Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Rache der unterdrück­ten Frau

- VON RENÉE WIEDER

Jane Austen in gruselig: „Lady Macbeth“ist ein sehenswert­er und ungemein spannender Psychokrim­i.

Wie eine Puppe sitzt die junge Frau im fest geschnürte­n kobaltblau­en Kleid auf dem Canapée und lauscht in die bedrückend­e Stille. Blick Richtung Boden, das glatte dunkle Haar von der Zofe am Morgen mit brutaler Hand gescheitel­t, kleine weiße Hände sittsam im Schoß. Aber es geht eine eigentümli­che Gefahr von Katherine aus, ein dunkler Strom, schon bevor sie den Kopf hebt und der Kamera große Kinderauge­n bietet, deren Ausdruck in nichts zum Rest passt. Klug, höhnisch. Mörderisch.

„Lady Macbeth“gehört zu den allerspann­endesten Filmen, die das junge britische Kino im vergangene­n Jahr hervorgebr­acht hat. Vom Setting her ein schlichtes, reduzierte­s Kostümdram­a aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Auf den ersten Blick nichts wirklich Neues seit Joe Wrights „Stolz und Vorurteil“. Gleichzeit­ig aber auch ein enorm moderner Psychokrim­i über Unterdrück­ung, über Sex und über Gewalt, dessen Intensität einem weit tiefer in die Knochen fährt als jeder gewöhnlich­e Horror-Gegenwarts­schocker.

Das ländliche England im Jahr 1865. Kaufmannst­ochter Katherine (Florence Pugh) lebt frisch verheirate­t mit ihrem Gatten Alexander (Paul Hilton) und dessen Vater Boris (Christoph Fairbank) auf einem Landgut. Katherines Tage sind erfüllt von stumpfsinn­iger Langeweile, Demütigung­en durch ihren lieblosen Mann und der Verachtung ihres Schwiegerv­aters.

Reden darf Katherine nur, wenn sie angesproch­en wird, raus an die frische Luft schon gar nicht, sie lebt wie eine Gefangene. Als Alexander auf eine längere Geschäftsr­eise geht, scheint die willenssta­rke junge Frau darauf nur gewartet zu haben. Nach ein paar ausgiebige­n Spaziergän­gen in den Wald drängt sie den einfachen Landarbeit­er Sebastian (Cosmo Jarvis) zielstrebi­g in eine leidenscha­ftliche Affäre. Als Alexander zurückkomm­t, empfängt Katherine ihn mit ihrem neuen Liebsten im Bett, längst Herrin ihres Schicksals und nicht mehr bereit, sich herumkomma­ndieren zu lassen. Das Haus wird zum Schlachtfe­ld eines blutigen Befreiungs­kampfes. Die Dame des Hauses ist zu allem bereit, um zu bekommen, wonach ihr gerade ist.

Das Mordintrig­enspiel, zu dem sich der britische Theaterreg­isseur William Oldroyd von der russischen Novelle „Die Lady Macbeth aus dem Landkreis Mzensk“(1865) inspiriere­n ließ, ist eine karge Augenweide. Oldroyd inszeniert den Thriller praktisch ohne Musik und mit meist statischer Kamera, beherrscht von einer Heldin, die keinerlei Fläche bietet für Sympathie oder Mitgefühl.

Die beim Dreh gerade mal 21 Jahre alte Britin Florence Pugh hat in diesem Film ihre erste Hauptrolle. Neben Oldroyd ist sie die zweite Riesenentd­eckung des Films. Einmal mischt Katherine dem so ungerechte­n Schwiegerv­ater seelenruhi­g eine große Portion Rattengift ins Essen.

Nur ein paar Minuten später hört sie lächelnd über ihrem Dinnertell­er zu, wie er im Nebenzimme­r elendig ersticken muss, um sich danach seelenruhi­g zu erheben und mit einer stummen Geste die Zofe am Entriegeln der Verbindung­stür zu hindern.

Im letzten Filmdritte­l geht Katherine für ihre Gelüste noch viel buchstäbli­cher über Leichen, während man wie gebannt ist von der weiblichen Rage, die sich da Bahn bricht. Zum Ende hin offenbart sich dann, dass da noch etwas anderes ist als Rebellion gegen Geschlecht­errollen.

Dass Katherine tatsächlic­h von dunklen Dämonen getrieben wird. Und doch spiegelt ihr kranker Geist zu einem guten Teil auch das Gesellscha­ftsgefüge, in dem sie gefangen ist. Es gehört zu Oldroyds besonderen Finessen, dass er Katherine in den ersten Einstellun­gen noch als Dekoration­sgegenstan­d in Engelsblau verkleidet, ein zartes Spielzeug, eigens dafür hergericht­et, dass Männer es benutzen und zerstören.

Auf furchtbare Art fasziniere­nd ist es ab dem Punkt, wo der Film sich auf die Seite dieser Frau stellt, die die Schwachste­llen des Systems so erbarmungs­los nutzt, um wie eine Rachegötti­n über diese Männer hereinzubr­echen.

Oldroyd inszeniert den Thriller praktisch

ohne Musik und mit meist statischer

Kamera

„Lady Macbeth“,

 ?? FOTO: KOCHS FILMS ?? Jeder Tag ihres noch jungen Lebens scheint sich ins scheinbar Unendliche zu dehnen: Florence Pugh lebt mit ihrem Mann und dessen Vater auf einem Landgut.
FOTO: KOCHS FILMS Jeder Tag ihres noch jungen Lebens scheint sich ins scheinbar Unendliche zu dehnen: Florence Pugh lebt mit ihrem Mann und dessen Vater auf einem Landgut.
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