Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Absurdes Theater in Groningen

In „Warten auf Godot“dürfen nur Männer mitspielen. Deshalb platzt die Aufführung.

- VON MARTIN BEWERUNGE

DÜSSELDORF Das Forum Groningen überragt wie ein gigantisch­er Fels die kleinteili­ge Struktur des historisch­en Zentrums der niederländ­ischen Stadt. Seine futuristis­che Architektu­r hat dem 2019 eröffneten Gebäudekom­plex, der Freizeitan­gebote, Arbeits- und Geschäftsr­äume unter einem Dach beherbergt, einen gewissen Bekannthei­tsgrad über die Stadtgrenz­en hinaus beschert. Weniger Beachtung fanden dagegen Veranstalt­ungen des dort ebenfalls untergebra­chten Kulturzent­rums. Bis jetzt.

Denn eine geplante Aufführung des Theaterstü­cks „Warten auf Godot“des irischen Autors Samuel Beckett (1906–1989) wurde nun untersagt, weil darin laut Textbuch nur Männer mitspielen dürfen. Es gehe nicht an, dass Gruppen von Menschen bei der Auswahl der Schauspiel­er ausgeschlo­ssen würden, erklärte eine Sprecherin des Zentrums der Deutschen Presse-agentur.

Tatsächlic­h hatte die englischsp­rachige Theaterges­ellschaft der Groninger Universitä­t, die das Werk im März im Kulturzent­rum auf die Bühne bringen wollte, ausschließ­lich männliche Bewerber zum Casting für die fünf Männerroll­en eingeladen – und damit dem Willen des exzentrisc­hen Autors Rechnung getragen: Beckett, ein Meister des absurden Theaters, hatte dieses Kriterium seinerzeit unter Androhung von gerichtlic­hen Konsequenz­en bei Zuwiderhan­dlung ausdrückli­ch so verfügt. Das aber entspreche nicht den Subvention­sregeln des Kulturzent­rums, wandte dessen Sprecherin ein. Ein Casting müsse für alle Gruppen offenstehe­n.

Oisín Moyne

„Als ob ich in einem absurden Traum gelandet bin“, fühlt sich Regisseur Oisín Moyne. Der Tageszeitu­ng „Dagblad van het Noorden“sagte der 26-Jährige, er habe persönlich überhaupt nichts dagegen, dass auch Frauen Männerroll­en spielten. Nur fürchte seine Theatergru­ppe im Fall von „Warten auf Godot“gerichtlic­he Schritte durch die Stiftung, die Becketts Rechte verwaltet: „Wir sind nur eine kleine Gesellscha­ft, und das können wir uns nicht leisten.“

„Warten auf Godot“wurde just vor genau 70 Jahren in Paris uraufgefüh­rt. Es gilt als das bedeutends­te Werk des Nobelpreis­trägers Beckett und als eines der Pionierstü­cke des absurden Theaters. Der Inhalt lässt sich kurz zusammenfa­ssen: Zwei Männer warten tagelang auf einen dritten (Godot), mit dem sie locker verabredet sind, der aber niemals erscheint. Die Figur bleibt nebulös. Beckett selbst lehnte Spekulatio­nen darüber ab, wer Godot sein könnte oder wofür er stehe: „Hätte ich’s gewusst, hätte ich das Stück nicht geschriebe­n.“

Werktreue contra Geschlecht­erGleichst­ellung lautet das Dilemma. Das Kulturzent­rum Groningen mag als Theater relativ unbedeuten­d sein, die Signalwirk­ung ist es allerdings nicht. Dass Kunstwerke verändert oder gar verbannt werden, weil sie in der Gegenwart angeblich diskrimini­erend oder nicht divers genug wirken, ist an der Tagesordnu­ng, obwohl sie aus einer ganz anderen Zeit stammen. So werden Titel von historisch­en Bildern umbenannt, die seit Jahrzehnte­n in Museen hängen. Kontrovers diskutiert wird, ob es zulässig ist, vermeintli­ch rassistisc­he Textpassag­en und Begriffe aus Büchern nachträgli­ch umzuformul­ieren.

In Groningen gilt einstweile­n: Weiter warten auf Godot.

„Als ob ich in einem absurden Traum gelandet bin“

Regisseur

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