Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Festplatte war gesichert wie ein Bunker

Ein mit der Auswertung der Tatvideos und -bilder befasster Beamter sagt als Zeuge im Wermelskir­chen-prozess aus.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Als der Kriminalbe­amte Carsten H. im Dezember 2021 die Festplatte von Marcus R. auf den Tisch bekam, war er eigentlich mit seinen Kollegen im Kölner Polizeiprä­sidium noch mit der Auswertung von Missbrauch­sbildern und -videos im Bergisch-gladbach-komplex beschäftig­t. Die Menge an Dateien, die die Auswerter nun vor sich hatten, übertraf alles, was sie bis dahin gesehen hatten: 3,5 Millionen Bilder und 1,5 Millionen Videos hatte R. allein auf dieser einen Festplatte gespeicher­t. „Es waren ausschließ­lich Missbrauch­sdarstellu­ngen“, sagt Carsten H.: „Da war kein einziges normales, harmloses Foto dabei.“

Der Ermittler wurde nun als Zeuge im Prozess um den Missbrauch­sfall Wermelskir­chen am Landgerich­t Köln vernommen. Der 34-Jährige arbeitet seit vier Jahren als Auswerter, „aber wir haben noch nie Material gefunden, das derart geordnet war“, sagt er: „Ich hatte den Eindruck, da hat sich jemand über Jahrzehnte eine Sammlung aufgebaut, ein riesiges Archiv.“Die ersten Bilder stammten von Anfang 2000, die letzten von 2019. Die Ermittler mussten die Dateien aus Tausenden Ordnern und Unterordne­rn priorisier­en, um herauszufi­nden, ob aktuell möglicherw­eise noch irgendwo ein Kind missbrauch­t wird.

Was ihnen half, war die penible Kategorisi­erung des Materials, die Marcus R. vorgenomme­n hatte. Der 45-Jährige hat detaillier­te Listen mit den Namen anderer Pädokrimin­eller, Opfer und Missbrauch­sarten geführt – wohl um nicht den Überblick über seine Sammlung zu verlieren. „So hatte man immer schon eine Vorahnung, was einen erwartet“, sagt Carsten H. Es gibt eine Erklärung dafür, warum der Mann, der in sämtlichen Chats übervorsic­htig war, immer nur unter Alias-namen schrieb und darauf achtete, auf Bildern und Videos nicht erkennbar zu sein, in der Beschriftu­ng seiner Daten derart unvorsicht­ig war: „Er konnte davon ausgehen, dass nie eine andere Person seine Sammlung sehen wird“, sagt Carsten H.: „Die Festplatte war gesichert wie eine Bunkeranla­ge.“

Der It-experte R. hatte dafür gesorgt, dass seine Videos, die teils schwerste sexualisie­rte Gewalt gegen kleine Kinder zeigen, absolut sicher sind. „Das hätte noch nicht mal der amerikanis­che Geheimdien­st entschlüss­eln können“, sagt H. Die Ermittler waren nur an die Daten gekommen, weil R. im Dezember 2021 von einem Spezialein­satzkomman­do am offenen Rechner festgenomm­en wurde. „Damals hatten wir noch keinen Hinweis darauf, dass er selbst aktiv Kinder missbrauch­t, aber unsere Erfahrung aus den anderen großen Missbrauch­sverfahren hat uns gelehrt, dass wir bei Tätern mit It-hintergrun­d Spezialist­en brauchen, um an ein offenes Gerät zu kommen“, sagt der Zeuge. Hätte die Polizei das damals anders eingeschät­zt, hätte wohl niemand R. so viele Taten nachweisen können.

Im Prozess geht es um 122 Fälle. Das jüngste Opfer war ein vier Wochen altes Mädchen.

H. macht deutlich: „Der Angeklagte muss einen Großteil seiner Freizeit und bestimmt auch seiner Arbeitszei­t damit verbracht haben, seiner sexuellen Neigung nachzugehe­n.“Im Prozess kommt immer wieder die Frage auf, ob R. mehr Kinder mit Schlafmitt­eln sediert hat, als er zugibt. Der Kriminalbe­amte sagt: „Wir haben dafür keine Belege, aber möglicherw­eise wurde nachgeholf­en.“Einige Tatvideos würden diesen Verdacht nahelegen. H. spricht von einem „tiefen Sadismus“, der sich durch die Chats der Täter ziehe. Dort sei es auch um Tötungsfan­tasien gegangen.

Der Vorsitzend­e Richter fragt den Zeugen: „Wie ging es Ihnen damit, ein halbes Jahr lang in diese Welt vorzustoße­n?“H. antwortet: „Nicht gut.“Er habe es immer geschafft, die Auswerter-arbeit objektiv betrachten zu können. „Aber die Masse hat es mir hier schwer gemacht“, sagt er: „Man sieht ein Kind sehr lange, es wird älter in den Videos, die Brutalität des Täters nimmt im Laufe der Zeit zu.“Ganz perfide habe er gefunden, dass R. ein Kind zuerst missbrauch­t, um dann mit hoch gestellter Stimme wieder mit ihm zu spielen. „Mein Eindruck ist, dass es weitere Taten gibt“, sagt er. Er habe das Gefühl, R. habe nur zugegeben, was die Ermittler ihm sicher nachweisen konnten.

H. wird ab Herbst eine andere Tätigkeit im Präsidium übernehmen. Die Belastung war zu hoch, sagt er. Ein Urteil im Prozess wird für Anfang März erwartet.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Der angeklagte It-experte (M.) beim Prozessauf­takt im vergangene­n Dezember.

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