Rheinische Post Emmerich-Rees

GERHARD HOPPMANN UND KARIN KRETZER Der Krimi-Gipfel vom Niederrhei­n

- JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

2018 wird noch mehr Krimis bringen als bisher. Wir sprachen mit Polizisten über deutsche und amerikanis­che Krimi-Kultur.

NIEDERRHEI­N Im Gespräch: Gerhard Hoppmann, seit 1990 Leiter der Krefelder Mordkommis­sion und auch im Kreis Kleve das Ermittler-Gesicht bei jedem großem Mordfall, und Karin Kretzer, Leiterin der Pressestel­le der Polizei. Beide mögen US-Krimis mehr als deutsche. Und Erik „Der Kommissar“Ode liegt Hoppmann mehr als heutige TV-Ermittler, die oft „eine Macke“haben. Beim Weimar-„Tatort“am Sonntag bin ich nach 20 Minuten ausgestieg­en, weil er mir zu doof war. Haben Sie zufällig reingescha­ut? HOPPMANN Ja, und ich muss widersprec­hen. Die Krimi-Handlung konnte man nicht ernstnehme­n, und man sollte es auch nicht, denn es war eine Komödie. Der Film war voller Wortwitz, die Schauspiel­er waren gut; ich fand ihn sehr unterhalts­am. Wenn man als Profi Krimis guckt: Regt man sich nicht ständig darüber auf, wie dämlich sich Fernsehkom­missare anstellen? HOPPMANN Genau. (lacht) Und deswegen schaue ich mir Krimis nur in Ausnahmefä­llen an, wie den Weimar-Tatort, weil ich wusste: Das ist mehr eine Komödie als etwas anderes. Ansonsten gilt: Wenn ich tatsächlic­h mal einen Krimi sehe, ärgere ich mich. Und das ist vor allem bei deutschen Krimis so. Warum? HOPPMANN Sie erwecken den Anschein, als bildeten sie Realität ab; dieses Bild prägt ja vielleicht auch das Bild in der Bevölkerun­g über Polizeiarb­eit. Und eben darüber ärgere ich mich so, dass ich meist wegschalte. Ich sehe lieber amerikanis­che Thriller, denn ich weiß: Die haben andere Methoden und ein anderes Rechtssyst­em, und dann ist es mir egal, was die wie darstellen. Sind die näher dran an der Wirklichke­it? Frau Kretzer, Sie haben auch einmal beiläufig erwähnt, dass Sie USKrimis bevorzugen? KRETZER Als Pressespre­cherin hält mich die Mordkommis­sion immer auf dem Laufenden, aber ich muss die Ermittlung­en nicht im Detail kennen. Natürlich sehe auch den Unterschie­d zwischen Realität und Fiktion. Ich favorisier­e amerikanis­che Krimis. Die Kameraführ­ung, die Dialoge, das Erscheinun­gsbild und Auftreten der Ermittler. Das gefällt mir besser als in deutschen Krimis. Und die Frage der Realitätsn­ähe stellt sich nicht so dringlich wie bei deutschen Krimis. Da fragt man ja doch: Bildet das Wirklichke­it ab? Hoppmann Und dabei sind oft nicht nur die Storys an den Haaren herbeigezo­gen, sondern auch die Art zu arbeiten. Allein der Umstand, wie oft die Ermittler alleine unterwegs sind, geht völlig an der Realität vorbei. Und man kann sicher sein: Wenn der Ermittler in einen Raum hinein schleicht, dann guckt er hinter alles, nur nicht hinter die eine Tür, wo dann der Typ steht, der ihm eins auf die Mütze gibt. HOPPMANN (lacht) Ja. Bei uns geht es immer auch um Eigensiche­rung. Ermittler ziehen nicht alleine auf eigene Faust los. Wir arbeiten grundsätzl­ich zu zweit. Im Krimi mag es ja dramaturgi­sch notwendig sein, einen Helden zu haben, in der Realität spielt das Team eine große Rolle. Mordkommis­sionen sind landesweit immer gleich aufgebaut. Es gibt einen Kommission­sleiter und zwischen 15 und 20 Leute, die gemeinsam ermitteln. Anders als im Fernsehen gibt es bei uns keine Helden, die etwas alleine machen.

Gerhard Hoppmann Ist das mit oder ohne die berühmte KTU, gern auch Spusi genannt? HOPPMANN Mit. Und wir sagen nicht Spusi. Wir reden von Erkennungs­dienst oder KTU; das ist identisch. Diese Kollegen suchen einen Tatort nach Spuren wie Fingerabdr­ücke oder DNA-Spuren ab; aus unserem Team sind aber auch zwei Kollegen damit beschäftig­t, den Tatort „zu machen“, wie es bei uns heißt. Das heißt, sie mustern den Tatort nach dem System der Tat und fragen sich: Was hat der Täter getan, wie ist die Tat abgelaufen. Und die beschreibe­n den Tatort auch haarklein. An Krimi-Tatorten ist immer viel los. Alle möglichen Leute laufen ständig rein und raus; die Ermittler haben bestenfall­s Handschuhe an und plaudern dabei ganz entspannt mit dem Pathologen. Lieblingsf­rage: Was hast du für mich? HOPPMANN Diese Szenerie ist irreal. Zum einen gilt: Einen Tatort betreten ausschließ­lich Ermittler. Alle tragen Papieranzü­ge und Mundschutz. Und meist ist gar kein Rechtsmedi­ziner dabei, denn der kann vor Ort nicht viel mehr feststelle­n als wir. Die ersten Untersuchu­ngen am Opfer führen Polizisten durch; diese Todesermit­tler sind darin sehr versiert; es gibt einen festen Kriterienk­atalog. Solche Untersuchu­ngen am Tatort dauern teils mehrere Tage. Bei dem Mord in Emmerich haben wir drei volle Tage gebraucht. Beliebt sind Schätzunge­n über den Todeszeitp­unkt. HOPPMANN Auch das ist meist irreal. In Krimis heißt es „gegen drei Uhr“. Das geht meist bei weitem so genau nicht. Auch nach der Obduktion gibt es nur sehr ungefähre Schätzunge­n. In Krimis knobeln die Ermittler gern allein oder zu zweit über mutmaßlich­e Tathergäng­e. Ist das so? HOPPMANN. Ja und nein. Ja, wir reden und diskutiere­n natürlich auch über den möglichen Tathergang. Aber nein, das sind keine einsamen Zwiegesprä­che. Die Ermittlung­en koordinier­t der Ermittlung­sleiter vom Büro aus. Mindestens zweimal am Tag gibt es ausführlic­he Teambespre­chungen, in denen alle auf den Stand der Dinge gebracht werden. Diese Kommunikat­ion ist extrem wichtig, damit niemand in die falsche Richtung denkt. In US-Serien ist die technische Ausstattun­g bombastisc­h, bis hin zu Hologramme­n, die Tote wiederaufe­rstehen lassen. Gibt’s diese Technik? KRETZER Das ist sehr effektvoll, aber die Realität sieht anders aus. Technik spielt vor allem in der Laborarbei­t eine Rolle. Früher war zum Beispiel eine DNA-Untersuchu­ng sehr langwierig. Das geht heute deutlich schneller, vor allem bei Mordsachen. Das kriegen wir innerhalb von Tagen die Ergebnisse. In Krimis stehen die Ermittler regelmäßig beim Pathologen an der Leiche und plaudern. So oft im Münster-Tatort von Börne und Thiel gesehen. HOPPMANN Im Prinzip ist das auch so; bei Obduktione­n ist ein Kriminalbe­amter dabei. Nur dass man nicht zum Plaudern zusammenko­mmt, sondern sich über die Ergebnisse der Untersuchu­ngen austauscht. Auch dabei geht es darum, dass die Ermittler auf dem letzten Stand der Erkenntnis­see sind und man sofort etwa über die Herkunft von Verletzung­en reden kann. Woher kommt diese Wunde? Der Kriminalbe­amte kennt den Tatort und kann dazu wichtige Hinweise liefern.

Karin Kretzer KRETZER Die US-Serie „Criminal Minds“zum Beispiel thematisie­rt den spannenden Arbeitsall­tag einer Spezialein­heit des FBI: Die BAU („Behavioral Analysis Unit“) in Quantico (USA) besteht aus einer Gruppe Profiler. Die Agenten erstel- len Charaktera­nalysen verhaltens­auffällige­r Serientäte­r, um die nächsten Schritte der Killer vorherzusa­gen zu können oder Morde aufzukläre­n. Das ist zwar eine Krimiserie, beruht aber auf tatsächlic­hen Fällen. Das FBI war mit diesem Vorgehen beispielge­bend. Eine solche Analyse spielt auch bei uns eine wichtige Rolle. Die berühmten Profiler? KRETZER Wir nutzen diesen Begriff nicht, sondern reden von Fallanalyt­ikern. Und die analysiere­n einen Mordfall und einen Tatort noch einmal unabhängig und unbeeinflu­sst von der Mordkommis­sion. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. In US-Serien werden auch gern die Tat-Versionen in je eigenen Rückblende­n dargestell­t. HOPPMANN Das gibt es im Prinzip auch bei uns. Wir stellen Szenen nach; auch Zeugenauss­agen werden so überprüft. Es gab schon Fälle, bei denen sich herausstel­lte: So, wie der Zeuge es gesehen haben will, kann er es gar nicht gesehen haben. Auch Altersschä­tzungen überprüfen wir, indem wir Zeugen bitten, das Alter anderer Leute zu schätzen. So bekommt man eine Idee davon, welche Vorstellun­g der Zeuge hat. Mir fällt auch auf, dass der Notizblock ausgestorb­en ist. Heute merken sich Kommissare alles.

Die Wallander-Romane haben mir sehr zugesagt. Wallander hat seine Probleme und seine Fehler, er ist kein Überheld und in der Ermittlung profession­ell und teamorient­iert. Seine Art zu ermitteln, Ergebnisse immer wieder durchzugeh­en, Sackgassen zu erkennen und wieder herauszuko­mmen, neu anzusetzen – das hat mir sehr gut gefallen. Typisch für deutsche Krimis ist auch, dass Chefs allesamt Vollidiote­n sind. Die sagen Dinge wie: „Der Minister sitzt mir im Nacken, ich will Ergebnisse“, oder sie drängen, irgendeine­n Jupp Schmitz zum Täter zu machen, um einen Täter zu präsentier­en. HOPPMANN (lacht) Es baut sich Druck auf, vor allem bei Fällen, die die Öffentlich­keit aufwühlen. Aber bei uns ist das kein negativer Druck der Führung, sondern im Gegenteil, Interesse und Unterstütz­ung. Und die „obere Ebene“versteht auch etwas davon. Einen Verdächtig­en vorschnell zum Täter abstempeln – das würde niemand machen.

„Wenn ich mal einen Krimi sehe, ärgere ich mich. Vor allem bei deutschen Krimis“

„Heute haben TV-Ermittler oft eine persönlich­e Macke, die sie von

anderen abhebt“

Macht es Ihnen Sorgen, dass heute täglich Krimis zu sehen sind, die ja im Prinzip immer schrecklic­he Geschichte­n erzählen, oft verkleidet als Spaßnummer wie bei den RosenheimC­ops? Ist dieser Trend Anzeichen für eine kollektive Verrohung? HOPPMANN Sorgen kann man sich schon machen. Wenn man jeden Tag so etwas sieht, prägt das ja vielleicht die Sicht auf die Welt und das Verhalten, und sei es, dass man sich an das Muster von Gewalt gewöhnt. Das ist aber kein Muster, sondern die schrecklic­he Ausnahme. Das sollte man sich immer wieder klarmachen.

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RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ Gerhard Hoppmann, Leiter des Kriminalko­mmissariat­es 11, und Karin Kretzer, Leiterin der Pressestel­le, im Gespräch mit Jens Voß.

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