Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Das Seelenleben eines Polizisten
David E. war bei der Lützerath-räumung dabei und berichtet, wie belastend der Einsatz war – und was ihn überraschte.
AACHEN/LÜTZERATH Die größte Überraschung erlebte David E. direkt zu Einsatzbeginn. Die meisten vermummten Aktivisten, die in weißen Overalls auf den Erdwällen vor den Toren Lützerahts standen, leisteten kaum Widerstand, als die Räumung begann. „Man musste sie nur ansprechen, leicht an der Schulter fassen und dann runterführen. Das war das erste Mal, als ich gedacht habe: ‚Huch! Das ging ja leicht.’ Ich hatte mit wesentlich mehr Gegenwind gerechnet“, sagt der 35-Jährige. „Da machte sich in der Truppe erste Erleichterung breit.“
David E. ist Gruppenführer einer Einsatzhundertschaft der Polizei Aachen und tagelang in Lützerath im Einsatz gewesen. Nun, einige Wochen nach der Räumung, schaut er zurück: Was hat der Einsatz mit ihm gemacht? Wie hat er die Tage dort empfunden? Und wer ist die Person hinter der Uniform?
Das Gespräch mit ihm findet in einem Konferenzraum im Polizeipräsidium Aachen statt. Es ist weder selbstverständlich noch alltäglich, dass ein Polizist, der keine Sprecher- oder Gewerkschaftsfunktion bekleidet, öffentlich Position zu einem Einsatz bezieht und Einblick in seine Gefühlswelt gewährt. E. hat dem Treffen mit unserer Redaktion auch zugestimmt, weil es ihm wichtig ist, dass die Leute sehen, dass sich hinter Helm und schwerer Montur ganz normale Menschen verbergen. E. ist Vater von zwei Kindern. Familie und Freunde waren in Sorge um ihn. „Ich habe mehrere Nachrichten aus meinem näheren Umfeld bekommen, dass ich gut auf mich aufpassen sollte“, sagt er. „Besonders im Vorfeld, weil der Einsatz unter dem Schatten von Hambach stand, wo es extrem war.“
Am 11. Januar, dem Beginn der Räumung, stand E. um 3 Uhr morgens auf. Eine Stunde später traf er sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen auf der Dienststelle in Aachen. Es hieß: Zum Tagesanbruch gehen wir rein. Der Auftrag: „Schnell ins Dorf reinkommen und Bereiche sichern“, berichtet E. „Wir haben gewartet, bis es hell ist, weil es dann am sichersten für alle Beteiligten ist“, so der 35-Jährige.
Der 35-Jährige gehörte in Lützerath mit seiner Einheit zu den Sicherheitskräften. Seine Schicht dauert täglich zwölf Stunden – und länger. „Die Tage waren physisch und psychisch sehr anstrengend. Zu den langen Einsatzzeiten kam noch die An- und Abfahrt. Und das alles in der Schutzausrüstung, die einiges wiegt“, betont E. Der 35-Jährige wohnt zwar nicht weit von Lützerath entfernt, aber nach Hause zu seiner Familie fuhr er nach Schichtende trotzdem nicht – der Aufwand wäre zu groß gewesen. Stattdessen wurde die Übernachtung der Einheit in nahe gelegenen Hotels angeordnet; dort gab es morgens um halb fünf Frühstück. „Hier merkte man erst, wie müde und kaputt man war“, so E. „Bis auf die Schlafenszeit war man ja fast die ganze Zeit in Montur aufgerüstet“, sagt er.
Im Gegensatz zu anderen Einheiten, denen teilweise erheblicher Widerstand entgegenschlug, wurde E. nur mit vergleichsweise mildem Widerstand konfrontiert. Allerdings überraschte ihn auch das ungenierte Verhalten, das einige Aktivisten an den Tag gelegt haben. „Sie haben vor unseren Augen einfach ihre Hosen runtergelassen und uriniert“, sagt der 35-Jährige. Anders als im Hambacher Forst habe es aber keinen Bewurf mit Fäkalien gegeben. „Immerhin haben sie uns diesmal vorher gewarnt: Achtung, ich pinkele jetzt von oben runter. Je nach Windrichtung war das aber nicht immer hilfreich“, berichtet E.
Er bringt durchaus Verständnis für die Aktivisten auf. „Ich konnte deren Zorn zum Teil nachvollziehen. Wir sind schließlich zu ihnen gekommen, um das zu zerstören, was sie seit Jahren dort aufgebaut hatten und wofür sie in ihren Augen kämpfen“, sagt er. E. stand häufig unter den Baumhäusern. Einmal fiel von oben ein Zauberwürfel herunter. „Wir haben den aufgehoben, fertiggemacht und wieder zu den Aktivisten hochgeworfen“, sagt er. Mit einigen sei er ins Gespräch gekommen; nicht alle hätten sich abweisend und aggressiv gezeigt. „Wir haben vermutet, dass sie zum Teil froh waren, als sie von den Bäumen runter waren. Die hatten sich mit letzter Kraft dort oben gehalten.“
Ein Zug seiner Hundertschaft stand bei der Demonstration, bei der es drei Tage nach Beginn der Räumung zu massiven Ausschreitungen kam, direkt in Lützerath hinter dem Zaun. Wäre es den Krawallmachern gelungen, die letzte Polizeikette zu überwinden, wären sie auf diesen Einsatzzug getroffen. Ein Tag, über den auf den Polizeifluren viel gesprochen wird. „Ein Kollege hat mir heute noch gesagt, dass er Sorge hatte, weil Lützerath durch die Umzäunung wie ein Käfig direkt an der Abbruchkante war, in dem man sich nicht beliebig weit hätte zurückdrängen lassen können“, sagt E. „Wenn da gut 2000 gewaltbereite Personen tatsächlich eingedrungen wären...“Und weiter: „Die Hälfte der Demonstranten ist an dem Tag einfach mitgestürmt. Die haben offenbar nicht die bewusste Entscheidung getroffen, dass sie nach Lützerath reinwollen. Dieser
Teil ließ sich von der Polizeipräsenz abschrecken. Aber die, die mehrere Polizeiketten überwunden hatten, die wollten rein. Von denen wusste man nicht, wie weit die gehen werden. Die Gewaltbereitschaft von so vielen, so weit zu gehen, war für viele von uns vor Ort überraschend.“
Eine Woche nach der Demonstration ist die Hauptphase des Einsatzes für die Polizei vorbei – einhergehend mit dem Ende der Mahnwachen und deutlichen Abwanderungen von „Aktivisten“. „Die Zwölf-stunden-schichten werden wieder abgeschafft und wir konnten wieder in den Regeldienst zurückkehren“, sagt David E. „Damit war der große Klotz Lützerath für uns beendet.“Es war der kräftezehrendste Einsatz seiner Polizeilaufbahn.
Lützerath war in einem tagelangen Großeinsatz der Polizei gegen den Widerstand Hunderter Klimaaktivisten geräumt worden, die sich dort seit Monaten verschanzt hatten. Der Energiekonzern RWE will dort Braunkohle abbauen. Auch nach dem Abriss der Häuser kam es zu weiteren Protestaktionen von Braunkohlegegnern in der gesamten Region.
KÖLN (dpa) Am Rheinufer in Köln ist am Donnerstag ein Kran umgekippt und in Teilen in den Rhein gestürzt. Verletzt worden sei niemand, teilte die Feuerwehr mit. Das Unglück ereignete sich an einer Baustelle in der Nähe des Pegelturms. Das Aufrichten übernehme eine Spezialfirma. Weshalb der Teleskopkran umkippte, war zunächst nicht bekannt.