Bayer verpasst das Märchen zu Kießlings Abschied
Das Publikum feiert den Stürmer bei seinem letzten Spiel – trotz verpasster Champions League.
LEVERKUSEN Für Fußballromantiker war es eine durch und durch stimmige Dramaturgie. Es läuft die 83. Minute im Heimspiel gegen Hannover 96, und Stefan Kießling schnürt nach zwölf Jahren im Verein zum letzten Mal die Fußballschuhe für Bayer Leverkusen. Beifall und Gesänge begleiten beim Stand von 3:0 seine Einwechslung.
Schiedsrichter Guido Winkmann hat wenige Sekunden zuvor im Strafraum ein Foul an Karim Bellarabi gesehen und auf Elfmeter für die Gastgeber entschieden. Kießling steht mit dem Ball am Punkt, als der Videoassistent eingreift und den Strafstoß zurücknimmt – zu Recht, wie die Zeitlupe belegt. Der 34-Jährige zieht unverrichteter Dinge von dannen. Er kann seinen 162 Toren in 444 Pflichtspielen für die Werkself kein weiteres hinzufügen.
„Dieses Märchen hätte man einfach mal zulassen können“, konstatierte Leverkusens Trainer Heiko Herrlich nach 90 emotionalen und mitreißenden Minuten, die mit einem 3:2 (2:0)-Sieg für seine Mannschaft endeten. „Der Schiedsrichter hätte bei seiner Entscheidung bleiben sollen.“Er sei als Zuschauer stets ein Bewunderer und Fan von Kießling und dessen Spielweise gewesen, betonte der 46-Jährige – und schloss sich dem Dank der Fans an, die ihre Vereinsikone mit einer imposanten Choreografie verabschiedeten. Der Fast-Elfmeter ist für Kritiker wohl ein weiterer Beleg, dass der Videobeweis jegliche Fußballromantik abtötet.
Doch es war nicht das einzige Leverkusener Märchen, das am letzten Spieltag der 55. Bundesligasaison nicht geschrieben wurde. Denkbar knapp verpasste die Werkself die ersehnte Rückkehr in die Champions League. Letztlich fehlen in der End- abrechnung vier Tore, um die punktgleichen Dortmunder zu überholen. Dabei sah nach dem Doppelpack durch Lucas Alario (3./18.) sowie Julian Brandts Tor zum 3:0 (55.) alles danach aus, als könnte der dringend notwendige Sieg mit fünf Toren Differenz tatsächlich gelingen. Doch die späten Gegentore von Niclas Füllkrug (91.) und Martin Harnik (94.) setzten etwaigen Träumen von Platz vier ein jähes Ende.
So spielt Bayer 04 kommende Saison in der Europa League – ein Wettbewerb, mit dem sich nach dem Schlusspfiff nicht nur Herrlich anfreunden konnte. Man dürfe nicht vergessen, wo der Verein nach der verkorksten vergangenen Spielzeit herkomme. „Wir haben eine sehr gute Saison gespielt“, betonte der Trainer. „Wir brauchen uns nicht zu schämen, dass wir Fünfter geworden sind.“Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Platz vier nur selten einfa- cher zu erreichen war – und dass die dafür nötigen Punkte in den Vorwochen teils kläglich verpasst wurden.
Auch Rudi Völler, der im Sommer auf den neuen Posten des Geschäftsführers Sport aufsteigt, damit der bisherige Manager Jonas Boldt den Job als Sportdirektor übernehmen kann, war mit der erreichten Europa League letztlich zufrieden. „Wir werden den deutschen Fußball so vertreten, wie sich das gehört“, kündigte der Weltmeister von 1990 an. „Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber wir werden es besser machen, als es in diesem Jahr bei dem einen oder anderen gelaufen ist.“
Vielleicht ist es für den bisweilen als „Cup der Verlierer“verspotteten Wettbewerb eine Zusatzmotivation, dass sich am Freitag der bislang einzige internationale Titel der Werkself zum 30. Mal jährt: Am 18. Mai 1988 gewann Bayer 04 im Finale gegen Espanyol Barcelona den Uefa-Cup.