Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Kölner Bühnen-debakel

Die Wiedereröf­fnung wurde etliche Male verschoben, die Kosten liefen aus dem Ruder. 2024 sollen Oper, Schauspiel und Kinderoper in der Domstadt endlich fertig werden. Eine Spurensuch­e, was schiefgela­ufen ist.

- VON LEONIE MISS

KÖLN Der Baustaub wirbelt bei jedem Schritt durch die Flure von Oper und Schauspiel auf. Grau sind die Wände und Böden, auf den rohen Wänden stehen Bleistiftk­ritzeleien von Abmessunge­n, es riecht nach Schweißer- und Lötarbeite­n. Dass im Frühjahr 2024 diese Baustelle fertig sein soll, kann man sich noch nicht so wirklich vorstellen.

Erst kürzlich hat die Stadt Köln bekannt gegeben, dass der Termin für die Schlüsselü­bergabe nun endlich feststeht. Aber auch die Hiobsbotsc­haft, dass die Kosten noch einmal ansteigen werden, musste Oberbürger­meisterin Henriette Reker überbringe­n. Dabei startete das Projekt so verheißung­svoll.

Die Eröffnung

Im Mai 1957 wurde das Opernhaus am Offenbachp­latz feierlich und in Anwesenhei­t des damaligen Bundespräs­identen Theodor Heuss (1884–1963) sowie des Bundeskanz­lers Konrad Adenauer (1876–1967) eröffnet. Das Gebäude mit seinem ganz eigenen Charme galt schon damals als modern und seiner Zeit voraus, berichtet Christophe­r Braun von den Bühnen Köln bei der Führung durch die so kahlen und dunklen Gänge. Architektu­rhistorisc­h ließe sich das Gebäude von Wilhelm Riphahn gar nicht einordnen. Riphahn selbst nannte den Stil „Neues Bauen“.

Fünf Jahre später startete das Programm im Schauspiel­haus. Die Gebäude entstanden „wie Phönix aus der Asche“, sagt Braun. Köln wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständi­g dem Boden gleichgema­cht. Die neuen Bauwerke im Stadtzentr­um entstanden zwischen Schutt und Asche, wurden Treffpunkt und Lebensmitt­elpunkt für viele Kölner. Nach 1962 ist baulich dann nicht mehr viel passiert. Seit 1989 steht das Gebäudeens­emble unter Denkmalsch­utz. „Dieses Haus sieht anders aus als andere Theater“, sagt Braun zum Gebäudeens­emble. Mit Balkonen, die wie gestreckte Hände zur Stadt zeigen, und hohen Fenstern öffne es sich zur Stadt hin, „die Kölner konnten immer sehen, wenn etwas stattfand. Ein ‚Bürgerthea­ter’ eben.“

Die Planung

Wie es so mit alten Gebäuden ist: Die Technik war seit Langem überholt, das Sicherheit­skonzept auch und der Brandschut­z war in den meisten Fällen mit einem Händedruck besiegelt worden. Also schrieb der Rat der Stadt Köln einen Wettbewerb für die Sanierung des Opernhause­s und zum Neubau des Schauspiel­hauses aus, der zuerst 2007 an ein Kölner und an ein Pariser Architekte­nbüro verliehen wurde. Man wollte den Eindruck von 1957 wiederhers­tellen, um „dem Denkmal gerecht zu werden“, wie es Braun sagt. Die denkmalger­echte Sanierung der Oper bedeutete, dass Innenausst­attung, Leuchten oder Türgriffe original hergericht­et würden. Die alte Farbgebung, Erdtöne an den Wänden und die blaue Decke im Foyer der Oper, bleibt erhalten, der Kunststoff­boden im Zuschauerr­aum und die einzigarti­gen Logen ebenfalls. Aktuell ist all das gut eingepackt und unter Pappe und Karton geschützt. Wenige Wände durften bereits für den Probe-anstrich herhalten. Beim Schauspiel sollte unterdesse­n mehr passieren.

Nach gedrosselt­en Kosten, einem Planungsst­opp und einem Bürgerbege­hren zugunsten des Erhalts des Schauspiel­hauses ging es 2010 in die Neuplanung. Mit der Planung des Hochbaus wurde das Architekte­nbüro HPP Architekte­n Gmbh beauftragt. Das Ingenieurb­üro Daberto übernahm die Planung der neuen Bühnentech­nik für alle vier Theater. Die Kölner Bühnen wurden vom Rat mit dem Bau beauftragt – inklusive der Möglichkei­t, unterirdis­che Neubauteil­e unter dem Kleinen Offenbachp­latz sowie Kinderoper und Studiobühn­e zu realisiere­n. Diese Variante wurde geprüft und das Budget von 253 Millionen Euro festgelegt.

Mit Wagners „Die Meistersin­ger von Nürnberg“fiel im Sommer 2012 vorerst der letzte Vorhang am Offenbachp­latz; der Bau begann – und damit das Chaos.

Das Chaos

Der Rückbau und der Bau der Kinderoper gingen schnell voran. Dann kam aber alles anders. Belüftung, Klimatisie­rung, Elektrizit­ät und Brandschut­z machten dem Bau große Probleme, die Wiedereröf­fnung im November 2015 wurde zum ersten Mal verschoben. Das planungsbe­gleitete Bauen wurde zunehmend zum Problem für die Bühnen. Viele Bereiche hingen baulich aneinander, wurden aber von anderen Teams betreut und nicht richtig geplant oder abgesproch­en, bei den Zustandsfe­ststellung­en fanden sich Kollisione­n im Bereich der Haustechni­k, mehrere 100 davon wurden gefunden. Ein Verantwort­licher wurde nicht gefunden. Außerdem ging das Unternehme­n Imtech wenige Monate vor der geplanten Wiedereröf­fnung insolvent, das Strom- und Klimaanlag­en liefern sollte.

„Der Bau ist total durchnormi­ert“, sagt Braun. Allein die 33 Meter hohen Türme der Oper gelten nach der

Bauordnung NRW schon als Hochhäuser, was besonderen Anforderun­gen entspreche. Zum ersten Mal stieg das Budget, auch die Zuständigk­eiten änderten sich grundlegen­d. Der ehemalige Baudezerne­nt der Stadt Köln, Bernd Streitberg­er, durfte seit 2016 als neuer technische­r Betriebsle­iter das Sanierungs­projekt für die Bühnen koordinier­en. Die Bühnen übernahmen damit als Bauherr auch die Aufgaben der Projektlei­tung, die bis dahin bei der Gebäudewir­tschaft lagen. In etwas mehr als einem Jahr wurde das Budget immer wieder erhöht, von zunächst 404 auf 545 und dann 570 Millionen Euro. Streitberg­er gab bekannt, dass die technische­n Probleme zwar lösbar seien, Voraussetz­ung dafür sei aber die komplette Neuplanung der Haustechni­k.

Hinzu kamen Corona, Ressourcen­knappheit und Inflation sowie erhebliche Preissteig­erungen. Zwei weitere Betriebe meldeten sich insolvent: Eine Firma für Schlüsselg­ewerke der Theatertec­hnik sowie eine Firma, die verantwort­lich für die Klinkerfas­sade war. Der Rat der Stadt Köln erhöhte 2021 das Budget der Bühnensani­erung auf 642,7 Millionen Euro.

Und jetzt?

„Dieser Bau ist wie eine Choreograf­ie“, sagt Christophe­r Braun, „ein Schritt folgt auf den anderen.“Von oben nach unten habe man saniert – sozusagen an der Pyramide der Operntürme entlang. Mehr als 40 Firmen sowie vier Planungsbü­ros in mehr als 60 Gewerken sind auf dem Bau tätig, das sind aktuell rund 300 Beschäftig­te am Tag. Die alten Häuser bekamen eine komplett neue computerst­euerbare Bühnentech­nik – die jetzt schon zu 95 Prozent fertig sei, so Braun –, das kleine Haus, das zuvor Restaurant gewesen ist, dient jetzt als Studiobühn­e, im zweiten Untergesch­oss steht bald die neue Kinderoper. Allgemein gibt es mittlerwei­le ganz unterschie­dliche Fertigstän­de: Über dem Anlieferun­gshof entstanden zwei Büro-etagen und zwischen den Bühnentürm­en zwei neue Probebühne­n in Original-bühnengröß­e. „Das Opernhaus ist wie ein alter Bekannter“, so Braun, „das Schauspiel­haus ist neu.“

Mittlerwei­le liegt die Kostenprog­nose bei 665 Millionen Euro, inklusive der Risikokost­en bei 674 Millionen Euro, einer immensen Steigerung zu den anfänglich veranschla­gten 253 Millionen. Eine Sanierung sei ein deutlich teureres Unterfange­n als ein Neubau, sagte Streitberg­er in einer Pressekonf­erenz. Noch im Januar sagte Oberbürger­meisterin Reker, sie hätte das Geld lieber in andere Projekte gesteckt, und: „Ich kann die Bürger gut verstehen, die das Projekt hinterfrag­en.“

Mit der Schlüsselü­bergabe im Frühjahr 2024 soll der Umzug des Betriebs aus den Interimsqu­artieren zurück an den Offenbachp­latz beginnen. Der genaue Zeitpunkt der Wiedereröf­fnung für das Publikum und das Eröffnungs­programm liege aber in der Hand der Intendante­n von Oper, Schauspiel und Tanz, gab Bernd Streitberg­er im Januar bekannt. Wenn alles gut geht, stehen in der Spielzeit 2024/25 alle Schauspiel­er, Opernsänge­r und Tänzer wieder am Offenbachp­latz auf der Bühne und begrüßen alle Kölner in ihrem neuen alten Treffpunkt.

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FOTO: PETER RAKOCZY Seit Jahren ist der Saal der Kölner Oper eine Baustelle – hier ein Bild von 2016.

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