Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Es lebe der Wahlkampf
INFO Prognosen für die Berlin-wahl
Kaum sind die schlimmsten Zeiten der Pandemie vorbei, macht Verdi den Bürgern das Leben mit einem Arbeitskampf schwer. Aus Sicht der Gewerkschaft verständlich: Mit keinem Streik lassen sich so viele Menschen treffen wie mit dem bei Kommunen. Kinder ohne Betreuung, Pendler ohne Bahn und volle Mülltonnen sind die Asse in jedem Tarifpoker. Zugleich kann die schwindsüchtige Gewerkschaft so neue Mitglieder werben. Dass die Streiks schon in einem so frühen Stadium der Verhandlungen so massiv sind, ist allerdings auch Schuld der Kommunen. Zu spät haben sie die Gespräche gestartet und müssen nun verhandeln, obwohl die Friedenspflicht bereits abgelaufen ist. Das kann man alles entspannter haben, erst recht, wenn man frühzeitig ein Angebot vorlegt.
In der Sache haben die Arbeitgeber hingegen recht: Die Lohnforderungen von Verdi und Beamtenbund sind in jeder Hinsicht maßlos. Weit mehr zu verlangen als einen Inflationsausgleich, hat mit gesamtwirtschaftlicher Verantwortung nichts zu tun. Das gilt umso mehr, als der Höhepunkt der Teuerung bereits überschritten ist, wie die Inflation für Januar zeigt. Die Kommunen können die Milliarden-belastung nicht verkraften, ohne sich weiter zu verschulden, Schulen und Straßen verkommen zu lassen. Vor allem aber haben sie – anders als etwa die Metall- und Elektroindustrie – keine Produktivitätsfortschritte, die solche Anhebungen rechtfertigen. Und diese Branche hat acht Prozent mehr Lohn – gestreckt über zwei Jahre – vereinbart. Den Kommunen wie anderen Teilen des öffentlichen Dienstes gelingt es nicht, die Digitalisierungsrendite einzufahren, wie der GrundsteuerÄrger, die Faxgeräte in den Gesundheitsämtern und die miese Terminsoftware in Bürgerbüros zeigen. Angesichts dieser Restriktionen müssen sich Bürger auf einen langen Arbeitskampf zu ihren Lasten einstellen.
Es stimmt: Der Kanzler und seine Ministerinnen und Minister haben den Eid geschworen, ihre ganze Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes“zu widmen. Ist es also erlaubt, neben seinem Amt voll in den Wahlkampf einzusteigen? Die Diskussion entstand, als Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Spitzenkandidatur für die SPD in Hessen ankündigte. „Die Führung des Innenministeriums ist keine Teilzeitbeschäftigung“, ätzte daraufhin der Grünen-politiker Konstantin von Notz, immerhin selbst Teil der Ampelkoalition mit den Sozialdemokraten. Auch die Union warf Faeser eine Vernachlässigung ihres Amtes vor. Jetzt steht in Berlin nach nur 16 Monaten erneut eine Landtagswahl an, die manche für unnötig erachten, weil es doch nur ein paar kleinere Fehler gegeben habe. Sind also Wahlen und die bisweilen schrille Begleitmusik nur das notwendige Übel in einem Staat, der vor allem gut verwaltet werden soll?
Hinter einer solchen Kritik oder Auffassung steht ein eigenartiges Politikverständnis. Ganz oben stehen das Amt und sein Inhaber oder seine Inhaberin. Dann kommt so etwas wie ein unvermeidlicher Wahlkampf hinzu. Aber bitte nicht schmutzig machen und allzu viel Zeit darauf verwenden. In Deutschland hat das durchaus Tradition. Ministerämter und ihre jeweiligen Chefs oder Chefinnen werden gern überhöht. Es wird so getan, als ob ein Minister oder eine Ministerin sowohl Experte in seinem oder ihrem Fach sein muss, als auch stets die ganze Aufmerksamkeit auf die Verwaltung dieser Behörde zu richten hat. Da bleibt für den als zweitrangig empfundenen Wahlkampf tatsächlich wenig Zeit.
In einer Demokratie sollten aber an
GELD UND LEBEN
Um die hohe Inflation zu bekämpfen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) in der letzten Woche ihre Zinsen um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Der entscheidende Leitzins liegt jetzt bei 2,5 Prozent. Diese Zinsentscheidung war richtig. Die Inflation ist hoch (im Januar lag die Inflationsrate im Euroraum bei 8,7 Prozent) und für dieses und das nächste Jahr werden Inflationsraten erwartet, die über dem Zielwert der EZB von zwei Prozent liegen. Entscheidend ist aber, dass die hohe Inflationsrate in erster Linie nicht mehr nur die stark gestiegenen Preise für Energie und Nahrungsmittel widerspiegelt. Auch die Kerninflationsrate, die diese Preiserhöhungen nicht berücksichtigt, liegt bei über fünf Prozent. dere Maßstäbe gelten. Wahlkampf bedeutet das Ringen um die Gunst des wahren Souveräns, des Bürgers und der Bürgerin. Er oder sie verteilen das Mandat – und zwar auf Zeit. Nach diesem Konzept ist der Wahlkampf sogar wichtiger als das Amt. Es geht nämlich darum, die Wählerschaft von einer bestimmten Politik zu überzeugen, die dann im Auftrag des Ministers oder der Ministerin von Experten, den Beamtinnen und Beamten, so effizient wie möglich umgesetzt wird.
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es zu einer Zeit, als er noch nicht von seinem russischen Freund Wladimir Putin mit guten Jobs versorgt wurde, prägnant auf den Punkt gebracht. Die Regierung, so Schröder in seinen Erinnerungen unmittelbar nach seiner Abwahl, könnten auch fähige Staatsdiener führen, der Politiker oder die Politikerin bewähre sich dagegen vor allem im Wahlkampf. Der Erfolg in der demokratischen Abstimmung bestimmt den Wert einer politischen Persönlichkeit und verleiht ihr die notwendige Macht, den eigenen Programmentwurf auch umzusetzen.
Natürlich sind bestimmte Fähigkeiten bei der Führung eines Ministeriums wichtig. Dazu gehören Menschenkenntnis, schnelle Auffassungsgabe, die Kunst des Delegierens sowie Durchsetzungsfähigkeit und Geschick, die notwendigen Mehrheiten im politischen Raum zu finden. Natürlich muss sich ein Ressortchef in sein Amt einarbeiten und die damit verbundenen Aufgaben sehr ernst nehmen. Wenn jemand Verwaltungserfahrung und sogar Expertise im jeweiligen Fach hat, hilft das an der Spitze eines Ministeriums. Aber begnadete Persönlichkeiten können auch die operative Führung ihres Hauses an einen starken und loyalen Staatssekretär abgeben und sich ganz um das demokratische Werben für die eigenen Ideen kümmern.
Prognosen
Die neueste Umfrage des Forschungsinstituts Forsa zeichnete eine Woche vor der Wahl an diesem Sonntag ein klares Meinungsbild: Demnach würde sich die CDU mit 26 Prozent deutlich von den konkurrierenden Parteien absetzen. Die Grünen kämen auf 18 Prozent, dicht gefolgt von der SPD mit 17 Prozent. Die Linke und sonstige Parteien erhalten in den Umfragen je zwölf, die AFD zehn und die FDP fünf Prozent.
Bündnisse
Ein schwarz-grünes oder grün-schwarzes Bündnis haben die Beteiligten bereits ausgeschlossen. Die Politologin Julia Reuschenbach hält deshalb eine Fortsetzung des rot-grün-roten Senats – womöglich abgewandelt unter grüner Führung – für möglich. Alternativ stehe ein Bündnis aus CDU und SPD oder eine Koalition aus CDU, SPD und FDP im Raum – wenn der FDP der Einzug in das Abgeordnetenhaus gelingt.
Ergebnisse
In wenigen Tagen werden die Berliner und Berlinerinnen Gewissheit haben. Kurz nach der Schließung der Wahllokale am Sonntag um 18 Uhr werden die ersten Prognosen veröffentlicht. Ein vorläufiges Ergebnis wird es erst spät in der Nacht gegen 1.30 Uhr geben.
Es sind fast alle Preise stark gestiegen – ob für Körperpflegeprodukte oder Schreibwaren. Insgesamt „frisst sich die Inflation immer mehr durch die Wirtschaft und gewinnt an Breite“, wie Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, sagt. Durch die Zinserhöhung sagt die EZB der Inflation weiter den Kampf an: Die Erhöhung bewirkt steigende Zinsen. Damit werden weniger Kredite aufgenommen, und es besteht ein stärkerer Anreiz zu sparen. Es wird also weniger konsumiert. Das dämpft den Preisdruck.
Natürlich wirken derzeit auch die hohen Preise selbst und schlechtere Konjunkturaussichten dämpfend auf die Nachfrage. Auch der allmähliche Abbau der Lieferengpässe und die gesunkenen Energiepreise wirken preisdämpfend. Doch bestehen auch weiterhin Risiken für steigende Preise, zum Beispiel durch mögliche hohe Lohnabschlüsse oder steigende Rohstoffpreise als Folge einer schnellen und starken Erholung der chinesischen Wirtschaft, die die Nachfrage nach Rohstoffen erhöht.
Insgesamt betrachtet war es derzeit richtig, dass die EZB die Zinsen weiter erhöht hat. Insbesondere wenn man bedenkt, dass ein Leitzins von 2,5 Prozent auch angesichts einer Kerninflationsrate von über fünf Prozent noch relativ niedrig ist.
Unsere Autorin ist Professorin für monetäre Makroökonomik an der Universität Düsseldorf. Sie wechselt sich hier mit dem Wettbewerbsökonomen Justus Haucap und dem Vermögensexperten Karsten Tripp ab.