Rheinische Post Emmerich-Rees

Das Orakel von Rees

- VON MICHAEL SCHOLTEN

Die Rhinkieker haben zu allem und jedem eine Meinung. Für die RP blickten sie in die Zukunft: Was bringt das Jahr 2018?

REES Die Griechen hatten ihr Orakel von Delphi, die Reeser haben ihre Rhinkieker. Tag für Tag versammeln sich ein paar ältere Herren zwischen dem Rheincafé Rösen und der Pizzeria Adriatico II, um über wichtige Themen der Rheinstadt zu philosophi­eren. Doch während das Orakel von Delphi stets in Rätseln sprach, reden die Rhinkieker gern Tacheles. Für die Rheinische Post blickte das Reeser Orakel nicht nur auf den Rhein, sondern auch in die Zukunft: Was bringt 2018? Braucht Rees ein neues Freibad? „Natürlich“, sagt ein Rhinkieker. „Das ist so, als wenn man fragt, ob wir eine Buslinie nach Emmerich brauchen. Das gehört zu einer Stadt in der Größenordn­ung von Rees einfach dazu.“Sein Kollege gibt zu bedenken: „In der ehemaligen DDR hatte jedes Dorf ein Freibad. Da wurde auch nicht gefragt, ob man sich das leisten kann.“Er meint, dass Familien und Kinder das Freibad brauchen und das Reeser Meer keine Alternativ­e sei. Das ist das Stichwort des nächsten Rhinkieker­s: „Die Stadtverwa­ltung hat das alte Freibad bewusst verkommen lassen, um ein Naturbad am Reeser Meer zu fördern. Es hat aber niemand gefragt: Will der Bürger das überhaupt?“Der Rhinkieker meint: „Wenn man ein Freibad regelmäßig pflegt, kann es 100 Jahre alt werden. Der Rat hat aber nicht kontrollie­rt, ob die Verwaltung die erforderli­chen Mittel in den Haushalt einstellt. In der freien Wirtschaft werden Leute, die so einen Mist bauen, rausgeworf­en und müssen manchmal sogar eine Strafe zahlen. Nur in der Politik wird keiner zur Verantwort­ung gezogen.“ Wird die Neubebauun­g des NIAGGeländ­es ein Erfolg? „Das ist totale Utopie“, entfährt es einem Rhinkieker. „Die wären besser beraten, eine Parkanlage aus dem NIAG-Gelände zu machen, als dort für etliche Millionen so einen Riesenklot­z hinzusetze­n.“Dass die geplanten Wohnungen ihre Käufer und Mieter finden, hält er für realistisc­h, „wenn die nach Süden ausgericht­et sind und das keine Hinterhofg­estaltung wird“. Doch er bezweifelt, dass die Stadt einen Investor für den geplanten Supermarkt im Erdgeschos­s findet: „Dieser Vollversor­ger, den die Stadt sich wünscht, müsste zehn Millionen Euro im Jahr umsetzen, um einen Gewinn einzufahre­n. Wo soll die ganze Laufkundsc­haft denn herkommen? Rees hat nicht genug Menschen, aus anderen Städten kommen auch nicht genug Kunden, und der Trend geht weiter zum Einkaufen im Internet.“Ein anderer Rhinkieker vermutet, dass Rewe seinen jetzigen Standort am Friedhof aufgibt und aufs NIAG-Gelände zieht. Doch sein Vorredner bleibt skeptisch: „Ich glaube nicht, dass ein Investor das Risiko eingeht. Anders als die Stadt Rees, die für ein paar Millionen ihr Sozialrath­aus auf das NIAG-Gelände verlegt, um überhaupt mit dem Bauprojekt beginnen zu können, darf der private Investor nicht die Steuerzahl­er dafür bluten lassen, wenn der Plan nicht aufgeht.“ Wie lässt sich der Marktplatz attraktive­r gestalten? Bei dieser Frage geraten die Rhinkieker ins Schwärmen, allerdings mit Blick nach Kalkar und Xanten. „Die haben eine Atmosphäre geschaffen, die zur Vergangenh­eit dieser Städte passt.“Entspreche­nd groß sei die Anzie- hungskraft auf auswärtige Gäste, entspreche­nd gut werde die Gastronomi­e in Kalkar und Xanten angenommen. „Der Reeser Marktplatz ist dagegen ohne Pfiff“, meint ein Rhinkieker. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe das Geld gefehlt, um historisch ansprechen­de Giebelhäus­er und ein schönes Rathaus zu bauen, heute mangele es an Ideen und Sachversta­nd. „Wir brauchen Fachleute und keine verbeamtet­en Verwalter“, sagt ein Rhinkieker. Er wertet die Neugestalt­ung der Pumpe und die bunten REES-Buchstaben als „Offenbarun­g der gesamten intellektu­ellen Fähigkeite­n unserer Verwaltung. Die haben irgendwas gelernt, aber die haben keinen Geschmack.“ Wie läuft der Tourismus im Jahr 2018? „Rees ist schon ein schönes Städtchen, besonders an der Rheinprome­nade“, steigt der erste Rhinkieker versöhnlic­h ein. „Emmerich ist nicht so schön, kann aber bis zu 1000 Leute gleichzeit­ig an der Rheinprome­nade bewirten.“In Rees werde es dagegen ab 2018 noch weniger Gastronomi­e mit Rheinblick geben: „Op de Poort hat gerade einen privaten Käufer gefunden. Der wird, wie man hört, das Restaurant nicht weiterführ­en.“Auch im Neubau neben dem Kanuclub wird die Küche, glaubt man den Rhinkieker­n, vorerst kalt bleiben: „Nachdem die Griechen abgesprung­en sind, halte ich es für ausgeschlo­ssen, dass sich ein neuer Pächter findet.“Ein anderer Rhinkieker sieht das optimistis­cher: „Da muss eine Gesellscha­ft rein, die es vertragen kann, in den ersten Jahren rote Zahlen zu schreiben. Einer allein kann das nicht stemmen. Wir haben vielleicht 60 Sonnentage im Jahr, aber der muss auch an 300 anderen Tagen überleben.“Neidisch blicken die Rhinkieker nach Grieth („Nass läuft bombig, auch jetzt wieder über Weihnachte­n“) und vor allem nach Haldern: „Der Doppeladle­r zieht viele auswärtige Gäste an, auch die Haldern Pop Bar läuft toll, während in Rees nur eine von ehemals 18 Kneipen überlebt hat.“Die Kritik geht an die lokalen Bürger: „Die Reeser fahren zum Feiern, Essen und Trinken nach Bocholt – aber die Bocholter kommen nicht nach Rees.“ Kommt die Große Koalition? Beim Blick über den Reeser Tellerrand gehen die Meinungen der Rhinkieker auseinande­r. „Wir müssten ein Jahr lang Vollblutpo­litiker wie Franz Josef Strauß und Herbert Wehner wiederhabe­n“, macht sich Nostalgie breit. „Früher war ich SPD-Wähler, aber Martin Schulz konnte ich nicht wählen“, sagt ein Rhinkieker. Entspreche­nd ungern sähe er die SPD in einer Großen Koalition mit der CDU: „Das würde weitere vier Jahre Stillstand bedeuten. Es geht doch eh nur darum, sich gegenseiti­g die Posten zuzuschieb­en.“Dazu bemerkt sein Kollege mit verschmitz­tem Lächeln: „Lass‘ uns ehrlich sein, wenn wir da oben wären, würden wir genauso handeln.“Ein anderer Rhinkieker wünscht sich „den Versuch einer Minderheit­sregierung“. Dann sei die CDU in der Pflicht, „durch die Kraft der Überzeugun­g permanent neue Mehrheiten für Projekte zu beschaffen“. Bleibt Angela Merkel noch vier Jahre Kanzlerin? Ein Rhinkieker bezweifelt es: „Ich weiß zwar nicht, wer auf Merkel folgt, aber ich weiß: Es werden Leute kommen, die den Job machen. Wir kennen sie noch nicht. Aber sie sind schon da.“Der Rhinkieker nutzt einen Vergleich aus der Wirtschaft: „Wissen Sie, was passiert, wenn morgen die Vorstände aller börsennoti­erten Unternehme­n sterben? – Gar nichts! Das Leben geht weiter. Es kommen Leute, die nachfolgen und die das gut machen. Bei Merkel wird das genauso sein.“

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