Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Wie eine Wohnung zur Bühne wird
Im ehemaligen Kinderheim der Graf-recke-stiftung rückt eine Bewohnerin ihre Einrichtung ständig in neues Licht.
Im ehemaligen Kinderheim der Graf-recke-stiftung rückt eine Bewohnerin ihre Einrichtung ständig in neues Licht.
WITTLAER Mit Fantasie lässt sich die Vergangenheit für einen Moment zurückholen. Als Kinderfüße über den Steinfußboden im Treppenhaus eilten, als an Sommernachmittagen Lachen durch den Park schallte, als zu den Mahlzeiten Geschirrgeklapper und Stühlerücken zu hören waren – und zwar exakt dort, wo Nina Hanauer jetzt steht. Denn in ihrem großzügigen Wohnraum mit offener Küche war einst der Speisesaal des Kinderheims der Graf-recke-stiftung in Wittlaer. Der Backsteinbau von 1908 wirkt mit seiner denkmalgeschützten Fassade unverändert imposant. Sein Innenleben aber wurde modernen Ansprüchen angepasst: Schöner Wohnen mit Historie.
Sie hatte eigentlich von einem Haus geträumt. „Doch was bezahlbar war, gefiel uns nicht. Und was uns gefiel, war viel zu teuer“, bringt Nina Hanauer ihre Suche von damals auf den Punkt. Dann fand sie vor gut 20 Jahren eine Annonce in der Rheinischen Post: Wohnung in einem Baudenkmal zu verkaufen. Der Rest ist schnell erzählt: Liebe auf den ersten Blick, kurzes Nachdenken, und schon bald folgte die Unterschrift unter den Kaufvertrag. Eine Entscheidung ohne Reue. Bis heute schätzt Nina Hanauer den dörflichen Charakter von Alt Einbrungen, einem Teil von Wittlaer, aber auch die Nähe zu Kaiserswerth mit Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, die Anbindung zur Autobahn – „ und mit der U-bahn bin ich in 23 Minuten in der Innenstadt“, sagt sie.
Aber vor allem liebt sie die Atmosphäre dieses altehrwürdigen Ensembles, von dem außer der Backsteinfassade allerdings nur wenige historische Elemente erhalten sind. Das mächtige Dreiflügelhaus zeigt sich zur vorderen Parkseite in seiner einstigen strengen Schönheit – und mit der alten Losung über dem Eingang: „Weiset meine Kinder, das Werk meiner Hände zu mir.“Die beiden äußeren Flügel schmiegen sich um zwei Innenhöfe, dort wurden die Fassaden durch Balkone und Erker aufgelockert. Insgesamt bietet das einstige Kinderheim nach seiner Kernsanierung Ende der 1990-er Jahre nun rund 60 Wohnungen in unterschiedlicher Größe und Ausstattung Platz.
Das Refugium von Nina Hanauer, dass sie mit ihrem 19-jährigen Sohn teilt, ist gut 130 Quadratmeter groß und vereint Passion und Profession ihrer Bewohnerin. Denn einerseits vertreibt sie in ihrem Unternehmen Habit ausgewählte Möbelstücke, andererseits sammelt sie privat Kunst, Einrichtungs- und Designobjekte („ich bin durch und durch designverliebt“) und verwirklichte deshalb mit ihrer Wohnung einen Plan: eine Bühne zu schaffen für liebste Stücke. Und wie bei einem Bühnenbild, verändert sich die Optik alle paar Monate, da macht das Sofa dann einer Arbeitsecke Platz und der frühere Arbeitsplatz wird zum Esszimmer. Veränderung als Wohnkonzept oder wie Nina Hanauer
das formuliert: „Ich liebe das Umräumen.“So bleiben geschätzte Einzelstücke zwar in ihrer Nähe, aber rücken ständig an einen neuen Platz. Und Vertrautes erscheint in neuem Licht.
Manchmal verändert sich auch die Funktion ihrer Möbel, wie bei dem Schreibtisch, der ursprünglich ein Esstisch war. Und der eine besondere Geschichte erzählt: Denn der Entwurf für dieses puristische Stück von drei Metern Länge stammt von den Shakern, einer amerikanischen Sekte, die schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts extrem schlichte Möbel baute. Die Eltern von Nina Hanauer besuchten die Shaker vor vielen Jahren und konnten damals die Originalbaupläne erwerben. Dass der Tisch mit seinen vier schlanken Beinen auf Rollen steht, erleichterte seinen Standortwechsel, als er im Homeoffice zu Coronazeiten zum Arbeiten gebraucht wurde. Nun behauptet er sich in der Nachbarschaft von beigen Containern von USM Haller und wird ins rechte Licht gerückt von einer zwei Meter hohen, über 50 Jahre alten Kontorleuchte, die Nina Hanauer in der Garage ihrer Eltern fand.
Verändert wurde soeben auch das Entree der Wohnung: Zeigte ein Foto vor ein paar Wochen dort noch eine rosa Haller-kommode in Begleitung eines rosa Vitra Plastic Chairs, wurden die Möbel nun („eindeutig zu viel Rosa“) durch weiße Varianten ersetzt. Auch damit ein Spiegel mit barockem Rahmen nun besser wirken kann. Dieses voluminöse Prachtstück fand Nina Hanauer in einem Auktionshaus und hat ihn dann gut verpackt auf dem Dach ihres Autos transportiert.
Bei aller Liebe zur Veränderung: Die Kunst bleibt in der Wohnung an ihren einmal auserwählten Plätzen und gibt den Räumen optische Stabilität. Wie das große Spiegelobjekt von Adolf Luther, das über dem neuen runden Esstisch aus Marmor wie ein zusätzliches Fenster wirkt. Daneben eine GlasStele des Künstlers, die ergänzt wird von einem Werk des Fotokünstlers Martin Klimas, das eine zerschossene Glasvase mit Blüte im Moment ihrer Zerstörung zeigt. Einen ganz eigenen Charakter hat das Schlafzimmer der Bewohnerin mit seinen „salbei-grünen“Wänden. Dort wird das dunkle Vertiko der Oma von einem Original-thonetstuhl begleitet. Denn bei allem coolen Design: Ein bisschen Nostalgie darf durchaus sein.