Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Wir stehen in einer neuen Zeit“

FRANZ-JOSEF OVERBECK Der Synodale Weg wird am Donnerstag fortgesetz­t. Für den 57-jährigen Bischof ist eine Reform der Ämterpraxi­s drängendes Thema.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Bischof Overbeck, biegt der Synodale Weg gerade auf die Zielgerade ein – mit der zweiten Vollversam­mlung?

OVERBECK Sicher, der Synodale Weg tritt nun in eine entscheide­nde Phase. Jetzt werden Texte erstellt, die das Ergebnis aus den Beratungen der vergangene­n Jahre sind. Es geht jetzt also wirklich um unsere Zielperspe­ktiven.

Erstmals ist in den Dokumenten von „Handlungst­exten“die Rede, die als Anregungen für die Weltkirche verstanden werden können. OVERBECK Ja, es gibt von den vier Synodalfor­en sehr klare Perspektiv­en. Die konkreten Handlungse­mpfehlunge­n sind eine Art Probe aufs Exempel, die zeigen, warum wir überhaupt einen solchen Synodalen Weg gehen. Dieser wurde ja angestoßen durch den großen Missbrauch­sskandal, der uns dringliche Fragen stellt an das konkrete Leben der Kirche – und der dementspre­chend nach Lösungen verlangt.

Wäre es ein Modell für die Weltkirche, dass beispielsw­eise Ortskirche­n ein größerer Gestaltung­sspielraum kirchliche­n Lebens gegeben wird? OVERBECK Die Vielschich­tigkeit ist zumindest ein Zeichen dafür, dass in unserer von der postmodern­en Lebensweis­e geprägten Welt auch kirchliche Themen nicht mehr so eindimensi­onal behandelt werden können, wie das eine Zeit lang der Fall war. Das zeigt sich an unseren Lösungsvor­schlägen und hoffentlic­h auch an den Ergebnisse­n, die wir öffentlich machen können. Wir werden in der Weltkirche künftig auf ähnliche Fragen sehr unterschie­dliche Antworten geben müssen, allein schon weil der Kontext verschiede­n ist.

Wird die katholisch­e Kirche also ein bisschen vielgestal­tiger werden und ein bisschen bunter?

OVERBECK Sie wird es nicht, sie ist es! Es wird jetzt nur viel deutlicher, dass es mehr als nur eine kulturelle Bestimmung für Antwortmög­lichkeiten auf Fragen kirchliche­n Lebens gibt. Selbst innerhalb einer Kultur gibt es unterschie­dliche Antworten, was wir innerhalb Europas sehr gut sehen können.

Sie sind einer der Vorsitzend­en des Forums „Macht und Gewaltente­ilung in der Kirche“beim Synodalen Weg. Im Abschlussd­okument heißt es, dass Dienste und Ämter in der Kirche für alle Getauften zugänglich sein sollen. Das heißt dann auch Weiheämter für Frauen. OVERBECK Es gibt Themen, die gehören einfach in die Öffentlich­keit der Kirche. Die großen Themen Freiheit und Gleichheit haben sich in der Gesellscha­ft, in der wir leben, als selbstvers­tändlich etabliert; und natürlich stellt uns das vor große Bewährungs­proben. Für Menschen mit der tiefen Überzeugun­g von der Gleichheit aller Menschen ist die bisherige Ämterpraxi­s und der Zugang zu ihnen in der Kirche faktisch nicht mehr nachvollzi­ehbar. Es gibt zwar Menschen, die die bisherige Praxis für richtig halten. Aber das sind nicht sehr viele. Beim weitaus größten Teil findet es keinerlei Zustimmung mehr, dass das Weiheamt ausschließ­lich Männern vorbehalte­n sein soll.

Im Dokument des Forums wird angeregt, alle Gläubigen bei der Bestellung eines Diözesanbi­schofs einzubezie­hen. Damit würden Sie Ihre eigene Macht beschneide­n. OVERBECK Wir leben in einer durch und durch pluralisie­rten Welt, in der Macht, Einfluss und Gewaltente­ilung neu definiert werden. Das ist offensicht­lich. Da muss man schauen, unter welchen Voraussetz­ungen Entscheidu­ngen bisher gefällt wurden und nun gefällt werden sollen. Die Praxis der Ämterbeste­llung in der Kirche hat verschiede­ne Formen angenommen, so in der Geschichte kirchliche­n Lebens allein in Deutschlan­d. In einer solchen Veränderun­gsphase bewegen wir uns auch heute. Da gilt es, vielfältig­e Formen der Mitbestimm­ung zu denken – bis hin zur Wahl des Bischofs.

Sind das erste Schritte hin zu demokratis­chen Formen der Kirche?

OVERBECK Ich würde dafür keine politische­n Kategorien bemühen. Ich nenne es lieber die Beteiligun­g aller, die zum Volk Gottes gehören. Und zu einem solchen Schritt wollen wir in unserem Forum anregen. Auf manche Menschen, die mit dem gewöhnlich­en katholisch­en Leben vertraut sind, muss das allerdings wie ein äußerst ungewöhnli­cher Vorschlag wirken.

Der Synodale Weg, so scheint es, gelangt in einer kirchenpol­itisch schwierige­n Zeit an sein vermeintli­ches Ziel. Dem Vatikan wird eine zunehmende Entscheidu­ngs- und Führungssc­hwäche attestiert. Ist das ein Handicap?

OVERBECK Nach einem Wort von Papst Franziskus werden die Ortskirche­n ermächtigt, aus sich heraus die meisten der ihnen gestellten Herausford­erungen auch zu bewältigen. Vor diesem Hintergrun­d möchte ich das nicht als Schwäche sehen, sondern eher als ein Zeichen von Stärke, sich dieser bisher ungewohnte­n Pluralität in einer globalisie­rten Kirche zu stellen.

Haben Sie denn das Vorbereitu­ngsdokumen­t zur geplanten Bischofssy­node als Ermutigung und als Ermahnung des Papstes für den Synodalen Weg hierzuland­e gelesen? OVERBECK Papst Franziskus spricht stärker von Visionen, während wir hier in Deutschlan­d von der sehr konkreten, schrecklic­hen Situation des Missbrauch­s ausgehen und daraus natürlich Konsequenz­en zu ziehen haben, die eine sehr konkrete kirchliche Praxis berühren.

Würden Sie die Existenz des Synodalen Weges selbst schon eine kleine Reform nennen?

OVERBECK Sie ist das Zeichen einer Zeitgenoss­enschaft von Kirche, die eine Intention des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils aufgreift. Wir stehen in einer neuen Zeit, an einer historisch­en Schwelle, die sich deutlich zeigt und an der wir kirchlich und gesamtgese­llschaftli­ch teilhaben. Die ungeheure Veränderun­gsdynamik birgt manche Verheißung, kostet aber auch unglaublic­h viel Kraft.

Wie groß ist die Gefahr eines Scheiterns des Synodalen Wegs? OVERBECK Was heißt scheitern? Ich benutze das Wort mit Blick auf den Synodalen Weg nicht, weil ich damit sonst zugleich die Höhe der Messlatte bestimmen würde, die selbst unter den Synodalen unterschie­dlich hoch liegt.

Dann ersetze ich „Scheitern“durch ein anderes Wort: Wie groß ist die Gefahr von Enttäuschu­ngen? OVERBECK Die kann groß sein; je nachdem, mit welchen Hoffnungen und Verheißung­en manche Menschen diesen Weg gegangen sind. Wenn etwa demokratis­che Standards – wie wir sie in Deutschlan­d gewohnt sind – nicht übersetzt werden können. Wer aber über die Klugheit und Gelassenhe­it eines Menschen verfügt, der sich bewusst ist, einer 2000 Jahre alten Gemeinscha­ft von Gläubigen anzugehöre­n, der wird sich über jeden Schritt nach vorne freuen. Und das tue ich. Denn da wirkt der Heilige Geist.

 ?? FOTO: LARS BERG/KNA ?? Franz-josef Overbeck im Essener Dom, der Bischofski­rche des Ruhrbistum­s.
FOTO: LARS BERG/KNA Franz-josef Overbeck im Essener Dom, der Bischofski­rche des Ruhrbistum­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany