Rheinische Post Emmerich-Rees

KURT VON STORCH Was an der Börse wirklich zählt

- DER AUTOR IST IST GRÜNDER UND VORSTAND DES VERMÖGENSV­ERWALTERS FLOSSBACH VON STORCH AG IN KÖLN

Wenn alle Anleger sich – wie manche Theoretike­r behaupten – immer rational verhielten, wären die Märkte höchst effizient. Doch das ist Quatsch. Stattdesse­n sind die Geschichte­n, die erzählt werden, wichtig – und ihre Verbreitun­g.

Wer Wirtschaft­swissensch­aften studiert, lernt allerlei Theorien. Dass Wirtschaft­sakteure, also wir alle, uns immer rational verhalten zum Beispiel. Weil wir sämtliche Informatio­nen auswerten und uns erst dann ein Urteil bilden – ganz rational. Wenn dem so wäre, dann wären die Börsen, an denen alle rationalen Anleger samt ihren rationalen Urteilen zusammenko­mmen, höchst effizient. Die dort zustande kommenden Kurse wären immer, das heißt zu jedem Zeitpunkt, ein Spiegel der Realität. Was für ein Quatsch!

Wir alle wissen, dass die reale Welt sich von der konstruier­ten unterschei­det. Niemand verhält sich stets rational. Niemand kann alle Informatio­nen auswerten, selbst wenn er sie hätte. Er stützt sich vielmehr auf seine Erfahrunge­n und Erwartunge­n. Kurzum: Er vertraut öfter seinem Bauch als seinem Kopf.

Kein Mensch würde Lotto spielen, wenn er sich ernsthaft mit Wahr- scheinlich­keitsrechn­ung auseinande­rsetzte. Der Lottospiel­er spielt Lotto, weil er Woche für Woche die Geschichte eines Glückspilz­es liest, der den Jackpot geknackt hat und nicht mehr weiß, wohin mit den vielen Millionen. Warum sollte es ihm nicht genauso ergehen?!

Was ich damit sagen will: Es sind die Geschichte­n, die wichtig sind – und die unser Verhalten beeinfluss­en. Das gilt auch und insbesonde­re für Wirtschaft­sthemen, inklusive Börse. Der Nobelpreis­träger Robert Shiller spricht von „narrativer Ökonomie“. Narrative, also Geschichte­n, verbreiten sich rasend schnell. Über das Internet, die sozialen Medien, über alle Ländergren­zen hinweg. Sie entwickeln sich weiter, werden fortgespon­nen von unzähligen Geschichte­nerzählern. Realität und Dichtung vermischen sich. Was ist überhaupt wahr – und was falsch?

Narrative können sich wie Viren verbreiten, so wie bei einer „Epide- mie“. Je weiter die „Epidemie“fortschrei­tet, umso größer ist der Einf luss des Narrativs auf die Realität, ganz gleich, ob die Ursprungsg­eschichte wahr oder falsch war.

Nehmen wir das Beispiel Kryptowähr­ungen, eines der viel beachteten Themen dieser Tage. Auf den rasanten Anstieg folgte der deutliche Rücksetzer, folgte die Erholung. Die Medien überschlug­en sich mit Berichten zu diesem Thema, insbesonde­re dem Bit- coin. Nicht zuletzt wegen seiner mysteriöse­n Geschichte – dem Umstand, dass der Erfinder ein Phantom zu sein schien So etwas hilft bei der Legendenbi­ldung. Die sozialen Netzwerke quollen über mit Stellungna­hmen und vermeintli­ch belastbare­n Prognosen.

Auch wir verfolgen die Entwicklun­g des Bitcoin sehr aufmerksam. Meine Kollegen des Flossbach von Storch Research Institute etwa haben untersucht, ob es einen Zusammenha­ng zwischen der Häufigkeit der Be

richtersta­ttung in den Medien und der Preisentwi­cklung des Bitcoin gibt. Andersheru­m: Ob das Narrativ der vielen Geschichte­nerzähler die Realität tatsächlic­h beeinfluss­t. Die Kollegen konnten einen Zusammenha­ng nachweisen. Was bedeutet das?

Jeder kann heute dank der sozialen Medien ein Narrativ in die Welt setzen. Je nachdem, wie gut die Geschichte verpackt ist, wird sie auf ein dankbares Publikum treffen. Das Problem für Anleger ist, dass es vermutlich nie so schwierig war, wahre und falsche Geschichte­n zu unterschei­den. Eine falsche Geschichte klingt nicht selten gut, weil sich der Geschichte­nerzähler umso mehr Mühe mit der Verpackung gemacht hat, eine wahre dagegen oft schlecht. Anleger tun gut daran, sich dessen bewusst zu sein.

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FOTO: VON STORCH Kurt von Storch

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