Digitale Lehre
Meine Mitbewohnerin kommt nach Hause, packt ihren Collegeblock aus und betrachtet ihn mit einem irritierten Blick. „Ich habe nur noch Tablets gesehen in der Vorlesung“, erzählt sie. Während in ihrem Studiengang moderne Technik offenbar das Mittel der Wahl ist, arbeiten wir im Mathematikstudium hingegen hauptsächlich mit Tafel und Kreide, beziehungsweise mit Papier und Kuli. Gelegentlich erhalte ich schockierte Reaktionen, wenn ich von dieser Tatsache erzähle. Meistens kann ich sie aber abmildern, wenn ich die Hintergründe erläutere: Tafel und Kreide vergrößern für uns gegenüber einer digitalen Präsentation nämlich wesentlich die Chance, der Vorlesung überhaupt folgen zu können. Die ohnehin gelegentlich vorhandene Panik in den Augen der Studierenden würde sich sicherlich verstärken, würde die Vorlesung aus einer Präsentation bestehen, die ständig von Folie zu Folie hüpft. Während sich der Einsatz von mehr Technik in bestimmten Studienfächern sicherlich anbietet, bleiben wir also bei Tafel und Kreide. Meine eigene Digitalisierung hat hingegen einen Sprung nach vorne gemacht: Vor einigen Tagen musste ich mich von einem treuen Begleiter verabschieden. Er hatte Tasten, an ihm konnte ich täglich meine T9-Fähigkeiten ausbauen und die Fähigkeit, blind zu tippen. Auf Partys beschäftigten sich Menschen teilweise mehrere Minuten damit, sich auf der Miniaturtastatur meines Handys zurechtzufinden. Wie hebt man noch mal die Tastensperre auf? Und das hat wirklich Internet? Ja. Und es funktionierte einwandfrei, bis das verflixte siebte Jahr ihm zusetzte und es immer mehr schwächelte. Mittlerweile habe ich mir schweren Herzens ein neues Exemplar gekauft. Es hat keine Tasten, der Akku hält nicht mehr fünf Tage, aber nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir uns trotzdem angefreundet. Gerade rechtzeitig zur Klausurenphase: Endlich kann ich Fotos handschriftlicher Lösungen zu Altklausuren versenden und empfangen. Ein bisschen digitalisiert sind wir in der Mathematik eben
doch.