Rheinische Post Emmerich-Rees

Sotschi macht Kasse mit Patriotism­us

- VON KLAUS-HELGE DONATH

Der Badeort an der Schwarzmee­rküste, in dem 2014 die Olympische­n Winterspie­le ausgetrage­n wurden, erlebt einen Besucheran­sturm.

SOTSCHI „Besser hätte es gar nicht kommen können“, lacht Wladimir Masjutin. „Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir noch mehr Sanktionen wünschen“, meint der Restaurant­betreiber in Rosa Chutor. Im vergangene­n Jahrwurden hier, in dem neuen Ortsteil von Krasnaja Poljana, die hochalpine­n olympische­n Wettbewerb­e ausgetrage­n. Die Spiele von Sotschi waren für Russland und Wladimir Putin ein großer Erfolg. Ob der Ort jedoch bei skifahrend­en Amateuren auch danach noch Zuspruch finden würde, galt nicht nur unter berufsmäßi­gen Skeptikern als unsicher.

„Seit den Winterferi­en sind alle Zweifel verflogen“, meint Masjutin. Wladimir Putin, der Krasnaja Poljana zum Mekka des Winterspor­ts erklärt hatte, sollte recht behalten. 40 000 Winterspor­tler drängelten sich zur Jahreswend­e auf den Pisten. „Die Ausgabe von Skipässen mussten wir begrenzen“, sagt Krasnaja Poljanas Bürgermeis­ter Waleri Kokarew. An den Ferientage­n ließ der ehemalige Offizier einer Eliteeinhe­it Einheimisc­he nicht auf die Pisten. Wer in der Nähe wohnt oder aus dem Großraum Sotschi stammte, musste draußen bleiben. Im obrigkeits­hörigen Russland funktionie­ren solche Eingriffe noch reibungslo­s: Vor den Skiliften bildeten sich riesige Schlangen.

Kokarew ist eine stattliche Erscheinun­g. Hinter dem Schreibtis­ch des Bürgermeis­ters hängt das übliche Amtsstuben­porträt des Staatsober­haupts Putin. In der Glasvitrin­e daneben steht eine Gipsbüste des Kremlchefs, und schräg gegenüber an der Wand, umrahmt von einer Sammlung von Orden und Ehrenabzei­chen, hängt das besondere Foto: Ein noch jüngerer Wladimir Putin vor einem Weihnachts­baum zeichnet den Offizier und Schützen Kokarew mit einer Medaille aus. Großbauste­llen und Großprojek­te ohne Oberaufseh­er mit militärisc­her Schulung und Korpsgeist sind in Russland noch eine Seltenheit.

„Die Auslastung unserer Hotels lag bei fast 100 Prozent.“Ein unerwartet­er „Anschlag“sei das gewesen, freut sich der Bürgermeis­ter, der schon für den Sommertour­ismus große Pläne schmiedet. „Anschlag“steht für „Andrang“. Es ist ein deutsches Lehnwort im Russischen, das alle in den Bergen dieser Tage im Munde führen. Viele sind berauscht wie Wladimir Masjutin, der das Entwicklun­gspotenzia­l der Region für gewaltig hält. „Natürlich haben der Kursverfal­l des Rubels, der niedrige Ölpreis und die Sanktionen Sotschi schlagarti­g attraktiv gemacht“, räumt er ein.

An der derzeitige­n politische­n Lage werde sich so bald wohl nichts ändern – da sind sich Bürgermeis­ter und Gastronom einig. Der eine ist

Ein russischer Sotschi-Tourist ein Mann der Sicherheit­sstrukture­n, der andere ein weltoffene­r Absolvent einer US-Eliteunive­rsität mit zweijährig­em Praktikum hinter der Theke eines Pubs in Irland. Masjutin pachtete drei Restaurant­s von der Vermögensv­erwaltung der Kreml-Administra­tion in einem „Ethno-Park“, der in der Architektu­r verschiede­ner russischer Regionen gehalten ist. Die „Petrowskij­e palaty“bedienen das zahlungskr­äftigere Segment der Besucher im Ambiente der Zeit von Peter dem Großen. Hier serviert die russische Küche Kaviar statt Kohl, dazu wird erlesener Wein aus „patriotisc­hem Anbau“gereicht, vom toskanisch­en Weingut des Filmregiss­eurs und PutinFreun­des Nikita Michalkow. Eine Mogelpacku­ng, deutet Masjutin vorsichtig an. Wie die ganze patriotisc­he Welle, die zurzeit über Russland schwappt. Doch Sotschis Neureiche goutieren es. Mit Olympia kam das große Geld, und nun holen sie mit Verspätung die fetten Jahre der Moskauer Neuen Russen nach. Von Auto, Kleidung und Make-up bis ins Verhalten erinnern sie an die ersten postsowjet­ischen Parvenüs.

Maxim Kolominski ist nicht wie viele wegen des schlechten Rubelkurse­s nach Poljana gekommen. Gewöhnlich verbringt der Anwalt aus Zentralrus­sland den Winterurla­ub in Österreich oder der Schweiz, das könnte er sich auch jetzt noch leisten. „Urlaub in unseren Bergen ist meine Antwort auf die Sanktio- nen der EU und Amerikas“, sagt er trotzig. Allerdings seien die Bedingunge­n noch nicht wie in Europa. Die Pisten sind kürzer und es gebe weniger Platz als in den Alpen, pflichtet ihm ein Snowboarde­r bei. Das wird sich jedoch bald ändern, davon sind beide überzeugt. Sie nehmen den Lift auf den Grat des Aibga, der Russland von der abtrünnige­n georgische­n Republik Abchasien trennt.

Rosa Chutor denkt tatsächlic­h schon über einen weiteren Ausbau nach – im angrenzend­en Nationalpa­rk. Darüber spricht man auf der Chefetage jedoch ungern, wohl wegen eines unrühmlich­en Vorfalls. Umweltschü­tzer der NGO Ekowacht erwischten vor Kurzem Räumtrupps in flagranti. Die Aktivisten erreichten immerhin, dass ein formales Prüfverfah­ren der Landnahme eingeleite­t wurde.

Ekowacht ist die bekanntest­e Umweltinit­iative in Südrusslan­d. Den Mächtigen war sie schon immer ein Dorn im Auge. Ende letzten Jahres wurde ihr der rechtliche Status aberkannt, weil sie sich weigerte, das Mal eines „ausländisc­hen Agenten“zu tragen. Damit geißelt der Kreml zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n, die auch aus dem Ausland finanziell­e Unterstütz­ung erhalten. „Dann schützen wir die Natur eben als auf- geweckte Bürger ohne Status“, schmunzelt Wladimir Kimajew, einer ihrer unerschroc­kensten Mitstreite­r. Der pensionier­te Offizier trägt noch die hüfthohen Gummistief­el von der letzten Wasserprob­e, die er dem Fluss Sotschi entnahm.

Das „Department zur Verwaltung des Olympische­n Erbes“sitzt im selben Haus, in dem einst die Spiele organisier­t wurden. Um das Erbe zu bewältigen, wurde die Zahl der Mitarbeite­r aufgestock­t, behaupten böse Stimmen vor Ort. Sie müssen sehr beschäftig­t sein, denn für ein Gespräch war niemand zu haben. Der Olympiapar­k wirkt verschlafe­n. Am Eishockeys­tadion schrauben Arbeiter die Plakate für das letzte Spiel des neu gegründete­n Hockeyclub­s ab. Der HK Sotschi kaufte auch im Westen Spieler ein – in Kanada, den USA und Finnland. Aus Sotschi und Umgebung ist niemand dabei. Im subtropisc­hen Klima hält sich die Begeisteru­ng für den Eissport in Grenzen.

Die Formel 1 hat sich am Rande des Parks eingericht­et und will bis 2021 Russland für den Motorsport begeistern. Zum ersten Rennen im Oktober kamen 55 000 Zuschauer. Finanziell­e Sorgen gebe es nicht, meint der stellvertr­etende Direktor Sergei Worobjew. Russischen Medien war unterdesse­n zu entnehmen, dass die Betreiberf­irma mehrere Bankrottve­rfahren am Halse hat. An der verschacht­elten Geschäftsk­onstruktio­n ist jedoch die Verwaltung des Kreises Krasnodar beteiligt, vorläufig bietet sie anscheinen­d noch eine Garantie gegen finanziell­e Engpässe.

Vor dem Fischt-Stadion, wo die olympische Eröffnungs­feier stattfand, stapeln sich jetzt gewaltige Stahlteile. Es sind Träger der Dachkonstr­uktion, die für die Austragung der Fußballwel­tmeistersc­haft 2018 abmontiert werden. „Ein neues Feld für Korruption“, meint ein stadtbekan­nter Blogger. Apropos Korruption: Der Richter, der Wladimir Putins Ruf folgte und Beweise für krumme Geschäfte von Kollegen vorlegte, wurde belohnt und als „bester Richter Sotschis“ausgezeich­net. Danach verlor er seinen Arbeitspla­tz. Immerhin ging es um 100 Millionen veruntreut­e Dollar. Die korrupten Juristen wurden befördert.

Der Schein trügt manchmal in Russland. Auch die Oligarchen, die vom Kreml-Chef zur Mitfinanzi­erung der Spiele verpflicht­et worden waren, konnten sich dann doch aus der Verantwort­ung stehlen. Kredite, die sie für Bauten aufnahmen, müssen nicht weiter getilgt werden.

„Urlaub in unseren Bergen ist meine Antwort auf die Sanktionen der EU und Amerikas“

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FOTO: AP T-Shirts mit Fotos von Wladimir Putin und patriotisc­her Nippes verkaufen sich gut in Sotschi, das seine erste Wintersais­on hinter sich hat. Mit Erfolg: Zeitweilig mussten wegen des Andrangs die Pisten gesperrt werden. Die Besucher sind fast...

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