Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Queere Jecken
Die fünfte Jahreszeit im Rheinland bietet traditionell die Gelegenheit, aus starren Strukturen auszubrechen, zu feiern und zu lachen. Doch wie festgefahren ist das Brauchtum in der Region? Fühlen sich homosexuelle Narren sicher?
DÜSSELDORF Karneval soll Spaß machen: Die Jecken können in eine andere Rolle schlüpfen, den Alltag hinter sich lassen und die närrischen Tage feiern. Doch gerade für queere Menschen können die zum Teil alkoholschweren Feiern auch zum Sicherheitsrisiko werden. Queer bedeutet, dass eine Person sich in ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität von der scheinbaren Norm (cis, also der Identifikation mit dem zugeschriebenen Geschlecht, und heterosexuell) abhebt, die also zum Beispiel schwul, lesbisch oder auch transidentitär ist. Wie queer ist also der Karneval in NRW?
Einer, der die Entwicklung des jecken Treibens schon lange verfolgt, ist Andreas Mauska. Er ist Präsident der Karnevalsgesellschaft (KG) Regenbogen, nicht nur einer der generell größten Karnevalsvereine Düsseldorfs, sondern seit seinem Gründungsjahr 2000 auch der größte schwul-lesbische Karnevalsverein Deutschlands. Seit den 2000er-jahren hat sich der Verein zu einer festen Größe im Düsseldorfer Karneval entwickelt, Veranstaltungen wie „Tunte Lauf!“sind beliebte Termine in der Landeshauptstadt.
„In den vergangenen 22 Jahren hat sich in der Akzeptanz wenig verändert“, sagt Mauska, „aber ich kann auch von nichts anderem berichten, als dass die Mehrheit schon immer sehr offen und freundlich uns gegenüber war.“Es gäbe zwar immer mal wieder Störer – besonders bei Veranstaltungen, die in normal geöffneten Gaststätten stattfinden und bei denen die Zuschauer nicht wüssten, was sie erwarte. „Aber bisher kam es nicht zu bedrohlichen Zwischenfällen“, sagt er. Erst vor wenigen Wochen habe ein Zuschauer während einer Veranstaltung den Mittelfinger Richtung Bühne gezeigt. Die Wirtin des Brauhauses habe den Gast sofort gebeten zu gehen. „Wenn überhaupt, dann bleibt es meistens bei verbalen Angriffen, auch wenn das natürlich schon schlimm genug ist“, so Mauska.
Eine positive Bilanz ziehen auch Thorsten Neumann und Axel Ladleif. Sie wurden 2019 zum ersten schwulen Prinzenpaar in Mönchengladbach proklamiert und absolvierten wegen der Pandemie gleich mehrere Sessionen. Auch sie sagen: „Wir wurden durch die Bank nur positiv aufgenommen.“Anfangs habe es auch Menschen gegeben, die lieber eine Prinzessin gesehen hätten. „Aber die gab es halt mit uns nicht, und wir haben dann immer auf das Folgejahr mit einem ‚traditionellen‘ Prinzenpaar verwiesen“, so die ExPrinzen. Echte Ablehnung hätten sie zu keinem Zeitpunkt erfahren.
Doch das Publikum ist nicht alles. Auch seitens der Stadt Düsseldorf und der anderen Vereine habe die KG Regenbogen stets Unterstützung erfahren, sagt Mauska: „Da war uns von Anfang an niemand feindlich gesinnt. Warum auch?“Die Teilnahme der Oberbürgermeister – nicht erst seit Stephan Keller – in der Jury des „Tunte Lauf“und die Unterstützung beim Ortswechsel seien ein Beispiel dafür. „Da wir in diesem Jahr statt in der Nachtresidenz im Schlösser-zelt sein werden, haben wir aber präventiv für mehr Sicherheitskräfte gesorgt“, so der Vereinspräsident. Mitten in der Altstadt sei das Sicherheitsrisiko schlicht höher als in der Nachtresidenz.
Auch die Mönchengladbacher Ex-prinzen konnten sich starken Rückhalts sicher sein. „Als wir gefragt wurden, ob wir uns vorstellen könnten, Prinzenpaar der Stadt Mönchengladbach zu werden, waren wir zunächst sehr positiv überrascht von der Frage“, so Neumann. Vom Mönchengladbacher Karnevalsverband als Dachorganisation, den Jecken und der Stadt seien sie stets mit offenen Armen begrüßt worden. Ihnen sei wichtig gewesen, nicht aus jeder Veranstaltung eine politische zu machen, sondern den Menschen Spaß zu bereiten.
Denn mancher Jeck vermisst etwa bei einem schwulen Prinzenpaar die Prinzessin. „Ich kann das schon verstehen. Für mich persönlich geht es da auch ein wenig um Tradition“, sagt Mauska. Doch im Vereinswesen sei es oft schwer genug, engagierte Menschen zu finden. Das sei auch der Grund, weshalb es im Vorstand der KG Regenbogen derzeit nur eine Frau gebe. Für Neumann und Ladleif ist die Frage nach der Tradition schnell beantwortet: „Die allerwichtigste Tradition im Karneval ist es, Spaß miteinander zu haben, und dafür spielt das Geschlecht unterm Strich, wie wir feststellen konnten, keine Rolle“, sagen sie. „Abgesehen davon, dass in Köln traditionell ein Dreigestirn von drei Männern verkörpert wird und die Prinzessin dann halt Hans, Max oder Georg heißt. Hat es je jemanden gestört? Nein – es war ja immer schon so.“