Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Eine Botschaft in jedem Werk
Der Rundgang an der Düsseldorfer Akademie rückt alljährlich die junge Kunst ins Rampenlicht. Offenbart werden neben klassischen Themen Taten und Untaten, Utopien und Platzhalter.
DÜSSELDORF Jedes Jahr beim Rundgang ploppt die Frage auf, wie bunt es diesmal wird und wie laut. Wie politisch und wie provokant. Wie viel Inszenierung oder Intimität gerade angesagt ist. Wie tickt die junge Künstlerschaft, die in Düsseldorf studiert, nach der emotionalen und intellektuellen Corona-dürre in immer noch unruhigen Zeiten, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben der Gefahren und des mörderischen Unheils eines Aggressionskrieges vor der Haustür gewahr wird?
Hoch oben auf dem Dach der Kunstakademie wurde Geschütz aufgefahren, mit dem Kran auf den Dachfirst gehievt. Ein Kunstwerk, das wie ein Raketenabwehrsystem aussieht und alles Böse von der Lehranstalt fernhalten soll, der die Freiheit das Leitmotiv im Studium ist. Aus Stahl hat Tassilo Lantermann das 1,60 Meter hohe Objekt gebaut und panzerförmig stilisiert; es ist nur eine Hülle ohne Innenleben, grünlich schimmernd. Schon vor Ausbruch des Krieges hatte er das Konzept entwickelt. Ein zweites identisches Objekt steht auf der anderen Ecke des Daches in Stellung. Es gibt Plätze in der Altstadt, von denen aus man beide Abwehrsysteme im Blick hat. Sie sollen alles Böse von der Akademie fernhalten.
Kunst kann gedanklich Munition sein. Als die Idee entstand, so der Student aus der Klasse Grünfeld, gab es den Ukraine-krieg noch nicht, jetzt hat die Arbeit an Aktualität gewonnen. Dass eine solche Intervention am Bau im Stadtraum möglich ist, beweist die Freiheit der Kunststudierenden in Düsseldorf.
Alljährlich spiegelt der Rundgang die Fragen des Lebens, verschafft Einblick in die aktuellen Befindlichkeiten der Künstlerseelen. Kunst ist ein Echo. In fast jedem Werk steckt eine Botschaft. Wochen vorher schon öffnen sich bei Instagram die Infos, was in welchen Klassenräumen sehenswert sein soll. Das allein ist schon als ein künstlerischer Ansatz zu sehen. Wie betreibt die junge Generation augenfällig Selbstmanagement, populär verpackt, Werbung in eigener Sache? Für die spätere Karriere ist das nicht unwichtig.
Der Rundgang, in den 70ern ins Leben gerufen, ist auch im 250. Geburtstagsjahr der Akademie ein Ereignis. Mit ihm führt das Haus seine Debatte über das, was Kunst ist – was man am Rhein unter Leistung versteht. Die Professorenschaft entscheidet, wer ausstellen darf. In den Klassenräumen stehen die Türen offen, über mächtige Steintreppen mäandert der Besucherstrom durch die hohen Flure dieses unvergleichlichen Museums auf Zeit.
Neun Studierende der Klasse Hörnschemeyer haben Raum zehn gemeinsam komponiert, Theo Kruse ist einer von ihnen, gerade einmal 20 Jahre alt, und er hat vier käsegelb vorgefundene Kunststoffkörper zu einem Wandensemble zusammengefügt. Alles naturbelassen, wie Dämmmaterial nun mal ist – voluminös, unschön gelöchert und doch ästhetisch. Gegenüber gibt es wahre Schönheit in zwei Bildern seiner Kommilitonin Yena Yess – ein Teufelsgesicht verbirgt sich nur in der Halbabstraktion mit weiblichen Körperteilen. Die 22-Jährige liebt comichafte Zeichen und Fantasy, diese ruhigen Acrylgemälde sind nur ein Ausschnitt aus ihrer Ideenwerkstatt.
Wenn es eines Tages keinen Sauerstoff mehr gibt auf der Erde, könnte alles ganz schwarz sein. Das vermutet Saskia Tamara Kaiser, Studentin bei Gregor Schneider und zum Rundgang als Wissenschaftlerin mit weißem Kittel verkleidet. Die 28-Jährige hat eine dramatische Versuchsanordnung aufgebaut, in der
INFO
Ausstellung Auf drei Etagen in der Kunstakademie Düsseldorf, Eiskellerstraße 1, sind die meisten Klassenräume ab diesem Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt frei.
Buchung
Gruppenführungen für bis zu 15 Personen können für den Rundgang zum Preis von 75 Euro angefragt werden unter:
vanessa.sondermann@ kunstakademieduesseldorf.de
sie Performances zum Ende der Welt abhält.
Ganz weiß ist es dagegen bei Polly Bücek (32) in Raum 106. Stoff und Gaze hat sie zur Kugel verbaut mit vielen Eingriffen. Das schwebende Nest soll die Kraft von zu Hause darstellen, sagt die Künstlerin, in Öffnungen stecken unerwartete Dinge, die der Betrachter mit der Hand greifen und erraten kann. Reinweiß ist auch die Bar im Ensemble von Liora Epstein, die damit ihre Abschlussarbeit bei Dominique Gonzales-förster ablegt. Zukunftsmenschen ohne Gender-codierung hat sie aufgestellt, interessant gekleidet (Epstein ist auch Modedesignerin); der Sprengstoff findet sich in den Tagebüchern der bösen Taten, die ausliegen und politisieren. Ein raumfüllender Spielplatz mit Sand sowie schwarzen Strick- und Häkelarbeiten bietet Zerstreuung, unausgesprochen ist die Abschlussarbeit von Krystyna Fitz eine autobiografisch geprägte Erinnerungsleistung zwischen Mutter und Tochter.
Marlon Bösherz ist schon ein Star, Bandleader, Punker, Jazzer bei Botticelli Baby. Seine Abschlussarbeit verströmt Ruhe, ist eine einzige Verdichtung seines Studentenlebens, zugeschnittene und zusammengepresste Malereien aus Acryl auf Betttuch, gesammelte Skizzen und selbsteditierte Bücher. „Ich war ein Maler“, sagt der junge „Ver-dichter“zum Abschluss des Studiums, um 15 Uhr kommt die Prüfungskommission. Man wird ihn ins Leben entlassen.
Die Ausbeute beim Rundgang ist 2023 qualitativ hoch und energiegeladen, das sagt Interimsrektor Johannes Myssok. Er freut sich über die Befreiung aufgestauter Energien.