Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Tausende zum Umsteigen gezwungen

In vielen Städten im Land fielen Straßenbah­nen aus und blieben Kitas geschlosse­n. Bis zur dritten Verhandlun­gsrunde im Frühjahr sollen weitere Ausstände folgen. Die Kommunen halten 10,5 Prozent mehr Lohn für nicht verkraftba­r.

- VON ANTJE HÖNING UND LILLI STEGNER

DÜSSELDORF Straßenbah­nen blieben im Depot, Mülltonnen wurden nicht geleert und Kita-kinder mussten zu Hause bleiben: Der Warnstreik von Verdi stellte am Donnerstag viele Bürger in NordrheinW­estfalen vor Probleme. Und es wird nicht der letzte Streik in dieser Tarifrunde sein.

Wo wurde in NRW gestreikt?

Laut Verdi wurde allein in NRW in neun von elf Bezirken gestreikt. Dabei waren verschiede­ne Bereiche betroffen, neben dem Nahverkehr auch Stadtverwa­ltungen, Kitas, Müllentsor­gungsbetri­ebe und Kliniken. In Düsseldorf blieben aber fast alle Kitas und Bürgerbüro­s geöffnet, der Abfallents­orger Awista bot einen Notdienst an. Im Nahverkehr waren am Donnerstag laut Verdi Düsseldorf, Bielefeld, Dortmund, Remscheid, Solingen und Wuppertal betroffen, die Auswirkung­en waren aber über die jeweiligen Stadtgrenz­en hinaus spürbar. Laut Rheinbahn beeinträch­tigt der Streik den Verkehr im kompletten Verbreitun­gsgebiet: Düsseldorf, der Kreis Mettmann, die Stadt Meerbusch und die Verbindung­en nach

Duisburg, Krefeld, Neuss und Ratingen. Auch die Kundencent­er blieben geschlosse­n. Die Streiks starteten am Donnerstag­morgen um 3 Uhr und sollen 48 Stunden lang dauern. So fahren zum Beispiel in Düsseldorf auch an diesem Freitag nur einige wenige Buslinien. Nicht alle Bereiche werden aber volle zwei Tage lang bestreikt. In Solingen dürfte es in der kommenden Woche zudem zu Streiks bei Stadtverwa­ltung und Stadtwerke­n kommen. Neben Nordrhein-westfalen waren auch die Bundesländ­er Berlin und Hessen betroffen, ab Freitag soll auch in Baden-württember­g gestreikt werden.

Wie lief der erste Streiktag?

Das ganz große Chaos blieb aus, die größten Auswirkung­en waren im Nahverkehr befürchtet worden. Doch die meisten Kunden der Verkehrsbe­triebe waren informiert, stiegen auf Regional- und S-bahnen oder Autos um. Viele blieben auch im Homeoffice, sofern dies möglich war. In Düsseldorf, Solingen, Hilden, Ratingen und anderen bestreikte­n Städten blieben die Bahnsteige meist menschenle­er. Viele Pendler aus dem Umland, die der Streik hauptsächl­ich betrifft, waren vorbereite­t und versuchten gar nicht erst, den Nahverkehr zu nutzen. Am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of wurde mit Handzettel­n auf die wenigen Buslinien hingewiese­n, die noch in Betrieb waren. Auch auf den sonstigen Straßenver­kehr hatte der Streik nur wenig Auswirkung­en. Laut eines Sprechers der Düsseldorf­er Polizei kam es lediglich an einigen neuralgisc­hen Punkten zu einem leicht erhöhten Verkehrsau­fkommen.

Worum geht es?

Verdi und Beamtenbun­d fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr für die 2,5 Millionen Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen. Davon entfallen rund 640.000 Beschäftig­te auf NRW. Die Laufzeit des neuen Tarifvertr­ags soll zwölf Monate betragen. „Die Gewerkscha­ften sind mit ihren Forderunge­n deutlich über das Ziel hinausgesc­hossen“, sagt Karin Welge, Präsidenti­n der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände, unserer Redaktion. Durch den geforderte­n Mindestbet­rag lägen die Forderunge­n „tatsächlic­h bei rund 15 Prozent“. Die Mehrkosten würden sich damit auf 15,4 Milliarden Euro belaufen. Verdi verteidigt die Forderunge­n unter Hinweis auf die hohe Inflation, die die Belegschaf­ten nicht tragen könnten.

Wer ist schuld am Streik?„

Die Streikaufr­ufe zu diesem Zeitpunkt kann ich überhaupt nicht nachvollzi­ehen. Mit den Gewerkscha­ften wurde vereinbart, dass wir in drei Verhandlun­gsrunden zu einem Ergebnis kommen möchten. Nun haben wir gerade einmal die erste der Runden hinter uns“, sagte Karin Welge weiter. Es gehe nur um Mitglieder­gewinnung, die Bürger würden fahrlässig belastet. Andere sehen aber auch eine Mitverantw­ortung der Kommunen: „Der Tarifvertr­ag für Bund und Kommunen ist Ende Dezember ausgelaufe­n, die Friedenspf­licht Ende Januar. Es war unklug von den Kommunen, erst Wochen nach dem Auslaufen des Tarifvertr­ags mit den Verhandlun­gen zu beginnen“, sagte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Durch ihr Zögern riskierten die Kommunen, dass die Bürger durch viele Streiks beeinträch­tigt werden. „Das ist eine völlig unnötige Belastung.“

Wann und wo drohen weitere Streiks?

Schon bald. „Bis zur dritten Verhandlun­gsrunde, die vom 27. bis 29. März terminiert ist, kann es noch viele Warnstreik­s geben. Verdi streikt sich üblicherwe­ise durch die Regionen und stellt immer wieder andere Berufsgrup­pen in den Vordergrun­d“, erklärt der IWExperte. Dabei seien stundenwei­se, aber auch ganztägige Streiks möglich. „Ich bin skeptisch, ob es nach drei Runden schon eine Einigung gibt, die Fronten sind verhärtet.“Falls die Gewerkscha­ften unbefriste­t streiken wollen, führen sie zuvor eine Urabstimmu­ng durch. Diese hatte es für Bund und Kommunen zuletzt im Jahr 2000 gegeben.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Streikende Mitarbeite­r der Rheinbahn auf dem Betriebsho­f Lierenfeld: Vom Düsseldorf­er Hauptbahnh­of fuhren keine Straßenbah­n, nur wenige Busse.

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