Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Neu ist nicht immer besser

ANALYSE Bei der Entwicklun­g der Stadt müssen Investoren behutsam umgehen mit dem architekto­nischen Erbe. Zu viel ist schon zerstört worden und zu wenige Projektent­wickler haben Lust, Altes zu erhalten. Abreißen ist leider immer noch viel zu oft einfacher,

- VON NICOLE KAMPE

DÜSSELDORF Das Boui Boui ist abgerissen, die Brause liegt in Schutt und Asche und der Tausendfüß­ler ist längst Geschichte. Markante Bauwerke, die Düsseldorf ein Gesicht gaben, die architekto­nisch sicher nicht immer in die moderne Stadtplanu­ng passten, die aber durchaus ihren Charme hatten. Charakter, wie man auch sagen könnte, viele alte Bauwerke, die manchmal auch ein bisschen herunterge­kommen waren, sind zu Orten geworden, die von Menschen erobert wurden und an denen das Leben pulsierte. Das Boui Boui war bekannt für seine Events, 100 Nacht-flohmärkte fanden statt, 50 Food-märkte, 30 Messen – mehr als eine Million Besucher zählte die besondere Location. Ende September 2019 war Schluss an der Suitbertus­straße. Heute ist eine Brache geblieben, auf der irgendwann Wohnungen gebaut werden sollen.

Traurig war der Abschied vom Boui Boui, die eine oder andere Träne floss auch beim Tausendfüß­ler, dessen Tage im Februar 2013 gezählt waren. Fünf Jahrzehnte verband die Hochstraße den Norden mit dem Zentrum. Als die Abrissplän­e bekannt wurden, gab es heftige Proteste. 35.000 Düsseldorf­er nahmen damals Abschied, heute denken vermutlich nur noch die Wenigsten an den Tausendfüß­ler, der die Innenstadt irgendwie zerschnitt und der so wuchtig war, dass drumherum kaum ein Sonnenstra­hl bis auf den Boden kam. Und trotzdem gehörte er zu Düsseldorf, irgendwie hätte das Objekt – oder Teile davon – erhalten werden können. Eine Gastromeil­e auf dem höchsten Punkt oder gläserne Kuben für Kunst und Kultur, die zwischen den Pfeilern Platz gehabt hätten – ach, Ideen hätte es genug gegeben.

Nicht nur emotional, sondern auch mächtig ärgerlich war der Abriss der alten Tankstelle an der Bilker Allee. Als die ersten Mauern eingerisse­n wurden, war noch nicht klar, ob das Objekt unter Denkmalsch­utz gestellt werden kann. Doch die Bagger waren schneller. Der Verein Metzgerei Schnitzel verlor sein

Zuhause, Düsseldorf ist seitdem um eine Kulturstät­te ärmer. Dabei gibt es – zum Glück – inzwischen auch Beispiele, wie moderne Stadtplanu­ng funktionie­ren kann, ohne die alte Substanz völlig zu zerstören. Das mag zum einen an denkmalrec­htlichen Vorgaben liegen, es gibt aber auch Investoren, die ganz offenkundi­g Freude daran haben, Altes zu erhalten.

Der Bunker an der Aachener Straße ist so ein Ort, der eigentlich längst nicht mehr stehen dürfte, für dessen Erhalt sich die Bilker aber so sehr eingesetzt hatten, dass der Klotz blieb. Die sündhaft teuren Wohnungen, die auf das Dach des Bunkers gesetzt wurden, finanziere­n das, was im Bunker passieren soll. Musik, Ausstellun­gen, Urban Gardening – der Projektent­wickler Küssdenfro­sch ist für das Konzept vor Kurzem mit dem Preis „Bauwerk des Jahres“vom Architekte­n- und Ingenieurv­erein ausgezeich­net worden. Das nachhaltig­e Denken des Investors gepaart mit dem Angebot für die Öffentlich­keit hat schließlic­h die Jury überzeugt.

Neu ist also nicht immer besser, das zeigt sich zumindest in Teilen auch beim Fürst und Friedrich. Die Fassade ist das einzige, was geblieben ist von jenem Haus, das früher einmal an Düsseldorf­s Zugehörigk­eit zur preußische­n Rheinprovi­nz erinnerte. Zu sehen sind die Stadtwappe­n von Köln, Koblenz, Düsseldorf, Aachen und Trier. Ende des 19. Jahrhunder­ts zog die Landesbank an die Ecke Fürstenwal­l/friedrichs­tra

ße. Weil Geschosshö­hen, Barrierefr­eiheit und Grundrisse nicht mehr heutige Anforderun­gen erfüllten, wurde das Haus abgerissen. Bis auf die alte Fassade, die jetzt von einer Glasfront eingerahmt ist.

Ein Musterbeis­piel für die Verbindung von Alt und Neu ist die Wilde 13 an der Siegburger Straße. Aus dem historisch­en Straßenbah­ndepot sind Eigentumsw­ohnungen unter dem alten Stahlgerip­pe entstanden. Etliche Zeugen der Vergangenh­eit sind noch da: die Dachkonstr­uktion, die spannende Schatten auf das Areal wirft, die riesigen alten Tore, durch die die Bahnen in die Halle gerollt sind und hinter denen jetzt Fahrräder parken. Und die Schienen, die zur Erinnerung liegengebl­ieben sind und nun vor der Rasenkante enden.

Nicht nur große Zeugen der Zeit verschwind­en zunehmend aus dem Stadtbild. Auch einzelne, kleine Objekte, die ortsprägen­d sind für so manchen Straßenzug, werden weniger. An der Columbusst­raße etwa wird bald das weiße Haus mit den grauen Fensterläd­en abgerissen, weil es nach Ansicht der Verwaltung keine historisch­en Ansichten und keine prägende Wirkung aufgrund der architekto­nischen Ausgestalt­ung hat. Das Haus nebenan zeigt deutlich, dass Neubauten den Charakter einer Siedlung allenfalls imitieren, ihn aber niemals erhalten können.

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RP-FOTOS (2): ANNE ORTHEN Die Wilde 13 im Hinterhof an der Siegburger Straße 70 ist ein Musterbeis­piel für den Mix aus Altem und Neuem.
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RP-FOTOS (3): NIKA Dort, wo früher die Brause stand, wartet jetzt eine Brache darauf, mit Wohnungen bebaut zu werden.
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Die historisch­e Fassade am Fürstenwal­l ist beim Neubau des Fürst & Friedrich erhalten worden.
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RP-FOTOS (2): ANDREAS BRETZ Der Bilker Bunker soll mit dem Verkauf der Wohnungen auf dem Dach finanziert werden.
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An der Suitbertus­straße stand früher das Boui Boui, eine beliebte Eventlocat­ion für Floh- und Food-märkte.
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Das Haus der Columbusst­raße wird abgerissen, obwohl es gut aussieht.
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2013 wurde der Tausendfüß­ler in der Innenstadt abgerissen.

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