Der melancholische Pate von Neukölln
Clan-Krieg, Gewalt und Drogen in Berlin: Warum man die Fernsehserie „4 Blocks“dennoch unbedingt sehen sollte.
Ganz ehrlich, dieser Toni Hamady ist die interessanteste Figur, die es derzeit im deutschen Fernsehen gibt. Er steht im kalten Berlin, er schaut traurig und weiß auch nicht so recht, und sein Körper ist viel zu schwer. Er trägt den Kragen seinesWollmantels hochgeschlagen, ein bisschen wie ein junger Leutnant im russischen Roman, der am verschneiten Bahnsteig in Sankt Petersburg wartet und gerade erfahren hat, dass der Zar gestorben ist. Er sieht aus wie ein Kalen-
Er tanzt auf dem schmalen Grat zwischen Anstand und
Ausschweifung
derbild für den Monat November. Und wie alle Melancholiker ist auch Toni ein Träumer, er will ganz anders leben, als er gerade lebt. Er will nach 26 Jahren im Land endlich den deutschen Pass und dann mit seiner Frau und der stets rosa gekleideten Tochter im Eigenheim wohnen:„Wenn die Pässe da sind, werde ich der deutscheste Deutsche“, verspricht er seiner Kalila, die so herrlich aufrecht und patent ist und dennoch fest daran glaubt, dass dieser Mann ihr dereinst den Himmel zu Füßen legen wird.
Ja, Toni Hamady ist eigentlich ein Spießer, der daheim als erstes von den Straßenschuhen in die Puschen wechselt. Er wäre gerne Verkäufer im Kramladen des kleinen Glücks, aber sein Pech ist, dass er das nicht sein kann und niemals sein wird. Solche Wünsche lassen sich nämlich nicht erfüllen, wenn man hauptberuflich einen Neuköllner Familien-Clan von libanesischen Kriminellen anführt und der Schwager soeben mit acht Kilo Kokain im Auto erwischt wurde.
„4 Blocks“heißt die TV-Serie, die von Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan) erzählt, und sie ist in einem Land, das enorme Schwierigkeiten damit hat, einen perfekten Popsong zu schreiben und überhaupt mit der Popkultur hadert, ein Lichtblick, ein Treffer, ein Hit. Sie erzählt von der Gegenwart, und zwar mit den Mitteln der Gegenwart; sie bildet ein Milieu ab, eine soziale Wirklichkeit; sie ist so schnell, hart und überkandidelt wie ein gutes Rap-Album. Sie ist hierzulande etwas Neues, Unerhörtes, und sogar Jogi Löw hat sich als Fan zu erkennen gegeben.
Die Handlung geht, wie die Story eines Mafia-Films halt geht: Der Hamady-Clan versorgt Neukölln mit Drogen, es gibt aber auch deutsche Rocker, die dasselbe tun, und deshalb geraten beide Parteien immer wieder aneinander, was für die Rocker zumeist nicht so gut ausgeht. Ergebnis: „In Berlin spricht man jetzt Arabisch.“Das Besondere an „4 Blocks“ist das Ensemble, das zum Großteil aus Laiendarstellern besteht, allerdings solchen mit Szene-Anschluss. Toni Hamadys Bruder Abbas etwa wird gespielt vom Rapper Veysel, der seine Sache verflixt gut macht, gerade weil er gar nicht mehr normal reden kann, sondern jedes Wort rundlutscht und seinem Gesprächspartner vor die Füße spuckt. Er hat im echten Leben mit den Genre-Größen Haftbefehl und Celo & Abdi zusammengearbeitet und wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Knast geses- sen. Schwager Latif kennt man als Gangsta-Rapper unter dem Namen Massiv; dessen ehemaliger Manager ist der neue Beschützer von Bushido und angeblich verwandt mit jenen Männern, denen vorgeworfen wird, neulich diese große Goldmünze aus dem Bode-Museum gestohlen zu haben. Und wer denkt, schlimmer kann’s nicht kommen, sei beruhigt: In Staffel zwei spielt auch noch Gzuz mit, der Kopf der schwer erfolgreichen Rüpelrapper-Gruppe 187 Straßenbande.
Natürlich geht es mitunter brutal zu in dieser Serie, wenn auch nie über die innere Logik der Fabel hinaus, also nie um der bloßen Gewalt willen. Und natürlich gibt es nun einige Menschen, die sagen, das Ganze sei ja eineVerherrlichung und Glorifizierung und pornografisch in Bezug auf die Darstellung der Gang-Strukturen. Die Tageszeitung „Die Welt“rechnete sogar aus, dass die Vorstrafen der Schauspie- ler zusammengenommen einmal lebenslänglich ergeben würden. Was entgegnet man da? Vielleicht dieses: Ach, Habibi. Die Kritiker haben ja recht, aber so gesehen dürfte man „Scarface“und „Der Pate“nicht mehr zeigen und überhaupt das Gesamtwerk von Robert De Niro; einen Tarantino nicht mehr und auch nicht die „Sopranos“. Und dass die Halbwüchsigen aus der letzten Reihe des Schulbusses, die diese Serie toll finden, nun allesamt Gangster sein wollen, steht nicht zu befürchten, denn dafür werden die Figuren dann doch zu ehrlich entwickelt, nämlich in Richtung Abgrund. „4 Blocks“ist eine moralische Produktion: Dieses Märchen aus der Wirklichkeit geht böse aus.
Obwohl sie Mercedes fahren und Porsche, sind die Figuren arme Ritter. Abbas zum Beispiel, der nach dem Verbrecher-Feierabend in Versace-Unterhose in einer lieblos eingerichten Wohnung allein auf dem Sofa sitzt und Playstation spielt, damit er die Leere nicht spürt. Oder Zeki, der aussagt, das Kokain im Auto sei seines, weil er hofft, nach der Zeit im Knast in der Gang aufzusteigen, eine Gemeinschaft zu finden und Familie. Er wird irgendwann tatsächlich wieder entlassen, aber vor dem Gefängnistor stehen dann wie viele Leute, um ihm zu danken und ihn abzuholen? Genau: null.
Es ist das Innenstadt-Babel einer europäischen Metropole, das hier schnell geschnitten und von Beats zerhackt ausgerollt wird. Überhaupt sollte man sich die Serie als Ballett ansehen, als Schauspiel, abgefasst in Rollenprosa. Die Choreographie der Coolness: Wer schweigt länger? Wessen Gesicht zuckt früher? Stärke wird hier ja gar nicht so sehr in Faustschlägen gemessen, sondern in der Dauer des Aushalten- und Abwartenkönnens. Körperkino ist das. So gesehen ist Toni Hamady die Pri-
maballerina, sein Salon ist die Gosse, und mit schwermütiger Eleganz tanzt er auf dem schmalen Grat zwischen Anstand und Ausschweifung. Er will kein Macker sein, sondern Macher, „wir töten nicht“, schärft er seinen Jungs ein. Aber in deren aufgepumpten Bodys wallt das Testosteron. Wumme in der Faust, Handschlag raus. Und so kommt es, wie es kommen muss.
Toni lebt so lange neben seinen Worten und Werten her, dass er alsbald auf ihre Kehrseite gerät. Die Geschäfte laufen super, „wir spielen jetzt Champions League“, sagt er. Die Gier hat ihn im Griff, und wir sehen ihm beim Absturz zu. Berlin ist zu diesem Zeitpunkt bereits Gomorrha. Staffel zwei ist denn auch lange nicht mehr so gut. Zu viel Klischee, zu viel Plumpheit. Es ist wie mit dem verflixten zweiten Album einer Rap-Band: Das erste kam noch einfach so aus einem heraus; beim zweiten hat man dann angefangen, im Laufen über das Gehen nachzudenken, und ist gestolpert. Tonys Frau Kalila ist fort, die Tochter mit ihr. In seinem neuen Haus kann Toni nun durch den gläsernen Wohnzimmerboden in den Pool im Keller schauen, und das tut einem wie ihm, der ja ein Freund der erhöhten Aussicht ist, ein Luftgucker und Wolkenschauer, nicht gut.
Was bleibt, ist eine gute Frage: Mensch, Toni, wie stieß dir dieses Leben zu? Die Serie tut uns den Gefallen, sie nicht durch eine Antwort zu verderben.