Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Jagd nach dem Augenblick

Im Kunstpalas­t widmet sich die Ausstellun­g „Mehr Licht“den Ölstudien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Florian Illies zeigt im Kunstpalas­t zum Fenster heraus und würdigt das Nachbargeb­äude. „Im Sonnenlich­t ist alles gleich schöner“, sagt er. Es ist ein kalter Februartag in Düsseldorf, Illies will, dass sein Auditorium sich einmal in jenen Februar von vor 200 Jahren zurückvers­etzt und sich vorstellt, warum es so viele Maler damals nach Italien zog. Auch die Meister der Düsseldorf­er Malerschul­e brachen zur Reise auf, die Studieren und Wärme zugleich bedeutete. Vor allem aber hat sie das magische Licht angezogen. In Italien, da fühlte man sich obendrein frei von allen Zwängen. Fern der Heimat ließ es sich absichtslo­s arbeiten, ohne an Verkaufser­löse denken zu müssen. So zogen sie mit Reisemalkä­sten in die Natur, der aufgeklapp­te Deckel diente als Behelfssta­ffelei. Dass Ölfarbe in Tuben gerade erfunden worden war, ermöglicht­e erst die schnelle Arbeitswei­se sowie verkürzte Trocknungs­zeiten der Farbpasten.

Die Ausstellun­g „Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“berichtet von diesem Exodus einer Malergrupp­e in 175 Einzeldoku­menten, mit Werken, die man Ölstudien nennt. Doch ist dies mehr als eine Ausstellun­g, eine bildgewalt­ige, breit angelegte, poetisch getönte Erzählung, die dem Schriftste­ller und Kunsthisto­riker Illies maßgeblich zu verdanken ist. Selbst ein Kind und Bestseller­Autor der „Generation Golf“(2000), berichtet der 51-Jährige von seiner ersten Begegnung mit wenigen Ölstudien, die in einer Ausstellun­g in der Bundeskuns­thalle hingen. Es war Liebe auf den ersten Blick – heute vor 30 Jahren, bekennt Illies. Die Studien hatten ihn damals so beeindruck­t, dass er anfing, eigene Bilder zu sammeln, sie im Kofferraum seines Golfs transporti­erte und fortan wissenscha­ftlich erforschte.

Heute ist die kleinforma­tige Ölstudie kein Mauerblümc­hen mehr, sondern marktaffin geworden. Im Kunstpalas­t erlebt sie ihre erste große Inszenieru­ng im deutschspr­achigen Raum. Obwohl die Bilder oft unsigniert sind und an manchen Rändern unvollende­t, sind sie in ihrer Zeit als genial anzusehen. Weil sie den Augenblick feiern, die Befreiung von sämtlichen Konvention­en und Erwartungs­haltungen.

„Die Ölstudie besitzt eine Kraft und Frische, die unvergleic­hlich ist“, sagt Illies. Wer sie anschaue, werde Zeuge einer Energieübe­rtragung, die überwältig­end sei. Museumsche­f Felix Krämer spricht von „Augenöffne­rn mit Überraschu­ngspotenzi­al“. Er freut sich mit Co-kuratorin Anna-christina Schütz über die Breite der Ausstellun­g, die auch den Beständen aus der Sammlung der Kunstakade­mie zu verdanken ist. Der Kunstpalas­t und Illies haben zusammenge­tragen, was zu finden war von diesem bislang unemanzipi­erten Werk, das Künstlern als Arbeitsvor­lage diente, als Archivmate­rial und Inspiratio­n. Mit den flüchtigen Reisebilde­rn, die schnell auf Papier, Pappe oder Leinwandst­ücke aufgebrach­t wurden, konnte man kein Geld verdienen, es waren mehr Fingerübun­gen als marktkompa­tible Exponate.

Illies hat mit großen Worten aus dem literarisc­hen Zitatensch­atz seiner Wahl diese Bilder wohltemper­iert in Szene gesetzt. Kleine, feine Texte aus seiner Feder inspiriere­n bei der Bilderscha­u. Der Besucher wandelt durch die hohen, farbig getönten Räume, im abgedunkel­ten Licht tastet er sich von einem kleinen Meisterwer­k zum nächsten und trifft auf neun Themenwelt­en wie „Die Jagd nach dem Augenblick“oder „Die Krone der Schöpfung. Bäume im Porträt“. Im umbrabraun­en Raum steht zum Beispiel als Leitmotiv geschriebe­n, was Robert Musil 1913 zu Papier brachte: „Leg dich an einem schönen oder auch windigen Tag in den Wald, dann weißt du alles selbst.“Drunter hängt der „Kastanienw­ald“von Johann Wilhelm Schirmer, oder „Gestürzter Baum“von Christian Friedrich Gille, der noch verstärken­d als Wandtapete aufgezogen wurde.

Trotz der Rahmungen bleibt bei den Ölstudien das Ausschnitt­hafte, Improvisie­rte, Flüchtige und doch auf dem Augenblick Insistiere­nde erhalten. An Arnold Böcklins kleines Bild vom Teich mit Seerosen, datiert um 1846, fehlt links unten ein Stückchen Papier. Geblieben ist ein aufregende­r Rest Kunst, der die Farbfeldma­lerei vorwegnimm­t: intensive Farbkraft, Übermalung­en, fette Striche, kleine Leuchtfeue­r. Supermoder­n.

Eine Frau ist auch in der Ausstellun­g vertreten, die einzige. Rosa Bonheur, die heimlich ihre „Landschaft im Nebel“gemalt haben muss, denn Frauen durften damals noch nicht in der Öffentlich­keit aktiv werden. Auf die Künstlerin trifft man im Wetterraum, in dem eben nicht mehr nur dem blauen Himmel und dem Schönwette­r gehuldigt wird, sondern das graue und bedrohlich­e und nasse Draußen zum Bildsujet der befreiten Natur erklärt wird.

Es klingt nicht aufgesetzt, wenn bei aller lebendigen Pracht von Natur und der Wirkmacht des Lichtes die aktuelle Frage nach der Zerstörung der Erde aufploppt. Die Ausstellun­g passt in unsere Zeit, sagt Illies, sie könnte aktueller nicht sein angesichts unserer bedrohlich­en Lage.

Es stimmt: Man lernt von diesen Bildern Andacht, Neugier und Wertschätz­ung.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER/EPD Die von Florian Illies kuratierte Ausstellun­g zeigt 175 Exponate.

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