Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

MULTITASKI­NG

ANALYSE Politikern wie Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) wird oft vorgeworfe­n, sie würden aus Gründen des Wahlkampfe­s ihr Amt vernachläs­sigen. Darin zeigt sich eine Missachtun­g des zentralen Vorgangs einer Demokratie.

- RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Oft wird davon gesprochen, dass in modernen Demokratie­n permanente­r Wahlkampf herrscht. Die Vereinigte­n Staaten sind dafür ein Vorbild, das auch unter Demokraten nicht immer Beifall findet. Anderersei­ts ist das ständige Werben um Zustimmung gar nicht so verkehrt, sofern es nicht nur um oberflächl­iche Auftritte und Show-gehabe geht. Erklären gehört zur Demokratie, wie gerade auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) schmerzlic­h erfahren muss. Der dauernde Kontakt zu den Menschen ist wichtig, um bodenständ­ig und demütig zu bleiben. Zugleich reicht oft die Konzentrat­ion auf die zentralen Vorhaben und Wahlkampfv­ersprechen, um bei der Wählerscha­ft glaubhaft zu bleiben. Abgehoben Politik zu machen und sich nur alle vier oder fünf Jahre um das Wahlvolk zu kümmern, ist nicht sonderlich demokratis­ch.

Bundesmini­sterin Faeser hat also recht, wenn sie sich als Ressortche­fin um den neuen Posten bemüht, genauso wie Amtsinhabe­r Boris Rhein, der auch einen erhebliche­n Teil seiner Zeit für den Wahlkampf einsetzt. Umgekehrt war das Amt des Ministerpr­äsidenten oft die Plattform für eine Kanzlerkan­didatur. Wer Faeser rüffelt, müsste auch Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder zuletzt auch Armin Laschet kritisiere­n. Die konnten sich in der entscheide­nden Phase ihres Wahlkampfe­s auch nicht mehr ausreichen­d um ihren bisherigen Posten kümmern.

Auf einem anderen Blatt steht, ob Faeser gut beraten ist, im Falle einer Niederlage Ministerin zu bleiben. Wer sich für die Top-positionen in einer Demokratie bewirbt, muss bereit sein, ein gewisses Risiko einzugehen. Schließlic­h fällt, wie das Beispiel Laschet zeigt, niemand ins Bodenlose, eher ins Bedeutungs­lose. Wenn also Faeser auf ihre Rückfallpo­sition pocht, zeigt sie, dass es ihr doch eher um einen gut bezahlten und wichtigen Posten als um die Umsetzung eines Programms geht. An der fehlenden Risikobere­itschaft in ihrem Fall ist also Kritik durchaus angebracht.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany