PROFESSOR DR. MATTHIAS BLÜHER „Es ist eine Krankheit“
bei 20 Prozent. Und zwar egal, wie die Kinder aufwachsen. Es gibt auch die These, dass Armut Adipositas begünstigt. BLÜHER Die These ist nicht falsch. Generell gilt aber, auch Reichtum schützt nicht vor Übergewicht. Auch hochgradiges Übergewicht trifft alle Bevölkerungsschichten und Bildungsgrade. Aber es lässt sich schon beobachten, dass Menschen mit niedrigerem Sozialstatus gefährdeter sind, übergewichtig oder adipös zu werden. Das liegt auch daran, dass ungesunde Lebensmittel oftmals die günstigeren sind. Hinzu kommt, dass teuere Sportund Gesundheitsangebote von ärmeren Familien meist nicht in Anspruch genommen werden können. Haben die Krankenkassen hier nicht eine Mitschuld? BLÜHER Das Problem ist: Die Krankenkassen fühlen sich vor allem für Krankheiten zuständig und weniger für die Prävention. Sie verschieben die Verantwortung damit in den privaten Bereich. Aus ihrer Sicht ist es dann eine Frage des persönlichen Lebensstil. In unse- rer schnelllebigen Gesellschaft voller Angebote ist es allerdings schwierig, sich aktiv für das gesunde Leben und gegen das Übergewicht zu entscheiden. Die Krankenkassen sollten sich die Prävention künftig stärker zur Aufgabe machen, immerhin verursacht Adipositas 30 bis 40 Folgeerkrankungen, wie etwa Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes oder auch Krebs. Sie forschen seit Jahren zu diesem Thema. Gibt es neue Behandlungsansätze? BLÜHER Grundsätzlich gilt: Prävention ist immer besser als die Therapie. Adipositas ist behandelbar, aber nicht heilbar. Am effektivsten ist eine Stufentherapie, bei der es vor allem um eine Ernährungsintervention und Bewegung geht, meist in Verbindung mit einer Verhaltenstherapie. Wenn das nicht hilft, werden Medikamente eingesetzt oder operativ eingegriffen. Was sind die Ziele der DAG? BLÜHER Adipositas ist eine Krankheit und muss endgültig als solche anerkannt werden. Das ist die Voraussetzung für bessere Behandlungsmöglichkeiten. Wichtig ist auch, weiter in die Ursachen-Forschung zu investieren. Auch der Stigmatisierung innerhalb der Gesellschaft wollen wir entgegenwirken. Immerhin: Die neue Bundesregierung hat das Thema Adipositas erstmals in ihr Programm aufgenommen. Das gibt uns Hoffnung, dass die Krankheit auch politisch mehr Beachtung findet.