GÖRING-ECKARDT (GRÜNE) „Jetzt macht euch doch mal locker!“
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende über Kompromisslinien bei den Jamaika-Verhandlungen. Bei den heiklen Themen Kohleausstieg und Familiennachzug sieht die mögliche neue Ministerin den geringsten Spielraum.
BERLIN Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt empfängt uns in ihrem Büro, das direkt neben dem Reichstag liegt. Wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie auf die 13 weißen Kreuze, die dort 1971 zum Gedenken an die Mauertoten aufgestellt wurden. Die Thüringerin wird als mögliche neue Arbeitsoder Familienministerin gehandelt. Frau Göring-Eckardt, Jamaika hat viele Papiere produziert, aber fast alles, was die Grünen wollen, findet sich in eckigen Klammern, steht also unter Vorbehalt. Bekommen Sie am Ende zu wenig? GÖRING-ECKARDT Wir haben ja auch viel vor, Stillstand gab es jetzt lange genug. Den Liberalen geht es in erster Linie um die Abschaffung des Soli. Und bei der Union habe ich das Gefühl, sie will hauptsächlich die Dinge so lassen wie sie sind. Trotzdem ist jetzt die Zeit für alle, Kompromisse zu machen. Dennoch sind Sie beim Klimaschutz noch meilenweit auseinander. GÖRING-ECKARDT Ja. Stand Dienstag 16 Uhr. Ich werde nicht müde FDP und Union zu sagen: Klimaschutz und technologischer Fortschritt first und Bedenken second. Es gibt kein Problem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland, auch ohne Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland. Um das Klimaziel 2020 noch einhalten zu können, müssen wir Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von mindestens acht Gigawatt abschalten. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder auf diesem Planeten. Die alten Bundesregierungen aus Union, SPD und FDP haben es bisher einfach versäumt, rechtzeitig die nötigen Weichen dafür zu stellen. Nun geht es darum, das endlich anzupacken, die Zeit läuft wirklich davon. Wo könnten denn Kompromisslinien liegen beim Klimaschutz? GÖRING-ECKARDT Wir müssen uns jetzt einig darüber werden, wie groß die Einsparsumme an Millionen Tonnen Treibhausgas bis 2020 wirklich sein muss. Eines ist klar: Mit nur 66 Millionen Tonnen weniger CO2, wie es die anderen vorschlagen, werden wir das Klimaziel 2020 sehr deutlich verfehlen. Es müssen mindestens 90 Millionen Tonnen sein. Und wir werden beim Kohleausstieg darauf achten müssen, was er für die Kohleregionen etwa im Ruhrgebiet und in der Lausitz bedeutet. Das bleibt ein schwieriger Transformationsprozess, der ja auch schon lange Zeit währt. Es braucht einen Strukturfonds und echte Unterstützung für Kohleregionen von der Lausitz bis zum Ruhrgebiet. Die Union hat vorgeschlagen, den Kohleausstieg wie den Atomausstieg zu organisieren: Die Konzerne sollen entscheiden, welche Kraftwerke abgeschaltet werden. Ist das gangbar? GÖRING-ECKARDT Dieser Vorschlag hat den Nachteil, dass nicht klar ist, womit die Konzerne dazu gebracht werden sollen, die Kraftwerke entsprechend der Klimaschutzziele abzuschalten. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Entweder man schaltet einfach nach Erreichen eines bestimmten Alters ab oder aber man legt an den Klimazielen ausgerichtete Budgets für die jährlichen CO2-Emission fest. Darüber kann man reden. Klar ist aber, dass der Kohleausstieg nicht als eine Art Selbstverpflichtung der Kraftwerksbetreiber organisiert werden kann. Die Politik muss den Rahmen verbindlich schaffen. Und da hilft der Unionsvorschlag leider so nicht weiter. Wir haben für unsere Klimapolitik im Übrigen die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns, das zeigen aktuelle Umfragen. Sogar die Menschen in den Bundesländern mit Kohleabbau sind mehrheitlich für den Kohleausstieg Aber beim Familiennachzug für Flüchtlinge haben Sie nicht die Mehrheit hinter sich. GÖRING-ECKARDT Das stimmt nicht. Auch da sagen zwei Drittel der Bürger: Natürlich ist es für die Integration der meistens männlichen Flüchtlinge wichtig, dass Frauen und Kinder nachkommen können. Jens Spahn von der Union denkt an die richtige Gruppe, wenn er sagt, diejenigen sollen ihre Familien nachho- len können, wenn sie sich gut integriert haben. Es gilt aber vor allem anders herum: Damit sich die Menschen gut integrieren können, ist es entscheidend, dass sie die Perspektive haben, ihre Familie nachholen zu können und nicht ständig in Sorge um sie zu sein. Ich sage vor allem der CSU: Jetzt macht euch doch mal locker. Schließlich ist doch gerade für die Union die Familie ein Wert an sich. Sie wollen bei der Migration Humanität und Ordnung zusammenbringen. Wie bekommen Sie das hin? GÖRING-ECKARDT Beim Thema Migration ist für uns der Familiennachzug elementar. Man kann sich nicht abschotten in einer Welt mit 65 Millionen Flüchtlingen, darunter ein Drittel Klimaflüchtlinge. Mit Zahlen als eine Art Richtgröße mag man vielleicht zurecht kommen bis zu dem Moment, bis wir uns fragen, was müssen wir tun, wenn es mehr werden. Asylrecht ist eben nicht zu begrenzen. Wir unterstützen Ankunftszentren für Asylbewerber wie in Heidelberg. Die Flüchtlinge müssen sehr schnell wissen, wohin die Reise geht: Zurück in ihr Herkunftsland, hierher mit Asylanspruch, oder nur vorübergehend. Wir alle wissen, dass freiwillige Rückkehr viel besser ist als Abschiebung, übrigens auch viel billiger. Zudem scheint es ja so zu sein, dass alle Partner ein Einwanderungsgesetz wollen. Über dieses kann kommen, wen die Wirtschaft braucht und das ist der Höhe nach natürlich begrenzt. Beim Thema Einwanderungsgesetz werden wir nur Grundlagen festlegen. Um die Instrumente geht es erst später.