Anführer der nächsten Generation
Der 20-jährige Alexander Zverev erreicht das Tennisfinale in Montreal. Im Endspiel wartet sein Idol Roger Federer.
MONTRÉAL 1998 startet der damals 17-jährige Roger Federer seine Profikarriere. Zum selben Zeitpunkt kann Alexander Zverev, genannt Sascha, nach einem Tennisball greifen, ihn aber nicht festhalten. Die Hände des Einjährigen sind noch zu klein.
19 Jahre später stehen sich beide im Masters-Finale von Montréal gegenüber. Der 20-jährige Zverev kann heute nicht nur einen Ball feshalten, er ist aktuell der beste Tennisspieler Deutschlands. Der gebürtige Hamburger steht auf Platz acht der Tennisweltrangliste, unter den „Top 50“ist er der jüngste Spieler. „Ich habe Respekt vor Roger Federer, aber keine Angst“, sagte er über seinen 16 Jahre älteren Gegner.
Zverev, der junge Mann mit den schweren Goldhalsketten, ist der Anführer der nächsten Tennis-Generation. Er triumphierte zuletzt in Montpellier, München, beim Masters in Rom und in Washington. 45 Matches – neun in den vergangenen elf Tagen – gewann er allein in diesem Jahr. In Wimbledon erreichte er im Juli erstmals das Achtelfinale in einem Grand-Slam-Turnier. Der Hamburger mit russischen Wurzeln hat in den vergangenen Wochen gezeigt, warum Tennisexperten und Medien ihn als „Wunderkind“, „Tennis-Stern“und „deutsches Supertalent“bezeichnen.
Trainiert wird Zverev von seinem Vater Alexander Michailowitsch, dem ehemaligen sowjetischen Tennisspieler. In Fachkreisen gilt er als absoluter Experte, aber harter Hund. Nicht selten soll der ältere Sohn Mischa auf dem Tennisplatz geweint haben, wenn sein Vater ihn über den Platz kommandierte. Durch die Erfolge des großen Bruders war auch Alexander immer auf den Tennisplätzen dieser Welt unterwegs. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass Alexander das große Tennistalent der Familie ist. Zeit, Energie und Geld investierten die Zverevs fortan in den jüngeren Sohn – mit Erfolg.
Das erste Match auf der ATP World Tour bestritt Zverev im Juli 2013 im Alter von 16 Jahren, im selben Jahr schloss er die Saison als Nummer eins der Junioren-Weltrangliste ab. Das hatte vor ihm noch kein Deutscher geschafft. In einem schwindelerregenden Tempo klettert er die Weltrangliste hoch: 2014 von Position 809 auf 136, 2015 auf 83 und nach dem Erreichen des Finales von Halle auf Platz 28.
Zverev bewies in den vergangenen Jahren nicht nur seine Begabung, sondern zeigte auch, dass er Niederlagen hasst: Wutentbrannt warf er Bälle über den Platz, diskutierte unentwegt mit dem Schiedsrichter oder zertrümmerte seinen Tennisschläger. Im Interview nach Spielende reagierte er genervt und zickig – einige Sympathiepunkte hat Zverev in der Vergangenheit verspielt.
Doch mit Ende der Pubertät und Teenagerzeit hat der Hamburger seine Emotionen mehr und mehr unter Kontrolle. Vor dem Finale des mit rund 4,6 Millionen Dollar dotierten Hartplatz-Turniers schob er seinem Idol Roger Federer die Favoritenrolle zu: „Er spielt ein unfassbares Tennis, und immer, wenn er in Bedrängnis gerät, spielt er noch unfassbarer.“Dabei ist zwischen den beiden Generationen noch eine Rechnung offen: Zverev spielte in diesem Jahr fünf Finals, seine einzige Niederlage musste er in Halle gegen Federer einstecken. Mit einem schnellen 6:1, 6:3 erteilte der 19-malige Grand-Slam-Sieger dem deutschen Nachwuchs eine Lektion. So oder so: Eine bessere Vorbereitung als ein Finale gegen Federer kann es für die US-Open, die am 28. August starten, kaum geben.