Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Kinder-trauergrup­pe für den Süden

Im Mehrgenera­tionenhaus Hell-ga findet bald das erste Treffen für Kinder statt, die einen wichtigen Menschen verloren haben.

- VON VERENA KENSBOCK

GARATH Immer wieder wurde Birgit Mahlke von Familien gefragt, die einen lieben Menschen verloren hatten, immer wieder musste sie antworten: Im Süden gibt es keine Trauergrup­pe für Kinder. Und nach einem langen Schultag in die Innenstadt oder gar in den Düsseldorf­er Norden zu fahren, gleicht für viele Betroffene einer Weltreise. Eine Mutter musste ihr Kind sogar aus einer Gruppe nehmen, weil sie pro Strecke eine Stunde im Auto saßen. „Wir mussten einige Widerständ­e nehmen“, sagt Familientr­auerbeglei­terin Mahlke. „Aber im November geht es nun los.“

Im Mehrgenera­tionenhaus des Sos-kinderdorf­es wird sie die erste Kinder-trauergrup­pe im Süden anbieten. Im Café hängen bereits Infoblätte­r aus, in Krankenhäu­sern, Hospizen und auf Palliativs­tationen hat sie das Angebot vorgestell­t. Es richtet sich an Sechs- bis Zwölfjähri­ge, die Mutter oder Vater, Oma oder Opa, Geschwiste­r, Freunde, Haustiere verloren haben, einige erst kürzlich, andere vor langer Zeit. Aber es richtet sich auch an junge Angehörige von Schwerkran­ken, die mit einem solchen Verlust rechnen müssen. Das ist die Startidee, melden könne sich aber jeder, egal ob älter oder jünger. Etwa zehn Betroffene will Birgit Mahlke auf ihrem Trauerweg begleiten.

Indem sie gemeinsam Kerzen anzünden für die Verstorben­en, singen oder meditieren, Grabkerzen basteln oder auch Bilder malen und Schatzkäst­chen basteln, in denen sie Erinnerung­sstücke sammeln können. Methoden, um die Verstorben­en in Erinnerung zu halten, mit ihnen Zwiesprach­e zu halten, sagt Sabine Kopka, die das Mehrgenera­tionenhaus leitet. Aber es wird auch gelacht in solchen Gruppen, sagt Birgit Mahlke, und die Kinder dürfen sich auch mal „auskotzen“, der Wut, dem Frust und der Trauer einfach mal Luft machen, sagt die Trauerbegl­eiterin. „Das geht eben nicht mit Angehörige­n, sondern nur mit Außenstehe­nden.“Bei Jungen äußere sich die Trauer häufig auch in Aggression­en. Sie rät ihnen dann, in Sofakissen zu schlagen oder einen Boxsack anzuschaff­en. Einige haben mit Bauchschme­rzen oder Schlafstör­ungen zu kämpfen, andere sogar mit Panikattac­ken.

In der Gruppe hätten sie vor allem das Gefühl, nicht alleine mit diesem Schicksal zu sein. „So klischeeha­ft sich das auch anhört“, sagt Birgit Mahlke. „Aber das ist unglaublic­h wichtig, sich nicht erklären zu müssen, nicht das Gefühl zu haben, einen Makel zu haben.“Auch regelmäßig­e Elterntref­fen seien geplant.

Bevor sie an der Gruppe teilnehmen, führt Mahlke Gespräche mit den Familien und prüft, ob das der richtige Weg für sie ist. Denn die Gruppe sei keine Therapie, sagt die Trauerbegl­eiterin. Einige Kinder müssten erst einen Therapeute­n besuchen, bis sie bereit für eine Trauergrup­pe seien.

Initiative­n, die sich um Tod und

Trauer kümmern, haben es in der Regel schwer, einen Ort zu finden, sagt Birgit Mahlke. Sabine Kopka hat dennoch nicht gezögert, als sie von der Idee hörte. Im Mehrgenera­tionenhaus Hell-ga gebe es ebenso Geburtsfei­ern wie ein Trauercafé. „Vom Anfang bis zum Ende, alles unter einem Dach“, sagt sie. Da passe auch eine Kinder-trauergrup­pe rein.

Wie wichtig Trauergrup­pen für Kinder sind, weiß sie aber auch aus eigener Erfahrung, als sie selbst in die Situation kam, sich um trauernde Kinder zu kümmern. „Hätte es eine solche Trauergrup­pe damals doch gegeben“, sagt sie. Ein einschneid­ender Verlust in der Kindheit oder Jugend begleite viele ein Leben lang. Oftmals entwickle sich erst in der Pubertät ein Bewusstsei­n für die Endgültigk­eit – dafür, dass Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester niemals zurückkehr­en werden. So könnten sich beim Erwachsenw­erden immer wieder neue Baustellen öffnen. Deshalb sei es wichtig, offen mit der Trauer umzugehen. Menschen, die in der Kindheit oder Jugend einen schweren Verlust erlitten haben, hätten sonst häufig auch als Erwachsene noch mit den Nachwirkun­gen zu kämpfen, einem starken Bedürfnis nach Sicherheit, mit Verlust- und Bindungsän­gsten, etwa in der ersten Beziehung.

Mittlerwei­le, sagen Birgit Mahlke und Sabine Kopka, habe der Tod seinen Ruf als Tabuthema ein wenig verloren. Gerade junge Leute gingen sehr offen damit um. In den Trauergrup­pen, die Mahlke bereits führt, fragten sich die Kinder oftmals gegenseiti­g: „Und, was ist bei euch passiert?“.

Deshalb kann sie sich auch eine Unterstütz­ung von jungen Leuten in der Trauergrup­pe gut vorstellen. Sie sucht noch Ehrenamtli­che, die sie schulen will, damit diese Treffen übernehmen können.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN In den Räumen des Sos-kinderdorf­es sollen die Treffen der Kinder-trauergrup­pe stattfinde­n – in einem geschützte­n Gruppenrau­m, aber auch Spiele in der Turnhalle oder auf dem Spielplatz sind möglich.
 ?? RP-FOTO: KENSBOCK ?? Trauerbegl­eiterin Birgit Mahlke (l.) und Sabine Kopka, Leiterin des Mehrgenera­tionenhaus­es Hell-ga in Garath.
RP-FOTO: KENSBOCK Trauerbegl­eiterin Birgit Mahlke (l.) und Sabine Kopka, Leiterin des Mehrgenera­tionenhaus­es Hell-ga in Garath.

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