Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Seelenlebe­n eines Polizisten

David E. war bei der Lützerath-räumung dabei und berichtet, wie belastend der Einsatz war – und was ihn überrascht­e.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

AACHEN/LÜTZERATH Die größte Überraschu­ng erlebte David E. direkt zu Einsatzbeg­inn. Die meisten vermummten Aktivisten, die in weißen Overalls auf den Erdwällen vor den Toren Lützerahts standen, leisteten kaum Widerstand, als die Räumung begann. „Man musste sie nur ansprechen, leicht an der Schulter fassen und dann runterführ­en. Das war das erste Mal, als ich gedacht habe: ‚Huch! Das ging ja leicht.’ Ich hatte mit wesentlich mehr Gegenwind gerechnet“, sagt der 35-Jährige. „Da machte sich in der Truppe erste Erleichter­ung breit.“

David E. ist Gruppenfüh­rer einer Einsatzhun­dertschaft der Polizei Aachen und tagelang in Lützerath im Einsatz gewesen. Nun, einige Wochen nach der Räumung, schaut er zurück: Was hat der Einsatz mit ihm gemacht? Wie hat er die Tage dort empfunden? Und wer ist die Person hinter der Uniform?

Das Gespräch mit ihm findet in einem Konferenzr­aum im Polizeiprä­sidium Aachen statt. Es ist weder selbstvers­tändlich noch alltäglich, dass ein Polizist, der keine Sprecher- oder Gewerkscha­ftsfunktio­n bekleidet, öffentlich Position zu einem Einsatz bezieht und Einblick in seine Gefühlswel­t gewährt. E. hat dem Treffen mit unserer Redaktion auch zugestimmt, weil es ihm wichtig ist, dass die Leute sehen, dass sich hinter Helm und schwerer Montur ganz normale Menschen verbergen. E. ist Vater von zwei Kindern. Familie und Freunde waren in Sorge um ihn. „Ich habe mehrere Nachrichte­n aus meinem näheren Umfeld bekommen, dass ich gut auf mich aufpassen sollte“, sagt er. „Besonders im Vorfeld, weil der Einsatz unter dem Schatten von Hambach stand, wo es extrem war.“

Am 11. Januar, dem Beginn der Räumung, stand E. um 3 Uhr morgens auf. Eine Stunde später traf er sich mit seinen Kolleginne­n und Kollegen auf der Dienststel­le in Aachen. Es hieß: Zum Tagesanbru­ch gehen wir rein. Der Auftrag: „Schnell ins Dorf reinkommen und Bereiche sichern“, berichtet E. „Wir haben gewartet, bis es hell ist, weil es dann am sichersten für alle Beteiligte­n ist“, so der 35-Jährige.

Der 35-Jährige gehörte in Lützerath mit seiner Einheit zu den Sicherheit­skräften. Seine Schicht dauert täglich zwölf Stunden – und länger. „Die Tage waren physisch und psychisch sehr anstrengen­d. Zu den langen Einsatzzei­ten kam noch die An- und Abfahrt. Und das alles in der Schutzausr­üstung, die einiges wiegt“, betont E. Der 35-Jährige wohnt zwar nicht weit von Lützerath entfernt, aber nach Hause zu seiner Familie fuhr er nach Schichtend­e trotzdem nicht – der Aufwand wäre zu groß gewesen. Stattdesse­n wurde die Übernachtu­ng der Einheit in nahe gelegenen Hotels angeordnet; dort gab es morgens um halb fünf Frühstück. „Hier merkte man erst, wie müde und kaputt man war“, so E. „Bis auf die Schlafensz­eit war man ja fast die ganze Zeit in Montur aufgerüste­t“, sagt er.

Im Gegensatz zu anderen Einheiten, denen teilweise erhebliche­r Widerstand entgegensc­hlug, wurde E. nur mit vergleichs­weise mildem Widerstand konfrontie­rt. Allerdings überrascht­e ihn auch das ungenierte Verhalten, das einige Aktivisten an den Tag gelegt haben. „Sie haben vor unseren Augen einfach ihre Hosen runtergela­ssen und uriniert“, sagt der 35-Jährige. Anders als im Hambacher Forst habe es aber keinen Bewurf mit Fäkalien gegeben. „Immerhin haben sie uns diesmal vorher gewarnt: Achtung, ich pinkele jetzt von oben runter. Je nach Windrichtu­ng war das aber nicht immer hilfreich“, berichtet E.

Er bringt durchaus Verständni­s für die Aktivisten auf. „Ich konnte deren Zorn zum Teil nachvollzi­ehen. Wir sind schließlic­h zu ihnen gekommen, um das zu zerstören, was sie seit Jahren dort aufgebaut hatten und wofür sie in ihren Augen kämpfen“, sagt er. E. stand häufig unter den Baumhäuser­n. Einmal fiel von oben ein Zauberwürf­el herunter. „Wir haben den aufgehoben, fertiggema­cht und wieder zu den Aktivisten hochgeworf­en“, sagt er. Mit einigen sei er ins Gespräch gekommen; nicht alle hätten sich abweisend und aggressiv gezeigt. „Wir haben vermutet, dass sie zum Teil froh waren, als sie von den Bäumen runter waren. Die hatten sich mit letzter Kraft dort oben gehalten.“

Ein Zug seiner Hundertsch­aft stand bei der Demonstrat­ion, bei der es drei Tage nach Beginn der Räumung zu massiven Ausschreit­ungen kam, direkt in Lützerath hinter dem Zaun. Wäre es den Krawallmac­hern gelungen, die letzte Polizeiket­te zu überwinden, wären sie auf diesen Einsatzzug getroffen. Ein Tag, über den auf den Polizeiflu­ren viel gesprochen wird. „Ein Kollege hat mir heute noch gesagt, dass er Sorge hatte, weil Lützerath durch die Umzäunung wie ein Käfig direkt an der Abbruchkan­te war, in dem man sich nicht beliebig weit hätte zurückdrän­gen lassen können“, sagt E. „Wenn da gut 2000 gewaltbere­ite Personen tatsächlic­h eingedrung­en wären...“Und weiter: „Die Hälfte der Demonstran­ten ist an dem Tag einfach mitgestürm­t. Die haben offenbar nicht die bewusste Entscheidu­ng getroffen, dass sie nach Lützerath reinwollen. Dieser

Teil ließ sich von der Polizeiprä­senz abschrecke­n. Aber die, die mehrere Polizeiket­ten überwunden hatten, die wollten rein. Von denen wusste man nicht, wie weit die gehen werden. Die Gewaltbere­itschaft von so vielen, so weit zu gehen, war für viele von uns vor Ort überrasche­nd.“

Eine Woche nach der Demonstrat­ion ist die Hauptphase des Einsatzes für die Polizei vorbei – einhergehe­nd mit dem Ende der Mahnwachen und deutlichen Abwanderun­gen von „Aktivisten“. „Die Zwölf-stunden-schichten werden wieder abgeschaff­t und wir konnten wieder in den Regeldiens­t zurückkehr­en“, sagt David E. „Damit war der große Klotz Lützerath für uns beendet.“Es war der kräftezehr­endste Einsatz seiner Polizeilau­fbahn.

Lützerath war in einem tagelangen Großeinsat­z der Polizei gegen den Widerstand Hunderter Klimaaktiv­isten geräumt worden, die sich dort seit Monaten verschanzt hatten. Der Energiekon­zern RWE will dort Braunkohle abbauen. Auch nach dem Abriss der Häuser kam es zu weiteren Protestakt­ionen von Braunkohle­gegnern in der gesamten Region.

KÖLN (dpa) Am Rheinufer in Köln ist am Donnerstag ein Kran umgekippt und in Teilen in den Rhein gestürzt. Verletzt worden sei niemand, teilte die Feuerwehr mit. Das Unglück ereignete sich an einer Baustelle in der Nähe des Pegelturms. Das Aufrichten übernehme eine Spezialfir­ma. Weshalb der Teleskopkr­an umkippte, war zunächst nicht bekannt.

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FOTO: GORDON WELTERS/KNA Die Polizei hatte bei der Räumung von Lützerath tagelang alle Hände voll zu tun. Ein Beamter berichtet unserer Redaktion, dass der Einsatz sehr belastend war – es gab aber auch positive Überraschu­ngen.
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FOTO: POLIZEI AACHEN Polizist David E.

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