Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Feuer der Euphorie

Der südkoreani­sche Pianist Seong-jin Cho gab einen Klavierabe­nd in der Tonhalle. Er spielte unter anderem Werke von Sofia Gubaidulin­a.

- VON ANKE DEMIRSOY

DÜSSELDORF Manche Pianisten weichen ungern vom bewährten Repertoire ab. Sie sind kaum loszueisen von ihrem Chopin, ihrem Liszt oder Rachmanino­w, spielen bei den immer gleichen Festivals jahrelang nahezu identische Programme. Als der Koreaner Seong-jin Cho 2015 den Warschauer Chopin-wettbewerb gewann, schien auch er zunächst auf die Musik des Exilpolen festgelegt. Wie stark sich der 28-Jährige seither entwickelt hat, zeigte jetzt sein Auftritt bei den Heinersdor­ffKonzerte­n in der Tonhalle.

Chos Werkauswah­l ist klug durchdacht. Eingefädel­t durch eine Suite von Georg Friedrich Händel, mit dessen Musik er sich in jüngster Zeit intensiv befasst hat, spürt er der langen Halbwertze­it barocker Formen nach. Die strahlt durch eine Chaconne der bei Hamburg lebenden Russin Sofia Gubaidulin­a ebenso wie durch die Händel-variatione­n von Johannes Brahms. Es macht

Vergnügen, diesem inneren Band zu folgen, zumal Cho es mit hoher pianistisc­her Kompetenz entwickelt.

Der Pianist spielt Händels für Cembalo komponiert­e Suite Nr. 5 E-dur (HWV 430) auf dem modernen Steinway-flügel, nähert sich dem intimen Klang des historisch­en Vorbilds aber mit Feingefühl an. Obwohl sein Fuß kein einziges Mal das Pedal berührt, sind alle Töne wunderbar fließend verbunden. Geisteskla­rheit und Gedankenti­efe vereinen sich mit barocker Spielfreud­e und funkelnden Verzierung­en.

Sofia Gubaidulin­as „Chaconne“, ein Frühwerk aus Studienzei­ten, gleicht mit ihren majestätis­chen Eingangs- und Schlussakk­orden einer großen Verneigung vor einer versunkene­n Epoche. Cho versteht sich auf die innere Mathematik, die Gubaidulin­as Werken zugrunde liegt, trifft aber vor allem den bekenntnis­haften Ton der tief gläubigen Russin. Unter seinem Zugriff entsteht eine ausdruckss­tarke Skizze, die im finalen Donner der Bässe den „Zorn

Gottes“zu ahnen scheint, eines ihrer letzten Orchesterw­erke.

Ein wenig Anlauf benötigt der Pianist, um in die Händel-variatione­n (op. 24) von Johannes Brahms hineinzufi­nden. Nach und nach spielt er sich frei, steigert sich über Anklänge an Fuge und Toccata in einen Klangrausc­h, ohne grob in die Tasten zu klotzen. An diese Qualität schließt er nach der Pause an. Allen leidenscha­ftlichen Aufwallung­en zum Trotz bleiben vier (der insgesamt acht) Klavierstü­cke op. 76 von Johannes Brahms klar strukturie­rt. Im überborden­den Capriccio cisMoll liebäugelt er mit Entgrenzun­g und Kontrollve­rlust, ohne je die Zügel aus der Hand zu geben.

Zur Krönung gibt es Robert Schumanns fingerbrec­herische Sinfonisch­e Etüden op. 13. Souverän nimmt Seong-jin Cho sich hier Freiheiten heraus, die vor allem das Tempo betreffen. Euphorisch­es Feuer ist ihm hörbar wichtiger als motorische Strenge. Aber auch die Melancholi­e erhält ihren Platz in diesen Etüden, die trotz mancher Wiederholu­ng so gar nicht nach Übungsstüc­ken klingen.

Das sind große Gegensätze, aber Cho zieht den Spannungsb­ogen bis zum Finale durch. Dieses Allegro brillante gelingt ihm rustikal und überschwän­glich zugleich, samt höchst effektvoll­er harmonisch­er Schlusswen­dung. Für die Beifallsst­ürme bedankt sich der Pianist mit Georg Friedrich Händels Menuett g-moll, HWV 434, arrangiert vom unvergesse­nen Wilhelm Kempff.

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FOTO: SEONG-JIN CHO Der Pianist SeongJin Cho stammt aus Seoul.

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