Der letzte Ruhrbaron tritt ab
Werner Müller legt wegen einer schweren Erkrankung seine Ämter nieder: Noch bevor die letzte deutsche Zeche schließt, gibt er den Vorsitz der Kohle-Stiftung und des Evonik-Aufsichtsrats ab. Ein Schlag für die Region.
ESSEN Werner Müller hatte noch viel vor: Am 21. Dezember, wenn mit Prosper Haniel die letzte deutsche Zeche schließt, wollte er als Vorsitzender der RAG-Stiftung die Kumpel nach der Schicht am Förderkorb empfangen. Bis 2022 wollte er die Geschicke der mächtigen Stiftung lenken. Daraus wird nichts. Müller legt seine Ämter zum 24. Mai nieder, wie die Stiftung gestern mitteilte. „Meine schwere Erkrankung erlaubt es mir leider nicht mehr, meinen Verpflichtungen in der Stiftung und in den Aufsichtsräten weiter nachzukommen“, begründete Müller seine Entscheidung.
Am 23. Mai findet die Hauptversammlung von Evonik statt. Müller hatte das Unternehmen erfunden, war dessen erster Chef und begleitet es seit Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender. Sein Nachfolger an der Spitze der RAG-Stiftung soll Bernd Tönjes werden, der derzeit den Zechenkonzern RAG führt. So schlagen es die führenden Köpfe des Kuratoriums vor, das die Stiftung kontrolliert.
Da der Chef der Stiftung, die 68 Prozent an Evonik hält, üblicherweise den Aufsichtsrat des Chemiekonzerns führt, dürfte Tönjes auch diesen Posten übernehmen. „Als Kind des Ruhrgebiets und als erfahrener Unternehmenslenker steht Tönjes für Stabilität und Kontinuität in der Erfüllung der Aufgaben der RAG-Stiftung“, erklärte Kuratoriums-Chef Jürgen Großmann.
Für das Ruhrgebiet ist der Rückzug von Werner Müller dennoch ein Schlag. Er hat die Ruhr-Wirtschaft geprägt und umgebaut. Noch immer zieht der bestens vernetzte Energiemanager viele Strippen, fördert Wissenschaft und Kultur, berät die Politik. Spätestens seit dem Tod von Krupp-Legende Berthold Beitz war Müller der letzte Ruhrbaron, was im Revier als Ehrentitel gilt.
Dabei hatte der gebürtige Essener, der einen Teil seiner Jugend im Emsland verbrachte, sich das eigentlich ganz anders gedacht: Pia- nist wollte er werden, er spielte hervorragend Klavier. Doch weil ihm die Hände zitterten, nahm er Abstand von der Künstlerkarriere und studierte Volkswirtschaft, Philosophie und Linguistik. Seinen ersten Job fand er bei RWE – ungewöhnlich für einen promovierten Sprachwissenschaftler. Ungewöhnlich unabhängig ging er auch seine Aufträge an: Eigentlich sollte er für seinen Arbeitgeber die Märkte beobachten. Doch dabei erkannte er, dass dessen Geschäftsmodell auf Sand gebaut war. Er schrieb das Buch „Entkoppelung“und prophezeite, dass der Energieverbrauch nicht mehr parallel zur Wirtschaft wächst. RWE stellte Müller kalt, er wechselte zum Konkurrenten und ging bei VebaChef Rudolf von Bennigsen-Foerder in die industriepolitische Lehre. Der animierte Müller zum Querdenken. Das führte dazu, dass Müller – eigentlich ein Befürworter der Atomkraft – den Ausstieg empfahl. Tschernobyl, Proteste und Ärger um die Aufbereitungsanlage Wackersdorf hatten Veba-Chef und Kronprinz nachdenklich gemacht.
Dann starb Bennigsen-Foerder überraschend. Müller wurde erneut kalt gestellt – nun von den Atombefürwortern der Veba. Kaum war Müller Privatier rief Gerhard Schröder an. Der erste Kanzler einer rotgrünen Regierung machte ihn 1998 zum Minister für Wirtschaft und Technologie. Müller (parteilos), diesen Zusatz mochte er, verhandelte für Schröder den ersten Atomausstieg. Für Wirbel sorgte die umstrittene Ministererlaubnis für die Ruhrgas-Übernahme durch Eon.
Der sozialverträgliche Ausstieg aus Technologien, deren Zeit abgelaufen war, wurden Müllers Thema. Als Chef des Zechenkonzerns RAG sah er, wie der Rückhalt für die Subventionen schwand und immer mehr Stellen gestrichen werden mussten. Wieder dachte er quer: Ausgerechnet er, der Bergwerksdirektor der Nation, schlug vor, bis 2018 alle Zechen zu schließen. 2018 – weil sich nur so der Stellenabbau machen ließ, ohne dass Kumpel ins
„Ein Pionier und Gestalter für die Zukunft des Ruhrgebiets“
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