Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Zeit und der Tod
Der Konzeptkünstler Juergen Staack bittet zu einer ungewöhnlichen Aktion.
DÜSSELDORF Der Projektraum im Hinterhof des Hauses Birkenstraße 61 ist leer, die Fenster sind verschlossen. Es hängen lediglich eine Küchenuhr, eine Pendeluhr mit Gong und eine leuchtende LED-UHR an den Wänden. Ansonsten erhellt eine Glühbirne die Szene, in der ältere Menschen ab 60 Jahren sitzen, und zwar jeweils ein Senior oder eine Seniorin pro Stunde. Der „Performer“, wie Konzeptkünstler Juergen Staack die Akteure in seinem Arrangement „Time No“nennt, blickt eine ganze Stunde lang auf eine der drei Uhren – und sagt dann im Minutentakt die Zeit an.
Die Düsseldorfer Aktion hat einen Vorläufer in Osaka, wo der Meisterschüler von Thomas Ruff im Oktober des vergangenen Jahres ein Stipendium hatte. Sein Thema hier wie dort ist die Frage, wie man als alternde Gesellschaft seiner Lebenszeit begegnet. Sie wurde anlässlich der Corona-pandemie besonders akut, und sie gewinnt an Brisanz angesichts der Tatsache, dass sich inzwischen rund 72 Prozent der Deutschen um eine Ausweitung des Ukraine-krieges Sorgen machen. Die Zeit und der Tod haben eng miteinander zu tun.
Die Reaktion der Teilnehmer, die jetzt in Flingern jeweils eine Stunde lang auf die Uhren starrten, war unterschiedlich. Ein Mitstreiter verfiel fast in eine Meditation. Eine Frau meinte, sie hätte noch länger sitzen können. Vor allem betonten die Leute, sie hätten die Zeit noch nie wirklich wahrgenommen, weil sie von Termin zu Termin hetzen und daher sogar eine Minute für eine gefühlte Ewigkeit halten.
Das Bewusstsein eines möglichen Lebensendes ist aufgrund von Krieg und tödlichen Viren aktuell. JeanRemy von Matt, Mitbegründer einer Werbeagentur, wechselte ins Lager der Künstler, stellte im ZKM Karlsruhe aus und macht durch eine Uhr auf sich aufmerksam, die rückwärts läuft und die verbleibende durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen zählt. Der Bildhauer-professor Gregor Schneider widmet sich seit rund 15 Jahren seinem Sterberaum. Er stellte ihn zuletzt auf die Bühne des Darmstädter Theaters und saß jeweils sogar 24 Stunden lang davor. Der Künstler ist ein Verfechter für einen künstlerischen Umgang mit dem Tod.
Nun ist das Verschwinden von Zeit und Leben für einen Fotokünstler eher ungewöhnlich, denn normalerweise will er die Zeit im Bild festhalten. Staack allerdings ist Konzeptkünstler. Er reflektiert nicht nur die eigene Lebensdauer, sondern auch die der Kunst. In Zeichnungen, Soundinstallationen, sprechenden Bildern und poetischen Performances demonstriert er die Grenzen bildhafter Repräsentation. Früher ging es ihm um imaginierte Bilder, diesmal um die sich verflüchtigende Zeit. Ein Teilnehmer meinte nach der Sitzung im Halbdunkel, nur so könne man „die Sinne schärfen und die Seele beglücken“.
Die Veranstaltung „Time No“findet im Projektraum „Da, in die Front“im Hinterhof des Hauses Birkenstraße 61 statt und wird am 11. und 18. Februar jeweils von 13 bis 17 Uhr wiederholt. Der Künstler ist anwesend.
PRINTED AND DISTRIBUTED BY PRESSREADER