Die rote Vorherrschaft wackelt
Am Dienstag sind Kongresswahlen in den USA. Die Demokraten haben gute Chancen auf eine Mehrheit im Repräsentantenhaus.
WASHINGTON Falls sich eine alte Faustregel bestätigt, wird Donald Trump am Dienstagabend nicht viel zu feiern haben. Denn traditionell dient das Kongressvotum zur Halbzeit zwischen zwei Präsidentschaftswahlen amerikanischen Wählern dazu, der Partei des Präsidenten einen Denkzettel zu verpassen. Seit 1913, dem Jahr, in dem die Zahl der Sitze im Repräsentantenhaus auf 435 aufgestockt wurde, auf die heutige Zahl, hat die jeweilige Regierungspartei bis auf drei Ausnahmen bei den „Midterms“stets an Boden verloren. So gesehen wäre es fast schon eine Überraschung, sollte es den Demokraten nicht gelingen, den Republikanern die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer streitig zu machen.
Beendet wäre ein Ausnahmezustand, wie ihn die USA immer nur phasenweise erleben. Dass eine Partei Exekutive wie Legislative beherrscht, lässt der Souverän in aller Regel nur für kurze Zeit zu, bevor er es korrigiert. Keiner der beiden großen Parteien, so entspricht es dem Grundgefühl des Landes, soll zu lange zu viel Macht zuwachsen.
Zudem sind Halbzeitwahlen immer auch ein Referendum über die Amtsführung des Präsidenten. Was Trump nicht bestreitet, sondern noch unterstreicht. „Mein Name steht zwar nicht auf dem Zettel. Aber ich will, dass ihr wählen geht“, rief er neulich seinen Anhängern in Mississippi zu: „Also tut einfach so, als stünde ich auf diesem Zettel.“Der Wähler, so sieht er es, soll ihn, Trump, für den Wirtschaftsboom, für die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren belohnen, indem er konservativen Kandidaten den Vorzug gibt, auch den blassen.
Die Demokraten hoffen indes auf das genaue Gegenteil. Die Zustimmungswerte für den Präsidenten liegen nach einem Durchschnitt aus mehreren Umfragen, zusammengestellt von der Online-Plattform Real Clear Politics, aktuell bei 42 Prozent. Das ist ein vergleichsweise niedriger Wert, der in aller Regel zur Folge hat, dass seine Partei Federn lässt. Trumps schriller, oft beleidigender Ton, seine Scharmützel mit den Verbündeten, die Art, wie Demokraten 49
SENAT er über Frauen redet: Das alles fällt offenbar stärker ins Gewicht als die gute Wirtschaftslage. Nur lehrt gerade die Erfahrung von 2016, dass Umfragen bisweilen nicht allzu viel aussagen über das Ergebnis.
Jedenfalls müssen die Demokraten im Repräsentantenhaus 23 Sitze dazugewinnen, wollen sie den Konservativen die Kontrolle abnehmen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die Website „Fivethirtyeight“beziffert die Wahrscheinlichkeit eines Mehrheitswechsels auf 82 Prozent. Nach einer Übersicht des Cook Political Report, ei- Republikaner
51 nes angesehenen Analysedienstes, sind 48 Wahlkreise besonders hart umkämpft. Chancen rechnen sich die Demokraten insbesondere im Speckgürtel um die Großstädte aus, wo sich Wähler mittlerer und höherer Einkommensschichten von der „Grand Old Party“abwenden könnten. Vor allem Wählerinnen, denen Trumps Sexismus auf die Nerven geht. Allein in Florida, Kalifornien, New Jersey und Pennsylvania liegen zwei Dutzend solcherWahlkreise, in denen republikanische Amtsinhaber zittern müssen.
Zudem will die Opposition mithil-
REPRÄSENTANTENHAUS fe des Faktors Trump Wählergruppen mobilisieren, die beim Halbzeitvotum häufig zu Hause bleiben. Im Herbst 2014 – die Konservativen siegten so klar wie lange nicht – lag die Wahlbeteiligung bei den 18- bis 29-Jährigen gerade mal bei knapp einem Fünftel. „Ist es ein Wunder, dass der Kongress eure Werte und Prioritäten nicht widerspiegelt?“, hat Barack Obama, der Altpräsident, den Jungen dieser Tage noch einmal ins Gewissen geredet.
Dann wäre da noch die Causa Brett Kavanaugh, das Ringen um die Besetzung eines Richter-
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GOUVERNEURE
33 postens am Obersten Gerichtshof. Bevor die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford vor dem Senat ebenso zögerlich wie glaubhaft schilderte, wie der Teenager Kavanaugh sie einst zu vergewaltigen versuchte, hatte sie tagelang mit sich gerungen, offensichtlich aus Angst, auf ein politisches Schlachtfeld gezerrt zu werden. Es dauerte nicht lange, bis Trump sie nachäffte, sie dem Gespött seiner johlenden Fans aussetzte. Für Frauen, die sich gut in Blasey Fords Lage hineinversetzen können, dürfte es ein Grund mehr sein, Trumps Partei abzustrafen.
Andererseits hat der Streit den Republikanern geholfen, ihre bis dahin eher phlegmatische Basis aufzurütteln. In ihrer Version schreckt eine außer Rand und Band geratene Opposition vor nichts zurück, um einen unschuldigen Ehrenmann wie Kavanaugh fertigzumachen.
Im Senat kommen die Republikaner derzeit auf 51, die Demokraten auf 49 Sitze, rechnet man zwei nominell unabhängige Köpfe hinzu. Neu verteilt werden 35 der 100 Mandate, und es wäre ein kleines Wunder, sollten die Demokraten so viele erobern, dass es für eine Mehrheit reicht. Sie haben 26 Sitze zu verteidigen, die Republikaner nur neun. Von diesen 26 Sitzen entfallen zehn auf Staaten, die Trump vor zwei Jahren gewann, zum Teil mit großem Vorsprung. Folglich müssen Claire McCaskill aus Missouri oder Heidi Heitkamp aus North Dakota oder auch ihr Kollege Joe Donnelly aus Indiana um ihre Wiederwahl bangen. Die Demokraten träumen wiederum von Siegen im Süden und Westen: Arizona, Nevada, Tennessee – womöglich sogar Texas.