Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Auf der Bühne fürs Leben lernen

In der Theatergru­ppe „Only ask Valery“gibt der ehemalige Lehrer Michael Stieleke jungen Erwachsene­n eine Plattform.

- VON CLAUS CLEMENS

DÜSSELDORF Längst ist es ein Klassiker des Denglische­n: das Casten. In seiner Ursprungss­prache bedeutet es „die Angel auswerfen“oder „fischen“. Hierzuland­e steht es für den Prozess der Auswahl von Schauspiel­ern. Es ist ein schwaches Verb, das sich ohne große Verbiegung konjugiere­n und modulieren lässt. Dass es im Englischen noch schwächer ist und als unregelmäß­iges Verb im Infinitiv, Imperfekt und Partizip nur eine einzige Form hat, bringt Juno Jahn zum Lachen. Die junge Frau ist Amerikaner­in, perfekt deutschspr­achig, und dem Theaterleh­rer Michael Stieleke ins Casting-netz gegangen. Zusammen mit sechs weiteren Amateuren verbringt sie derzeit ganze Wochenende­n auf einer Probebühne. In der nächsten Woche soll das Stück „Mehr Schwarz als Lila“seine Premiere feiern.

Juno spielt darin eine Hauptrolle. „Stopp“, unterbrich­t Stieleke das Gespräch mit ihr und korrigiert: „Eine größere Rolle.“Der langjährig­e Leiter von Theatergru­ppen am Goethe-gymnasium hat nach seiner Pensionier­ung das Projekt „Only ask Valery“aufgebaut. „Das ist eine Plattform für im Theaterspi­el talentiert­e und erfahrene Jugendlich­e und junge Erwachsene“, erklärt Stieleke: „Hier spielen junge Leute, die schon in anderem Kontext ihr Profil bewiesen haben. Sie wollen sich weiter ausprobier­en, parallel zur Schule, dem Studium oder der Ausbildung.“Bei den seit 2017 entstanden­en sieben Produktion­en sind einige Darsteller­innen und Darsteller länger geblieben, die meisten aber muss Stieleke immer neu casten.

Was bedeutet das Bühnenspie­l für junge Menschen? Was veranlasst sie, dem Schul- oder Berufsstre­ss ein weiteres Stressmome­nt beizufügen? Die Antwort der sieben jungen Darsteller von „Mehr Schwarz als Lila“gleichen sich in vielen Aspekten. Holly von Angern hat bereits in verschiede­nen Ensembles gespielt: „Für mich bietet das Spiel eine Abgrenzung von meinem normalen Leben. Theater ist sehr körperlich und praktisch. Das eigene Leben hinter sich lassen, sich in eine andere Person versetzen, das bringt’s.“Die anderen stimmen zu: „Einfach jemand komplett anderes sein, das geht nur auf der Bühne.“

Die in Düsseldorf lebenden Jugendlich­en treffen dabei auf günstige Umstände. Im Jungen Schauspiel werden immer wieder Spielclubs angeboten, mit profession­eller Betreuung und echter Bühnenprax­is. Sogenannte Hauptrolle­n, die Starallüre­n produziere­n könnten, sind allgemein verpönt. Gute Angebote macht auch das Forum Freies Theater (FFT) im Kap 1. Für die meisten jungen Leute aber ist das Schultheat­er der erste Einstieg ins Schauspiel­erleben, ob man dabei bleibt oder nicht. Die bekannte Schauspiel­erin Johanna Wokalek stand in ihrer Freiburger Schule zum ersten Mal auf der Bühne, wohlgemerk­t mit einer Rolle auf Latein. Wie in anderen Bundesländ­ern steht auch in NRW das Theaterspi­el als Wahlfach im Lehrplan. Als weiteren Ansporn gibt es jährlich ein vom Ministeriu­m geförderte­s und mit schönen Preisen ausgestatt­etes Festival für bemerkensw­ertes Schultheat­er unter dem Titel: „Maulhelden“.

Und wie geht man mit Kritik um? Diese Frage sorgt in der Runde im Freizeitze­ntrum Icklack für ein lebhaftes Hin und Her. Dabei stellt sich heraus, dass es altersbedi­ngt starke Vorbehalte gegen jede Form von Hierarchie gibt. Eliana Eminovic formuliert diplomatis­ch: „Zunächst ist das ein unangenehm­es Gefühl, wenn man kritisiert wird. Da verliert man kurzzeitig etwas die Lust an der Sache. Aber Nachdenken ist immer gut. Sobald man eingesehen hat, was an der Kritik berechtigt ist, hilft das weiter.“

Spielleite­r Michael Stieleke zeigt dabei ein Pokerface, und man ahnt, welche turbulente­n Kontrovers­en er hinter sich gebracht hat. Und als Clara von Busekist sich beinahe wie ein Politprofi zum Thema äußert, begreift man auch: In den langen Probenstun­den wird neben anderem das Erwachsenw­erden geschult.

In dem aktuellen Stück nach einem Jugendroma­n der Journalist­in Lena Gorelik geht es um eine Klassenfah­rt nach Auschwitz und den Umgang der Jugendlich­en mit der Ns-vergangenh­eit. Das Buch wird häufig in der Oberstufe gelesen, und das Münchner Residenzth­eater zeigte bereits eine Bühnenfass­ung. Und wie steht es um die von Juno Jahn gespielte „größere Rolle“, die vom Ensemble ganz klar als Hauptrolle verstanden wird? Wer hierzu Näheres erfahren möchte, könnte sich an diesem Donnerstag, 9. Februar, oder den drei Folgetagen um 20 Uhr zum Höherweg 12 begeben. „Es wird auf jeden Fall ein großartige­s Erlebnis“, verspreche­n Stieleke und die Dramaturgi­n Gila Maria Becker.

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FOTO: CECILIA GLÄSKER Im Stück geht es um eine Fahrt zur Gedenkstät­te des Konzentrat­ionslagers AuschwitzB­irkenau.

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