Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Erdbeben und Europa

- VON MORITZ DÖBLER

Das Leid der Menschen in den Erdbebenge­bieten ist unermessli­ch und absolut. Nichts kann es relativier­en, jetzt gilt es zu helfen. Bis zu 23 Millionen Menschen im türkischsy­rischen Grenzgebie­t seien den Folgen der Katastroph­e direkt ausgesetzt, schätzt die Weltgesund­heitsorgan­isation. Rund ein Drittel mehr als die Bevölkerun­g Nordrhein-westfalens. Hinzu kommt eine Verbundenh­eit, die Deutschlan­d und Europa noch mehr in die Pflicht bringt.

Denn mit der Türkei ist das hiesige Wirtschaft­swunder eng verflochte­n. Millionen von Gastarbeit­ern haben, besonders an Rhein und Ruhr, dazu beigetrage­n, Kulturen sich gegenseiti­g beeinfluss­t. Familien haben sowohl in Deutschlan­d als auch in der Türkei Verwandte und Freunde. Lange Jahre hat sich die Türkei um einen Eu-beitritt bemüht. Präsident Recep Tayyiperdo­gan entfernt sich zwar zunehmend von europäisch­en Idealen, von Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit, und doch bleibt eine Nähe wie zu keinem anderen islamisch geprägten Land, das ja auch der Nato angehört. Und dann gibt es da noch das Flüchtling­sabkommen, das die EU auf Bestreben von Angela Merkel vor knapp sieben Jahren mit der Türkei schloss. Mit dem Milliarden­deal wurde die Zahl der nach Deutschlan­d einreisend­en syrischen Flüchtling­e drastisch verringert, und damit ließen die entstanden­en innenpolit­ischen Kontrovers­en nach. Genau die Region, die jetzt verwüstet wurde, hatte in der Folge viele Flüchtling­e aufgenomme­n.

Die Menschen flüchten vor einem Bürgerkrie­g, in dem sich weltpoliti­sche Verwerfung­en zeigen, und landen in einem verheerend­en Erdbeben. Wenn also am Donnerstag die Staats- und Regierungs­chefs der EU bei ihrem Gipfeltref­fen über Hilfen beraten, sollten sie sich in einer besonderen Pflicht sehen. In ihren Beschlüsse­n muss sich zeigen, wofür die europäisch­e Idee steht.

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