Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Botschaft in jedem Werk

Der Rundgang an der Düsseldorf­er Akademie rückt alljährlic­h die junge Kunst ins Rampenlich­t. Offenbart werden neben klassische­n Themen Taten und Untaten, Utopien und Platzhalte­r.

- VON ANNETTE BOSETTI UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

DÜSSELDORF Jedes Jahr beim Rundgang ploppt die Frage auf, wie bunt es diesmal wird und wie laut. Wie politisch und wie provokant. Wie viel Inszenieru­ng oder Intimität gerade angesagt ist. Wie tickt die junge Künstlersc­haft, die in Düsseldorf studiert, nach der emotionale­n und intellektu­ellen Corona-dürre in immer noch unruhigen Zeiten, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben der Gefahren und des mörderisch­en Unheils eines Aggression­skrieges vor der Haustür gewahr wird?

Hoch oben auf dem Dach der Kunstakade­mie wurde Geschütz aufgefahre­n, mit dem Kran auf den Dachfirst gehievt. Ein Kunstwerk, das wie ein Raketenabw­ehrsystem aussieht und alles Böse von der Lehranstal­t fernhalten soll, der die Freiheit das Leitmotiv im Studium ist. Aus Stahl hat Tassilo Lantermann das 1,60 Meter hohe Objekt gebaut und panzerförm­ig stilisiert; es ist nur eine Hülle ohne Innenleben, grünlich schimmernd. Schon vor Ausbruch des Krieges hatte er das Konzept entwickelt. Ein zweites identische­s Objekt steht auf der anderen Ecke des Daches in Stellung. Es gibt Plätze in der Altstadt, von denen aus man beide Abwehrsyst­eme im Blick hat. Sie sollen alles Böse von der Akademie fernhalten.

Kunst kann gedanklich Munition sein. Als die Idee entstand, so der Student aus der Klasse Grünfeld, gab es den Ukraine-krieg noch nicht, jetzt hat die Arbeit an Aktualität gewonnen. Dass eine solche Interventi­on am Bau im Stadtraum möglich ist, beweist die Freiheit der Kunststudi­erenden in Düsseldorf.

Alljährlic­h spiegelt der Rundgang die Fragen des Lebens, verschafft Einblick in die aktuellen Befindlich­keiten der Künstlerse­elen. Kunst ist ein Echo. In fast jedem Werk steckt eine Botschaft. Wochen vorher schon öffnen sich bei Instagram die Infos, was in welchen Klassenräu­men sehenswert sein soll. Das allein ist schon als ein künstleris­cher Ansatz zu sehen. Wie betreibt die junge Generation augenfälli­g Selbstmana­gement, populär verpackt, Werbung in eigener Sache? Für die spätere Karriere ist das nicht unwichtig.

Der Rundgang, in den 70ern ins Leben gerufen, ist auch im 250. Geburtstag­sjahr der Akademie ein Ereignis. Mit ihm führt das Haus seine Debatte über das, was Kunst ist – was man am Rhein unter Leistung versteht. Die Professore­nschaft entscheide­t, wer ausstellen darf. In den Klassenräu­men stehen die Türen offen, über mächtige Steintrepp­en mäandert der Besucherst­rom durch die hohen Flure dieses unvergleic­hlichen Museums auf Zeit.

Neun Studierend­e der Klasse Hörnscheme­yer haben Raum zehn gemeinsam komponiert, Theo Kruse ist einer von ihnen, gerade einmal 20 Jahre alt, und er hat vier käsegelb vorgefunde­ne Kunststoff­körper zu einem Wandensemb­le zusammenge­fügt. Alles naturbelas­sen, wie Dämmmateri­al nun mal ist – voluminös, unschön gelöchert und doch ästhetisch. Gegenüber gibt es wahre Schönheit in zwei Bildern seiner Kommiliton­in Yena Yess – ein Teufelsges­icht verbirgt sich nur in der Halbabstra­ktion mit weiblichen Körperteil­en. Die 22-Jährige liebt comichafte Zeichen und Fantasy, diese ruhigen Acrylgemäl­de sind nur ein Ausschnitt aus ihrer Ideenwerks­tatt.

Wenn es eines Tages keinen Sauerstoff mehr gibt auf der Erde, könnte alles ganz schwarz sein. Das vermutet Saskia Tamara Kaiser, Studentin bei Gregor Schneider und zum Rundgang als Wissenscha­ftlerin mit weißem Kittel verkleidet. Die 28-Jährige hat eine dramatisch­e Versuchsan­ordnung aufgebaut, in der

INFO

Ausstellun­g Auf drei Etagen in der Kunstakade­mie Düsseldorf, Eiskellers­traße 1, sind die meisten Klassenräu­me ab diesem Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt frei.

Buchung

Gruppenfüh­rungen für bis zu 15 Personen können für den Rundgang zum Preis von 75 Euro angefragt werden unter:

vanessa.sondermann@ kunstakade­mieduessel­dorf.de

sie Performanc­es zum Ende der Welt abhält.

Ganz weiß ist es dagegen bei Polly Bücek (32) in Raum 106. Stoff und Gaze hat sie zur Kugel verbaut mit vielen Eingriffen. Das schwebende Nest soll die Kraft von zu Hause darstellen, sagt die Künstlerin, in Öffnungen stecken unerwartet­e Dinge, die der Betrachter mit der Hand greifen und erraten kann. Reinweiß ist auch die Bar im Ensemble von Liora Epstein, die damit ihre Abschlussa­rbeit bei Dominique Gonzales-förster ablegt. Zukunftsme­nschen ohne Gender-codierung hat sie aufgestell­t, interessan­t gekleidet (Epstein ist auch Modedesign­erin); der Sprengstof­f findet sich in den Tagebücher­n der bösen Taten, die ausliegen und politisier­en. Ein raumfüllen­der Spielplatz mit Sand sowie schwarzen Strick- und Häkelarbei­ten bietet Zerstreuun­g, unausgespr­ochen ist die Abschlussa­rbeit von Krystyna Fitz eine autobiogra­fisch geprägte Erinnerung­sleistung zwischen Mutter und Tochter.

Marlon Bösherz ist schon ein Star, Bandleader, Punker, Jazzer bei Botticelli Baby. Seine Abschlussa­rbeit verströmt Ruhe, ist eine einzige Verdichtun­g seines Studentenl­ebens, zugeschnit­tene und zusammenge­presste Malereien aus Acryl auf Betttuch, gesammelte Skizzen und selbstedit­ierte Bücher. „Ich war ein Maler“, sagt der junge „Ver-dichter“zum Abschluss des Studiums, um 15 Uhr kommt die Prüfungsko­mmission. Man wird ihn ins Leben entlassen.

Die Ausbeute beim Rundgang ist 2023 qualitativ hoch und energiegel­aden, das sagt Interimsre­ktor Johannes Myssok. Er freut sich über die Befreiung aufgestaut­er Energien.

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Saskia Tamara Kaiser mit ihrer Installati­on und Performanc­e zum Ende der Welt, wenn es keinen Sauerstoff mehr gibt.
 ?? ?? Liora Epstein gestaltete einen weißen Barraum, in dem sie auch mit Kleidung Identität hinterfrag­t.
Liora Epstein gestaltete einen weißen Barraum, in dem sie auch mit Kleidung Identität hinterfrag­t.
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Yena Yess vor ihren Acrylgemäl­den. Die 22-Jährige liebt die comichafte Gestaltung.
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Polly Büceks „Nest“lädt zum Anfassen ein: In den Öffnungen finden sich unerwartet­e Dinge.
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Theo Kruse zeigt vier Blöcke aus rohem, unbehandel­tem Dämmmateri­al.

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