Von den Nachbarn lernen
SERIE MIGRATION (6) Ankerzentren, bilaterale Abkommen oder die „Fiktion der Nichteinreise“: Deutschland will sich in der Migrationspolitik neu aufstellen. Dabei lohnt auch ein Blick über die Grenzen.
Einige unserer Nachbarländer haben sich in der Migrationspolitik einen Namen erarbeitet. Entweder, weil sie zum Beispiel ein ausgeklügeltes Asylverfahren entwickelt haben oder, weil sie eine rigorose Abschiebepraxis verfolgen. Ein Überblick.
Niederlande Das Stichwort, mit dem die Niederlande zuletzt immer wieder in die Schlagzeilen rückten ist „Ter Apel“: eine kleine Gemeinde im Norden des Landes in der Provinz Groningen. Rund 9000 Einwohner leben dort. Und einige Flüchtlinge. Sie leben im Ankerzentrum von Ter Apel. Eine Einrichtung, die ganz nach dem Geschmack von Bundesinnenminister Horst Seehofer sein dürfte – so sehr wie er in den vergangenen Monaten auf derartige Zentren in Deutschland gedrungen hat. „Anker“, das steht hierzulande für Ankunft, Entscheidung, Rückführung. Das gesamte Asylverfahren soll an einem Ort gebündelt werden, indem die dafür notwendigen Behörden Zweigstellen dort einrichten. In Ter Apel verfolgt die niederländische Regierung bereits seit 2010 diesen Weg.
Alle Flüchtlinge, die im Land aufgegriffen werden, müssen sich in Ter Apel melden. Nach einer etwa dreitägigen „Erstaufnahme“erhalten sie zwei Wochen Zeit, um sich von ihrer Reise zu erholen und sich auf das achttägige Asylverfahren vorzubereiten. Ein Anwalt wird ihnen für die Dauer desVerfahrens kostenlos zur Verfügung gestellt. Innerhalb von sechs Monaten nach demVerfahren fällt der sogenannte Immigrations-Dienst (IND) eine Entscheidung über den Asylantrag. Der IND untersteht dem Justizministerium.
Die deutschen Ankerzentren sind ein zentraler Bestandteil im Koalitionsvertrag. Doch Seehofer ist auf die Zustimmung der Bundesländer angewiesen. In seiner Hochburg Bayern haben bisher sieben solcher Zentren die Arbeit auf- genommen. Doch viele andere Länder sträuben sich noch – vor allem jene, in denen die SPD den Innenminister stellt.
Belgien Anfang dieses Jahres gingen in Brüssel Tausende Menschen auf die Straße, um zu demonstrieren. Sie waren sauer auf ihre eigene Regierung. Genauer gesagt: auf die Flüchtlingspolitik. Der flämische Nationalist Theo Francken, Staatssekretär für Asyl und Immigration in der föderalen Regierung Michel, hatte kurz zuvor einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der vorsah, den Schutz der Privatsphäre bei der Verfolgung illegaler Immigranten aufzuheben. Der Polizei würde damit das Recht eingeräumt, in die Wohnungen und Häuser von Personen einzudringen, die Flüchtlinge beherbergten, die sich unerlaubt im Land aufhalten. Schon im Sommer 2017 hatte Francken einen Skandal losgetreten, als er sudanesische Regierungsbeamte nach Brüssel einlud, damit diese illegale Migranten identifizieren können, die im Park von Brüssel schliefen. Einige der Sudanesen sollen nach ihrer Abschiebung in ihrem Heimatland gefoltert worden sein.
Unter der rechtsliberalen Regierungskoalition hat Belgien in den vergangenen Jahren auf eine rigorose Abschiebepolitik gesetzt. Flüchtlinge ohne Papiere haben die Möglichkeit, aus medizinischen oder humanitären Gründen einen Aufenthaltsstatus zu beantragen. Humanitäre Gründe bestehen zum Beispiel bei der Flucht vor Krieg. Viele der Herkunftsländer der Flüchtlinge sind durch die belgische Regierung allerdings nicht als Krisengebiete anerkannt. Sie gelten als „sicher“. Eine Abschiebung ist schwer zu verhindern. Menschenrechtsorganisationen und„Ärzte ohne Grenzen“kritisieren die harte belgische Hand.
Die raschen Abschiebungen fußen vor allem auf mehreren bilateralen Abkommen, die die belgische Regierung mit vielen Ländern vereinbart hat. Vergangene Woche verkündete Innenmi- nister Seehofer, nun endlich auch mit Italien ein Abkommen bezüglich der Rückführung von Flüchtlingen geschlossen zu haben. Seehofer feierte seinen Coup, mahnte aber auch an, dass dies noch nicht reichen würde – womit er recht hat. Denn die Regelung mit Italien betrifft lediglich 1,5 Flüchtlinge pro Tag, da es nur um jene geht, die erstmals in Italien registriert wurden und über Österreich nach Deutschland gekommen sind. Und dann streiten sich beide Länder derzeit auch noch über die Art der Rückführung. Deutschland will weiter auf das Flugzeug setzen, Italien möchte gerne, dass die Migranten mit dem Auto transportiert werden.
Schweiz In keinem anderen europäischen Land wurde Flüchtlingen zuletzt mehr für eine freiwillige Rückkehr gezahlt als in der Schweiz. So gibt es als Basispauschale pro Person bereits 1000 Franken (880 Euro). Hinzu kommen bis zu 3000 Franken (2660 Euro) individuelle Zusatzhilfe für die Realisierung eines beruflich oder gesellschaftlich ausgerichteten Eingliederungsprojekts. Derzeit testet die Regierung ein Modell, wonach die Höhe der Rückkehrhilfen gestaffelt an die Dauer des Aufenthalts in der Schweiz gekoppelt ist. Wer kurz nach seiner Einreise freiwillig wieder umdreht, erhält deutlich mehr als jemand, der mehrere Monate oder gar Jahre in der Schweiz bleibt. Deutschland verfolgt ein ähnliches Modell, zahlt aber weniger – im besten Fall 1200 Euro.
Im Bereich der bilateralen Abkommen kann sich die Bundesrepublik ebenfalls einiges von der Schweiz abschauen. So besitzt das kleine Land bereits seit 18 Jahren ein Abkommen mit Italien zur Rückführung von Flüchtlingen. In der Hochzeit der Migrationswelle im Jahr 2015 stellte Italien allerdings sukzessive die Registrierung der Flüchtlinge im eigenen Land ein. Dadurch konnte man auch viele der Schweizer Anträge auf Rücknahme von Asylbewerbern ablehnen. Doch schon 2016 hielt sich Italien wieder weitgehend an das Abkommen. In dem Jahr führte das Schweizer Grenzwachtkorps rund 25.000 Menschen ins südliche Nachbarland zurück.