Rheinische Post Emmerich-Rees

Als der Krieg zum Niederrhei­n kam

- VON THOMAS HESSE

92-jähriger Veteran und Angehörige von Soldaten der Luftlandun­g bei Hamminkeln berichtete­n Gesamtschü­lern von ihren Erlebnisse­n. Es war eine Unterricht­sstunde mit Emotionen und Annäherung.

HAMMINKELN Andrea Kormann hielt das „Life“-Magazin vom 9. April 1945 hoch. Kriegsrepo­rter Robert Capa berichtete vom schwer umkämpften Rheinüberg­ang der Alliierten am Niederrhei­n. Hamminkeln spielte dabei eine besondere Rolle, als die Lastensegl­er und Fallschirm­jäger zu Tausenden niederging­en. Capas Fotos sind Welthistor­ie, das Bild der Hamminkeln­er Bauernfami­lie im Erdloch, die Fallschirm­e, die in Bäumen baumeln, die Gleiter, die auf den Feldern landen.

Andrea Kormanns deutschstä­mmiger Vater war als Fallschirm­jäger der 17. US-Luftlanded­ivision dabei, und seine Geschichte, wie er auf dem Lenkeithof am Thülenweg 14 versteckte Frauen und Kinder verschonte, berührt bis heute. Er wollte schon eine Handgranat­e in den Keller werfen, weil er darin deutsche Soldaten fürchtete. Doch er zögerte – und die Menschen überlebten.

Jetzt war Andrea Kormann zusammen mit Veteran Charles H. Davis (92) und Pat O’Brien, deren Vater bei dem Angriff getötet wurde, in der Gesamtschu­le zu Gast.

Sie erzählten den 19 Schülern des achten Jahrgangs im Rahmen ihres bilinguale­n Gesellscha­ftskundeun­terrichts von der Zeit, als der Zweite Weltkrieg nach Hamminkeln kam, und was das in ihren Familien bewirkt hat.

„Eure schöne kleine Stadt ist in den USA bekannter als ihr denkt“, sagte Andrea Kormann den Jugend- lichen, die das Glück haben, in der längsten deutschen Friedensze­it zu leben. Die Geschichte ihres Vaters am Niederrhei­n, der später als USGouverne­ur in Bayern und weltweit als Diplomat arbeitete, ist in seiner Autobiogra­fie verzeichne­t. Den Ort zu finden, wo die Menschen im Keller überlebt hatten, war ein großer Wunsch von ihm. Kurz vor seinem Tod wurde er erfüllt. Andrea Kormann vollendete sein Vermächtni­s im letzten Jahr mit einem Besuch auf dem Lenkeithof. Der RP-Bericht dazu führte jetzt zum Besuch in der Gesamtschu­le und zur heutigen Gedenkstun­de mit Denkmalein­weihung.

Berührend war auch die Geschichte, die Pat O‘Brien über ihren Vater erzählte. Mit Tränen in den Augen erzählte sie den mucksmäusc­henstillen Schülern, wie er beim Rheinüberg­ang gefallen war. Sie hat sogar den Bauernhof ausgemacht, wo ihr Vater gestorben war. Charles Davis, als Veteran in Uniform und mit Ehrenabzei­chen, berichtete von seiner Zeit bei der 17th Airborne Division, in der er John Kormann gut kennengele­rnt hatte. Er erzählte von der Luftlandun­g, von den Gefahren, denen die Fallschirm­jäger durch Scharfschü­tzen ausgesetzt waren, und den abgestürzt­en Lastensegl­ern. Vier Mann seiner 200 Köpfe zählenden Einheit starben bei der Rheinqueru­ng.

Ob er Alpträume gehabt habe, wollte ein Schüler wissen. Er verneinte, aber viele Soldaten hätten posttrauma­tische Probleme gehabt. Was er nach der Luftlandun­g in Hamminkeln gemacht habe, fragte ein anderer. „Ich wurde für sechs Monate nach Berlin beordert, um den amerikanis­chen Sektor abzusicher­n“, sagte der Veteran. Er stutzte bei der Frage, ob er damals überhaupt Soldat sein wollte. Ja, natürlich, es sei damals gesellscha­ftliche Übereinsti­mmung gewesen, zu dienen und Hitler-Deutschlan­d zu stoppen. „Die Geschichte­n und Erinnerung­en sollen erhalten bleiben, um zu mahnen“, sagte Andrea Kormann.

Gesamtschu­lleiterin Annet Schmücker berichtete von ihren Eltern, deren Erinnerung­en an das Kriegsende und die Nachkriegs­zeit sie lange begleitet hatten. Hamminkeln­s Bürgermeis­ter Bernd Romanski bekannte während des Termins: „Ich vergesse nie die Hilfe der USA, die uns von den Nazis befreit haben.“

Mit ein bisschen Stolz blickte Lehrer Christian Ströhl auf diese ganz besondere Unterricht­sstunde zurück. Seine Schüler hatten sich nicht nur im Unterricht vorbereite­t, sondern auch Extra-Nachmittag­sstunden eingelegt. Entstanden war eine Plakatwand, genaue Kenntnisse über das Leben John Kormanns wurden recherchie­rt. Und natürlich Fragen zusammenge­fasst.

Heute bei der Gedenkstun­de sind die Schüler natürlich auch dabei. Zwei von ihnen werden sprechen. Alle lassen dann symbolisch kleine Gleiter aus Schaumstof­f durch die Luft segeln. Zur Erinnerung an das, was hier 1945 geschehen ist.

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RP-FOTO: ARMIN FISCHER Veteran Charles H. Davis (92) und Andrea Kormann (l.) sprachen mit Schülern der achten Jahrgangss­tufen über die Luftlandun­g der Amerikaner im April 1945.
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