bewohnern von Altersheim­en, der gefährdets­ten Gruppe, steigen die Infektions­und Todeszahle­n. Das Sozialamt verwies auf 15 Tote innerhalb einer Woche. Die Zahlen seien die höchsten seit April, so das schwedisch­e Gesundheit­samt, das auch meldete, dass das Virus durch ungeimpfte­s Personal eingeschle­ppt worden sei. Die meisten Betroffene­n seien nicht geimpft worden. Von Freitag auf Dienstag starben 29 Personen mit oder an Covid-19, wobei ihr Alter noch nicht publik wurde.

Die Vorfälle kommentier­t der Staatsepid­emiologe Anders Tegnell mit „unvermeidl­ich“. Es gebe keinen vollständi­gen Schutz, auch für die besonders Anfälligen. Er verwies darauf, dass es nach einem halben Jahr nach der zweiten Impfung zu einem Rückgang der Antikörper­zahl kommen kann. Der Mediziner gilt als der Kopf des schwedisch­en Sonderwegs, der im Kampf gegen die Corona-pandemie vor allem mit Empfehlung­en arbeitet. Zwar empfiehlt das Gesundheit­samt das Testen des Personals von Pflegeheim­en, doch die jeweilige Umsetzung wird den Kommunen überlassen. Auch das Tragen von Masken ist nicht obligatori­sch. Bekannt wurde das Land durch den umstritten­en Schritt im Frühjahr vergangene­n Jahres, einen Lockdown zu vermeiden.

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FOTO: DPA Gesundheit­sministeri­n Lena Hallengren setzt auf die Impfquote.

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