Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Es bleibt weniger Geld zum Leben übrig
Im vergangenen Jahr sind die Reallöhne so stark gesunken wie nie zuvor. Der Rückgang beträgt mehr als vier Prozent.
WIESBADEN/FRANKFURT Die hohe Inflation führt dazu, dass Arbeitnehmer spürbar weniger Geld in der Tasche haben, genauer gesagt: weniger Kaufkraft. Denn die Löhne in Deutschland sind im vergangenen Jahr zwar um durchschnittlich 3,4 Prozent gestiegen. Das allerdings bezieht sich auf die nominal durchgesetzten Lohnsteigerungen. Zieht man die Inflation ab, so sind die realen Löhne um 4,1 Prozent gesunken. Das hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag in einer ersten Schätzung mitgeteilt.
Dabei zeigen die Daten zwei Extreme: Zum einen handelt es sich um den stärksten Anstieg der Nominallöhne seit Beginn der Erhebungen dieser Zahlen 2008. Zum anderen ist es zugleich der stärkste Reallohnrückgang in den vergangenen 15 Jahren.
Die extrem hohe Inflation im vergangenen Jahr ist die Ursache beider Entwicklungen: Die Verbraucherpreise erhöhten sich 2022 um 7,9 Prozent, getrieben vor allem von hohen Preisen für Energie und Nahrungsmittel. Die steigenden Preise wiederum führten zu vergleichsweise hohen Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften und Arbeitnehmer. Deswegen haben die Löhne nominal vergleichsweise stark angezogen. In vielen Branchen sind Lohnabschlüsse erzielt worden, die sogar über den Steigerungen von 3,4 Prozent liegen. Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metallund Elektroindustrie etwa bekommen in zwei Schritten 8,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung von 3000 Euro netto. Im aktuell laufenden Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Post und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi liegt sogar eine Forderung von 15 Prozent auf dem Tisch, der dieser Tage per Streiks Nachdruck verliehen wird.
Trotz solcher Forderungen und bereits durchgesetzten deutlichen Tariferhöhungen gehen die meisten Ökonomen davon aus, dass der Konsum hierzulande nachlassen wird. Neben auf breiter Front an
INFO haltend hohen Preisen spielt hierbei auch Unsicherheit in Folge der sich überlagernden Krisen eine Rolle. „Die hohe Inflation macht sich vor allem bei den Konsumausgaben der privaten Haushalte bemerkbar“, erklärt der Ifo-konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Abzulesen war das auch am Rückgang des Bruttoinlandsproduktes im letzten Quartal des vergangenen Jahres. Die Wirtschaft schrumpfte um 0,2 Prozent – vor allem wegen sinkender Konsumausgaben. Für das laufende Jahr sind die Prognosen in dieser Hinsicht eher moderat. So rechnet etwa die Bundesregierung, dass die preisbereinigten Konsumausgaben in diesem Jahr weiter sinken werden. Immerhin hat die Inflation mittlerweile ein wenig nachgelassen und dieser Trend könnte auch in den kommenden Monaten noch anhalten. Alle führenden Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass die Inflation zurückgehen wird.
Das Kiel Institut für Weltwirtschaft etwa rechnet mit 5,4 Prozent Inflation in diesem Jahr. Für das kommende Jahr sehen Ökonomen eine weiter sinkende Teuerungsrate, was allerdings auch eine statistische Ursache hat. Denn die Teuerungsrate bezieht sich immer auf Werte ein Jahr zuvor. Bei nicht oder nur wenig weiter steigenden Preisen sinkt die Inflation im Folgejahr also quasi automatisch.
Es ist bereits das dritte Jahr in Folge, dass die Reallöhne gesunken sind. Im ersten Pandemiejahr 2020 hatte vor allem der verstärkte Einsatz von Kurzarbeit zu Verlusten bei den durchschnittlichen Reallöhnen geführt. Im Folgejahr waren es dann die steigenden Preise unter anderem aufgrund von Lieferengpässen, die die Inflation in die Höhe trieben und an der Kaufkraft der Lohnabhängigen knabberten.
Mit dem Krieg in der Ukraine und explodierenden Energiepreisen im vergangenen Jahr hat die Inflation dann ihren bisherigen Höhepunkt erreicht – mit Teuerungsraten, die zeitweilig im zweistelligen Prozentbereich lagen.