Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Tausende zum Umsteigen gezwungen
In vielen Städten im Land fielen Straßenbahnen aus und blieben Kitas geschlossen. Bis zur dritten Verhandlungsrunde im Frühjahr sollen weitere Ausstände folgen. Die Kommunen halten 10,5 Prozent mehr Lohn für nicht verkraftbar.
DÜSSELDORF Straßenbahnen blieben im Depot, Mülltonnen wurden nicht geleert und Kita-kinder mussten zu Hause bleiben: Der Warnstreik von Verdi stellte am Donnerstag viele Bürger in NordrheinWestfalen vor Probleme. Und es wird nicht der letzte Streik in dieser Tarifrunde sein.
Wo wurde in NRW gestreikt?
Laut Verdi wurde allein in NRW in neun von elf Bezirken gestreikt. Dabei waren verschiedene Bereiche betroffen, neben dem Nahverkehr auch Stadtverwaltungen, Kitas, Müllentsorgungsbetriebe und Kliniken. In Düsseldorf blieben aber fast alle Kitas und Bürgerbüros geöffnet, der Abfallentsorger Awista bot einen Notdienst an. Im Nahverkehr waren am Donnerstag laut Verdi Düsseldorf, Bielefeld, Dortmund, Remscheid, Solingen und Wuppertal betroffen, die Auswirkungen waren aber über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus spürbar. Laut Rheinbahn beeinträchtigt der Streik den Verkehr im kompletten Verbreitungsgebiet: Düsseldorf, der Kreis Mettmann, die Stadt Meerbusch und die Verbindungen nach
Duisburg, Krefeld, Neuss und Ratingen. Auch die Kundencenter blieben geschlossen. Die Streiks starteten am Donnerstagmorgen um 3 Uhr und sollen 48 Stunden lang dauern. So fahren zum Beispiel in Düsseldorf auch an diesem Freitag nur einige wenige Buslinien. Nicht alle Bereiche werden aber volle zwei Tage lang bestreikt. In Solingen dürfte es in der kommenden Woche zudem zu Streiks bei Stadtverwaltung und Stadtwerken kommen. Neben Nordrhein-westfalen waren auch die Bundesländer Berlin und Hessen betroffen, ab Freitag soll auch in Baden-württemberg gestreikt werden.
Wie lief der erste Streiktag?
Das ganz große Chaos blieb aus, die größten Auswirkungen waren im Nahverkehr befürchtet worden. Doch die meisten Kunden der Verkehrsbetriebe waren informiert, stiegen auf Regional- und S-bahnen oder Autos um. Viele blieben auch im Homeoffice, sofern dies möglich war. In Düsseldorf, Solingen, Hilden, Ratingen und anderen bestreikten Städten blieben die Bahnsteige meist menschenleer. Viele Pendler aus dem Umland, die der Streik hauptsächlich betrifft, waren vorbereitet und versuchten gar nicht erst, den Nahverkehr zu nutzen. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof wurde mit Handzetteln auf die wenigen Buslinien hingewiesen, die noch in Betrieb waren. Auch auf den sonstigen Straßenverkehr hatte der Streik nur wenig Auswirkungen. Laut eines Sprechers der Düsseldorfer Polizei kam es lediglich an einigen neuralgischen Punkten zu einem leicht erhöhten Verkehrsaufkommen.
Worum geht es?
Verdi und Beamtenbund fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Davon entfallen rund 640.000 Beschäftigte auf NRW. Die Laufzeit des neuen Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen. „Die Gewerkschaften sind mit ihren Forderungen deutlich über das Ziel hinausgeschossen“, sagt Karin Welge, Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, unserer Redaktion. Durch den geforderten Mindestbetrag lägen die Forderungen „tatsächlich bei rund 15 Prozent“. Die Mehrkosten würden sich damit auf 15,4 Milliarden Euro belaufen. Verdi verteidigt die Forderungen unter Hinweis auf die hohe Inflation, die die Belegschaften nicht tragen könnten.
Wer ist schuld am Streik?„
Die Streikaufrufe zu diesem Zeitpunkt kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Mit den Gewerkschaften wurde vereinbart, dass wir in drei Verhandlungsrunden zu einem Ergebnis kommen möchten. Nun haben wir gerade einmal die erste der Runden hinter uns“, sagte Karin Welge weiter. Es gehe nur um Mitgliedergewinnung, die Bürger würden fahrlässig belastet. Andere sehen aber auch eine Mitverantwortung der Kommunen: „Der Tarifvertrag für Bund und Kommunen ist Ende Dezember ausgelaufen, die Friedenspflicht Ende Januar. Es war unklug von den Kommunen, erst Wochen nach dem Auslaufen des Tarifvertrags mit den Verhandlungen zu beginnen“, sagte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Durch ihr Zögern riskierten die Kommunen, dass die Bürger durch viele Streiks beeinträchtigt werden. „Das ist eine völlig unnötige Belastung.“
Wann und wo drohen weitere Streiks?
Schon bald. „Bis zur dritten Verhandlungsrunde, die vom 27. bis 29. März terminiert ist, kann es noch viele Warnstreiks geben. Verdi streikt sich üblicherweise durch die Regionen und stellt immer wieder andere Berufsgruppen in den Vordergrund“, erklärt der IWExperte. Dabei seien stundenweise, aber auch ganztägige Streiks möglich. „Ich bin skeptisch, ob es nach drei Runden schon eine Einigung gibt, die Fronten sind verhärtet.“Falls die Gewerkschaften unbefristet streiken wollen, führen sie zuvor eine Urabstimmung durch. Diese hatte es für Bund und Kommunen zuletzt im Jahr 2000 gegeben.