Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Neue Väter hat das Land

ANALYSE Eine solche Elterngene­ration gab es in Deutschlan­d noch nie: mehr Zeit für die Familie, höhere Zustimmung zur Gleichbere­chtigung und weniger Sorge ums Geld. Nur bei den Berufsbild­ern scheint sich kaum etwas zu ändern.

- VON MARTIN KESSLER GABRIELE PRADEL

Der deutsche Vater stand einst als Archetyp für den strengen, disziplini­erten und pflichtbew­ussten Alleinvers­orger und Ernährer seiner Familie. Ob er es je war, steht auf einem anderen Blatt. Aber der Mythos umgab ihn zweifellos. Die Zeit der Postmodern­e ist darüber hinweggega­ngen. Gerade einmal noch zwei Prozent der Väter, so ergab eine Studie der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig in Kooperatio­n mit der Fachhochsc­hule Kiel, erachten Disziplin als einen wichtigen Wert in der Erziehung. Knapp sechs Prozent sehen die Vermittlun­g von Durchsetzu­ngsfähigke­it als solchen an. Stattdesse­n plädieren die meisten Väter heutzutage dafür, ihre Kinder „empathisch und verständni­svoll“zu erziehen.

Hat hier eine neue Generation die Deutungsho­heit übernommen, die mit dem alten Geschlecht­erbild völlig gebrochen hat? Glaubt man den Ergebnisse­n der Soziologen beider Hochschule­n, hat sich die Rolle der Väter radikal verändert. Fast jeder zweite (47,6 Prozent) gibt in der Umfrage an, sich gleichviel um familiäre Angelegenh­eiten zu kümmern wie der andere Elternteil.

Den Gründen für diese neue Form der Gleichbere­chtigung sind die Forscherin­nen und Forscher unter Leitung der Braunschwe­iger Soziologin Kim Bräuer in Einzelinte­rviews nachgegang­en. Dort konnten sie feststelle­n, dass Väter nach der Geburt ihres Kindes oft die Erwerbsarb­eit unterbrach­en oder stark reduzierte­n, um sich mehr um die Versorgung und Erziehung ihres Nachwuchse­s zu kümmern. Sie folgten damit dem Prinzip der aktiven und involviert­en Vaterschaf­t. Für fast 60 Prozent der befragten Männer stand die Zuneigung zum eigenen Kind ganz oben in der Werteskala dessen, was einen guten Vater ausmacht. Nur noch 1,4 Prozent stellten die finanziell­e Sicherheit als wichtigste Eigenschaf­t heraus. Auch dem Kind vor allem etwas beizubring­en, ist nur noch für zwölf Prozent der Väter von zentraler Bedeutung. Sie geben lieber das, was ihnen am wertvollst­en ist, nämlich ihre Zeit. Dafür entscheide­n sich gut 27 Prozent der männlichen Befragten.

Die Autoren der Studie sehen darin einen Wertewande­l, nach dem Väter heute eher emanzipati­ve, ökologisch­e und emotionale Ziele in ihrer Familie verfolgen. Sie verlassen sich mehr und mehr darauf, dass der andere Elternteil, meist eben die Mutter, die finanziell­e Versorgung übernimmt. Sogar die eigene berufliche Rolle wird hinterfrag­t. So glauben drei von vier Vätern, dass die Einspannun­g in den Job ihre Familienar­beit negativ beeinfluss­t. Umgekehrt fürchten aber zwei Drittel der Befragten, dass der Einsatz für den Nachwuchs ihnen Nachteile im Beruf bescheren könnte.

Der neue Einsatz für die Familie geht für die Männer sogar so weit, dass sie sich auch politisch und gesellscha­ftlich große Sorge um eine angemessen­e Ausstattun­g der Kitas mit Personal machen. Viele Väter sind inzwischen bereit, sich ehrenamtli­ch zu engagieren, um Mangellage­n zu beheben.

Die Studie zeigt einen Wandel in der deutschen Gesellscha­ft hin zu postmateri­ellen Werten. Offenbar haben sich die Gewichte verschoben – es werden weniger die klassische­n Vater-mutterRoll­en gelebt, sondern die der partnersch­aftlichen Aufteilung der Aufgaben. Das geht auch mit anderen Mentalität­sänderunge­n bei der jüngeren Generation zusammen. So stehen hier nicht mehr die Erwerbsarb­eit und die Karriere im Beruf im Mittelpunk­t der persönlich­en Lebensgest­altung. Das Zusammenle­ben mit dem Partner oder der Partnerin, die Fürsorge für die Kinder sowie Freundscha­ften und gegenseiti­ge Hilfe haben einen ähnlichen Stellen

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